28. September 2020

Text - Bild-Zeitung attackiert politischen Flüchtling aus der Ukraine

28. September 2020  

Oleg Musyka, Organisator des Filmfestivals Demokratie in Flammen in Berlin-Marienfelde im Dezember 2015. Bild: Ulrich Heyden

Oleg Musyka, der den Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014 nur mit Glück überlebte, wird von der "Bild" in einem großen Artikel als "Kreml-Agent" diffamiert und der Wühlarbeit "gegen den Westen und die Nato" bezichtigt

Unter dem Titel "Ist dieser Berliner Aktivist ein Kreml-Agent?" brachte die Bild-Zeitung gestern einen großen "Enthüllungs"-Artikel über Oleg Musyka.

Musyka flüchtete 2014 aus Odessa nach Berlin. Seit 2017 ist er als politischer Flüchtling in Deutschland anerkannt. Die deutschen Behörden konnten offenbar nachvollziehen, dass Oleg Musyka, der den von ukrainischen Nationalisten gelegten Brand im Gewerkschafshaus von Odessa nur knapp überlebte, in der Ukraine Gefahr droht.

"Er organisiert Konferenzen, um Botschaften zu transportieren"

Die "Bild"-Zeitung beschuldigt Musyka nun in einem groß aufgemachten "Enthüllungs"-Artikel der Wühlarbeit "gegen den Westen". Er organisiere Mahnwachen "gegen die 'neofaschistische' Regierung in Kiew", er nehme an "Demonstrationen gegen die Nato" teil, veröffentliche "politische Beiträge bei youTube", und organisiere "Konferenzen, um die politische Botschaft zu transportieren".

Dass ein linker Aktivist aus Odessa in Berlin lebt, Kundgebungen gegen die Nato vor dem Brandenburger Tor organisiert und als Überlebender des Brandes im Gewerkschaftshaus von Odessa in ganz Europa auftritt (Oleg Musyka im Odessa-Film "Lauffeuer" ab Minute 19:46), um die Schweigeblockade über das Massaker zu brechen, schmeckt dem Springer-Blatt nicht. Denn das passt nicht zur Konfrontationspolitik gegenüber Russland.

Für ihren Musyka-Artikel haben sich Redakteure der Bild-Zeitung mit äußerst vertrauenswürdigen Quellen getroffen, nämlich namentlich nicht genannten Mitarbeitern westlicher Geheimdienste. Die Geheimdienstler bestätigten dem Blatt, dass Musyka "intensive Kontakte zu rechtsextremistischen und Kreml-nahen Kreisen" hat. Sehr verdächtig auch: Musyka fliege "regelmäßig nach Moskau". Auch Angela Merkel und Heiko Maas fliegen regelmäßig dorthin. Aber die dürfen das, als eingefleischte Nato-Anhänger.

Hetzkampagne seit sechs Jahren

Die von der Bild-Zeitung gegen Musyka aufgelisteten Vorwürfe sind nicht neu. Sie wurden schon in den vergangenen sechs Jahren von der Maidan-Lobby in den deutschen sozialen Netzwerken gestreut.

Warum nun aber startet die Bild-Zeitung eine Attacke gegen einen politischen Flüchtling, den eigentlich nur Deutsche kennen, die sich mit der Ukraine beschäftigen? Warum widmet sie ihm einen großen Artikel? Nach meinem Eindruck will man in Deutschland Kritiker der Kiewer Staatsstreich-Regierung mundtot machen.

Wie ich zu dieser Einschätzung komme? Niemals in den letzten sechs Jahren wurde ein Oppositioneller aus der Ukraine in eine deutsche Talk-Show eingeladen. Kein großes deutsches Medium fordert die Aufklärung des Massakers von Odessa im Mai 2014. Öffentlichkeitsarbeit ukrainischer Oppositioneller in Deutschland wird aktiv behindert.

Musyka wurden zugesagte Räume für Film- und Diskussions-Veranstaltungen in Berlin und Dresden - offenbar nach Intervention der deutschen Maidan-Lobby - verwehrt. Im Dezember 2015 wurden Raumzusagen vom Haus der Demokratie in Berlin und im November 2018 vom Coselpalais in Dresden zurückgezogen.

Einer Politik der Verhinderung von kritischen Diskussionen über die Ukraine will die Bild-Zeitung nun die Spitze aufsetzen, indem sie schreibt, "westliche Geheimdienste" hätten bereits erkannt, dass Musyka eine Gefahr ist. Nur der deutsche Geheimdienst habe das noch nicht erkannt. Damit versucht die "Bild", Druck auf die deutschen Behörden auszuüben, damit Musyka der Status als politischer Flüchtling aberkannt oder der Status einfach nicht verlängert wird.

Was ist dran am Vorwurf der "Bild"-Zeitung und der Maidan-Lobby in Deutschland, Oleg Musyka habe "Kontakte zu Rechten"? Musyka bestreitet nicht, dass er 2015 auf einer Veranstaltung unter freiem Himmel zur Ukraine in Berlin mit einem Vertreter aus dem rechten Spektrum auf einer Tribüne stand. Doch ihm sei dieser Zusammenhang damals nicht bekannt gewesen, da er neu in Deutschland war und kaum Deutsch sprach.

Frank-Walter Steinmeier durfte sich mit einem ukrainischen Rechtsradikalen treffen

Zufällige Treffen eines Oppositionellen aus Odessa mit deutschen Rechten werden von der Bild-Zeitung und der Maidan-Lobby in Deutschland als Staatsaffäre aufgebauscht. Dass aber der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier sich während des Maidan in Kiew mit Oleh Tjagnibok, dem Vorsitzenden der rechtsradikalen ukrainischen Partei Swoboda getroffen hat, stört weder die Bild-Zeitung noch ein anderes großes deutsches Medium. Denn die Partei Swoboda stand beim Staatsstreich in Kiew 2014 auf der "richtigen Seite". Das entschuldigt offenbar alles.

Wie sagte der Pfarrer Martin Niemöller nach dem Sturz der Naziherrschaft, "als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler." Heute kann man sagen, "als sie die Kreml-Agenten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kreml-Agent".

Man kann nur hoffen, dass politisch interessierte Menschen in Deutschland erkennen, dass es bei der Hetze der Bild-Zeitung nicht nur um Oleg Musyka, sondern um die Freiheit geht, die ukrainische Regierung zu kritisieren und sich dem Konfrontationskurs gegen Russland zu widersetzen. (Ulrich Heyden)

veröffentlicht in: Telepolis

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