Zu Besuch in
einer Fabrik, in der Holzpuppen, Teller und Löffel im Stil der 300 Jahre alten
Chochloma-Malerei verziert werden. Die Souvenire sollen auch bei der der
Fußballweltmeisterschaft zum Einsatz kommen.
Lärm herrscht in
der Halle der Fabrik „Chochloma-Malerei“. Hinter den Mauern eines
unscheinbaren, grau-weißen Fabrikgebäudes stehen Männer an alten
Drechselmaschinen. Aus langen Rundhölzern fertigen sie die Rohlinge für
Matrjoschka-Holzpuppen. Alle paar Sekunden fällt ein fertig gedrechselter
Rohling in einen der bereitstehenden Körbe. An den Wänden türmen sich meterhoch
Stangen aus Birken- und Lindenholz, das Rohmaterial für die Matrjoschkas.
Holz gibt es hier
in der Gegend nördlich von Nischni Nowgorod mehr als genug. Nur ist der Boden
nicht geeignet für die Landwirtschaft, weshalb sich die Bauern schon vor 300
Jahren auf die Fertigung von Holztellern, Löffeln und Holzpuppen
spezialisierten. Ihre Ware verkauften die Bauern dann auf dem Markt des
Städtchens Chochloma, daher der Name Chochloma-Malerei. Kennzeichen der Malerei
sind die blumigen Ornamente in kräftigen Farben, Schwarz, Rot, Grün, Gelb und
Gold.
In einer anderen
Halle geht es ganz still zu. Hier sitzen Frauen, umgeben von Hunderten von
Matrjoschka-Holz-Rohlingen, Töpfen mit Pinseln und Blumen. Sie bemalen Samoware
und Holzpuppen mit feinen Pinseln. Es ist eine Arbeit, die viel Konzentration
und Geschick erfordert.
„Wir strengen uns an, damit die Menschen es
schön haben“
Tatjana, eine
Frau in mittlerem Alter, bemalt Holzpuppen-Rohlinge. Sie erzählt, dass sie
Wasserfarben, Acryl- und Tempera-Farbe benutzt. Ihre Tochter Jelena habe sie
auch in die Fabrik gebracht, erzählt sie stolz und zeigt auf die
gegenüberliegende Seite des mit Pinsel-Töpfen vollgestellten Tisches. Jelena
trägt gerade kleine schwarze Ornamente auf schon bunt bemalte Matrjoschkas auf.
Dabei benutzt sei einen kleinen Stempel. Die Arbeit geht flink.
Jelena habe ein
Kunst-College abgeschlossen, erzählt Mutter Tatjana stolz. Ob es bei den
Holzpuppen ein Geheimnis gibt, will ich von Tatjana wissen. „Was für ein
Geheimnis? Wir strengen uns an, dass es den Menschen gut geht, dass sie es
schön haben, dass es angenehm ist, das alles anzugucken.“
Der
Durchschnittslohn in der Fabrik liegt, so sagt man mir, bei knapp 300 Euro.
Soja, eine ältere Frau, die schon seit 40 Jahren in der Fabrik arbeitet,
erzählt mir aber, sie bekomme nur umgerechnet 90 Euro. Als ich sie erstaunt
angucke, meint sie, „ich gebe meinen Zahn drauf“. Dabei zeigt sie mit dem
Daumen auf ihre Vorderzähne. Da ich ungläubig den Kopf schüttele, sagt Soja,
„nun ja, es gibt noch Zuschläge.“ Außerdem bekomme sie noch eine Rente.
Der Siegeszug der
Matrjoschka-Puppen
Die Fabrik, in
der die ineinander verschachtelten Matrjoschka-Puppen sowie Teller und Löffel
hergestellt werden, wurde Ende der 1950er Jahre eröffnet. Das war eine Zeit,
als die Chochloma-Matrjoschkas zum internationalen Markenzeichen der
Sowjetunion wurden.
2.500 Menschen
arbeiteten zu Sowjetzeiten in der Fabrik. Heute hat die Fabrik noch 735
Mitarbeiter. Im Zuge der Auflösung der Sowjetunion – Ende der 1980er, Anfang
der 1990er Jahre – durchlebte die Fabrik eine schwere Krise, berichtet die
Direktorin Jelena Krajuschkina. Die Nachfrage in den mit der Sowjetunion
befreundeten Ländern ging drastisch zurück. Die Fabrik hatte kein Geld mehr, um
Auslandsreisen zu bezahlen und die Waren auf internationalen Messen
vorzustellen. „Innerhalb von zehn Jahren sank unser Export auf fast null und
wir hatten auch keine Möglichkeit mehr, an internationalen Ausstellungen
teilzunehmen“, erzählt die Direktorin. Man fühlt, dass ihr die Schrecken der
1990er Jahre immer noch in den Knochen stecken.
Fabrik-Direktorin:
„90 Prozent der Arbeit ist Handarbeit“
Der Weg in den
Kapitalismus ist bis heute nicht einfach. Zu Sowjetzeiten gehörte die Fabrik
dem Staat. 1992 gründeten 500 Mitarbeiter eine Aktiengesellschaft, „um das
Unternehmen in der Epoche der Perestroika zu retten“, wie Fabrik-Direktorin
Krajuschkina erklärt.
Heute ist die
Fabrik immer noch auf staatliche Vergünstigungen angewiesen. Die Möglichkeiten
der Produktions-Effektivierung seien begrenzt, sagt die Direktorin. „90 Prozent
der Arbeit ist Handarbeit.“ Die Kosten für einen Teil des Gas- und
Stromverbrauches übernehme der Staat. Der Grund ist wohl, dass die Fabrik für
Russland eine wichtige kulturelle Funktion erfüllt. Das Unternehmen bildet
seine Mitarbeiter in traditioneller Handwerkskunst und Malerei aus.
2015 – die Fabrik
hatte gerade große Steuerschulden – kam Hilfe von einer wohlhabenden
Unternehmerin aus der Großstadt Nischni Nowgorod. Elada Nagornaja, Ehefrau des
damaligen Bürgermeisters von Nischni Nowgorod, kaufte die Aktienmehrheit der
Fabrik und tilgte Schulden des Unternehmens bei den Banken.
Souvenire für die
Fußballweltmeisterschaft
Die Direktorin
Krajuschkina ist hoffnungsvoll. Die FIFA hat dem Unternehmen das Recht gegeben,
offizielle Souvenirs für die Fußballweltmeisterschaft zu produzieren. Wenn im
Juni im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft Touristen nach Nischni Nowgorod
kommen, dann biete man auch Besichtigungstouren in der Fabrik an, erzählt die
Direktorin. Am 16. Juni starte in der Stadt Semjonow außerdem das alljährliche
Festival „Goldenes Chochloma“ mit Ausstellungen und Konzerten.
Um den Absatz
stabil zu halten und zu erhöhen, werde das Sortiment ständig überarbeitet. So
produziere man jetzt auch im Chochloma-Stil bemalte Kindermöbel, welche mit dem
Prädikat „100 beste Waren in Russland“ ausgezeichnet wurden. Das Unternehmen
nimmt auch Privat-Bestellungen an. Ich sah mit eigenen Augen, wie eine der
Arbeiterinnen in der Fabrikhalle Totenschädel im Chochloma-Stil bemalte. Wer
der Auftraggeber sei, wollte sie nicht verraten.
Die
Produktionszahlen sind beeindruckend. „Wir produzieren im Jahr eine halbe
Millionen Einzelstücke“, sagt die Direktorin. „Dazu kommen noch einmal 200.000
Löffel. Der Großteil unserer Käufer sind
russische und ausländische Touristen.“ Zu Sowjetzeiten habe man 50 Prozent der
Produktion exportiert. Heute seien es noch fünf bis acht Prozent.
Die Jugend in der
Welt wisse heute nicht, was Chochloma-Malerei ist, sagt die Direktorin. „Auf
Ausstellungen müssen wir erklären, dass das eine einzigartige Handarbeit ist,
dass das aus Holz ist. Die Jugendlichen sagen, dass ist ein Print. Das heißt,
wir müssen die neue Generation mit einem weltberühmten Gewerbe bekannt machen.“
In diesem Jahr zeige man die Waren auch auf zwei Messen in Nürnberg und
Frankfurt am Main.
Der Durchbruch
kam mit dem Ikonen-Gold
Die
Chochloma-Malerei hat zwei historische Wurzeln, die Volkskunst der Bauern und
das technologische Wissen der Altgläubigen. Die Altgläubigen flüchteten während
der Kirchenreform vor dreihundert Jahren aus Moskau in die Wälder des Gebietes
Nischni Nowgorod. Sie halfen den Bauern bei der Veredelung ihrer Malerei. Noch
heute sind die Hälfte der Gläubigen in der Stadt Chochloma Altgläubige, erzählt
die Direktorin.
Was für ein
Wissen brachten die aus Moskau Geflüchteten in die Einöde der Wälder von
Nischni Nowgorod mit? „Die Altgläubigen hatten kein Geld, um Blattgold für
Ikonen zu erwerben. Sie waren gezwungen, eine neue Technologie zu erfinden, um
Gold auf Holz aufzutragen. Da es sehr kluge und gut ausgebildete Leute waren,
die aus Klöstern kamen, hatten sie Kenntnis von Chemie, und sie fanden eine
einmalige Methode Holz zu vergolden.“
Löffel, Schalen
und Becher aus Holz werden in der Fabrik in einem aufwendigen Verfahren so
bearbeitet, dass sie einen Goldschimmer bekommen und dass man aus ihnen kalte
wie heiße Speisen verzehren kann. Zunächst wird die Holzschale mehrmals
grundiert. Dann wird sie mehrmals mit Leinöl eingerieben. Dann wird die leicht
klebrige Schale mit Aluminiumpulver – früher nahm man Zinnpulver – eingestäubt.
Schließlich wird die Schale bemalt und lackiert. Dann wird der Lack in einem
Ofen bei 130 Grad gehärtet. Es bildet sich ein Lack-Film, welcher der silbernen
Farbe des Aluminiumpulvers einen goldenen Schimmer gibt.
Die Scham des
Besuchers
Als ich die
Fabrik verlasse, schäme ich mich ein bisschen. Wieder einmal habe ich mich vom
ersten Eindruck täuschen lassen. Hinter grauen, alten Fabrikmauern arbeiten die
Menschen an alten Maschinen und stellen eine wunderbare Kunst her. Die
Korridore und Flure sehen alt und abgeschabt aus, so als ob hier seit
Sowjetzeiten nichts mehr renoviert wurde. Doch die Kunst steht hier in voller
Blüte!
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