28. August 2010

Brennender Sommer

Viele Waldbrände sind gelöscht, doch in den Torfgebieten östlich von ­Moskau wird es noch Wochen weiter schwelen. Eine ­tödliche ­Gefahr, auch für die Feuerwehrleute

Den Wasserschlauch hat sich Schenka über die Schulter geworfen. Der 45-jährige Feuerwehrmann zielt direkt auf den Torfboden vor seinen Füßen. Immer wenn er mit seiner Spritze einen neuen Quadratmeter unter Beschuss nimmt, zischt, dampft und qualmt es weiß wie rot.

Schenka, der vom Aussehen auch gut zehn Jahre älter sein könnte, soll die unterirdischen Torfbrände in den Gemüsegärten an der Peripherie von Schatura löschen. Er arbeitet ohne Atemmaske, auf dem Kopf nur eine einfache Kappe, hinter sich die Kollegen.

Das ganze Gelände liegt unter einer dichten Rauchwolke. Manchmal entzündet sich das trockene Unterholz der Birken. Durch den Rauch huschen die Feuerwehrmänner wie Gespenster. Für das ausgebrannte Gerippe eines Gartenhäuschens können sie nichts mehr tun. Vor einer verkohlten Tür liegen verstreut Tiegel, Töpfe und Pfannen im Schlamm. Ein Stillleben der Verwüstung in einer flachen Gegend, unter einem flachen, blass roten Himmel. Der Wind nimmt ein paar Ascheflocken eine kleine Windstrecke mit und lässt sie in die Lösch-Pfützen fallen, als sei nichts geschehen.

Der harte Wasserstrahl aus der Feuerwehrspritze zertrümmere die Oberfläche und mache den Boden für das Wasser durchlässig, erklärt Schenka. Diese Technologie, um sich der Torfbrände zu erwehren, sei seit Jahrzehnten erprobt. „Wir nennen das Kascha (Brei – die Red.) machen.“ Das Wasser müsse die unterirdischen Glimmbrände vom Sauerstoff abschneiden. In den Torfjaniki, den Torfbrüchen, wuchern und glühen unter der Oberfläche immerhin Brandherde von 600 Grad und mehr. Es lohnt sich, genau hinzusehen, welchen Weg man einschlägt und wohin man tritt, um nicht in einem der Schlammlöcher zu versinken und womöglich in der unterirdischen Glut zu verbrennen.

Es soll Derartiges während der letzten Rekordhitze 1972 vorgekommen sein, erzählen die Feuerwehrleute. Da sei ein ganzer Lastwagen mit Soldaten in einen solchen Schlund geraten, versackt und verbrannt.

Anfang August hat Präsident Dmitri Medwedjew für das gesamte Moskauer Umland den Notstand ausgerufen. Auch in der Stadt Schatura, die zwei Eisenbahnstunden östlich der Hauptstadt liegt, galt der Ausnahmezustand, bis er in dieser Woche wieder aufgehoben wurde und jetzt nur noch für die südöstlich der Hauptstadt gelegene Region Rjasan bestehen bleibt, wo sich noch immer Brandwände durchs Land schieben.

Am vorletzten August-Wochenende gab es nach offiziellen Angaben in der gesamten Föderation 203 Wald- und Torfbrände auf 6.000 Hektar Fläche. Eine Kaltluftfront hat Regen nach Russland gebracht. Das erleichtert die Arbeit der Feuerwehrleute. Die tückischen unterirdischen Brände könnten nach Meinung von Experten bis zum Winter weiter glimmen. Man kennt das aus den Vorjahren.

Aus der Hölle entlassen

Wir stehen mit ein paar Feuerwehrleuten am Rand der Gemüsegärten von Schatura. Hier ist der Rauch gerade noch erträglich. Die Männer haben Angst, fotografiert zu werden, und wollen gleichfalls nicht, dass ihre Familiennamen in der Zeitung auftauchen. Ein Gespräch kommt trotzdem zustande. „Es ist schwer, hier zu arbeiten“, meint Viktor. „Außerdem sind wir nicht mehr die Jüngsten.“ Der 60-Jährige ist seit Mitte Juni täglich im Einsatz. Im Monat verdient er 12.000 Rubel (310 Euro). Dazu kommt im Quartal noch ein Zuschlag von 3.000 Rubel (76 Euro) für „besondere Vorkommnisse“.

Ob man die Torfbrände hätte verhindern können? Viktor muss nicht lange überlegen. „Man hätte die Gebiete, wo kein Torf mehr abgebaut wird, fluten sollen.“ Warum wurde das nicht getan? „Wahrscheinlich reichte das Geld nicht“, wirft einer aus dem Hintergrund ein. Was seine Frau dazu sage, wenn er jeden Tag gegen das Feuer kämpfe? Viktor ist erst verlegen und fährt mit der Hand an die Schläfe. „Ich tue ihr natürlich sehr leid“, sagt er grinsend.

Zwischen den qualmenden Schlammpfützen der Datschen-Gärten schälen sich ein paar fast unversehrte Erdbeer- und Kartoffelfelder heraus. „Jetzt bekommt man hier gebratene Erdbeeren“, scherzt einer der Feuerwehrmänner. Mit schwarzem Humor versuchen sich die Russen über eine Zeit aus Hitze und Rauch zu retten. Einer der neuen Sommerwitze geht so: Wegen ständigen Kicherns werden ein paar Leute vom Teufel aus den Koch-Kesseln der Hölle entlassen. Es waren Russen, denen das Jüngste Gerichts nichts mehr anhaben konnte – sie hatten schon die Glut von Moskau und Umgebung überlebt.

Schatura hat seinen Aufstieg zur Stadt Mitte der dreißiger Jahre dem Elektrizitätswerk zu verdanken, das 1925 im großen Torfgebiet östlich von Moskau gebaut wurde. Die Anlage mit ihren drei großen rot-weißen Türmen bestimmt bis heute das Bild der Stadt. Nur werden bei der Gewinnung von Elektrizität kaum noch Torfbestände, sondern vor allem Gas und Öl eingesetzt. Deshalb sind die Torffelder verwaist. Sie trocknen aus. Jedes Jahr kommt es zu Bränden.

Dass wir Viktor, Schenka und ihr Löschkommando bei Schatura getroffen haben, ist reiner Zufall. Wir kamen von einer Presse-Tour, organisiert vom Ministerium für außerordentliche Situationen (MTschS). Man führte uns allerdings nicht wie versprochen dorthin, wo es noch brennt, sondern in eine Gegend, in der das Löschwasser durch einen gerade erst angelegten Kanal fließt. Er soll dazu dienen, 150 Hektar Torfgebiet zu fluten. Zu Beginn der Fahrt hatte man uns gezeigt, wie übermüdete junge Wehrpflichtige Wasser aus einem Fluss pumpen, das dann mit einem Druck von 20 bar über eine 20 Kilometer lange Rohrleitung dorthin geleitet wird, wo früher das Dorf Sokolja Griva stand.

An dieser Stelle gibt der regionale Einsatzleiter des Ministeriums eine kurze Pressekonferenz. Vorher hat der Fernsehkanal NTW noch seinen Übertragungswagen aufgebaut. Die gute Nachricht, dass es mit den Waldbränden im Gebiet Schatura inzwischen vorbei sei und nur noch Kanäle geflutet würden, soll schnell in die Wohnzimmer. Der Ort für die Pressekonferenz ist gut gewählt. Im Hintergrund sieht man von Feuerwehrleuten gefällte Birken und rauchende Baumstümpfe. Dazu ein grauer, kein roter Himmel mehr.

Einsatzleiter Alexander Martschenko, der eine Löschgruppe von 550 Mann befehligt, wirkt zufrieden. „In einer Stunde werden durch den Kanal bis zu 4.000 Kubikmeter Wasser gepumpt, das dann in die Torfjaniki geleitet wird.“ Derart kostspielige Löschaktionen sind noch lange nicht erledigt. „Unsere Arbeit wird noch bis Oktober dauern, mindestens“, meint Martschenko. Ja, es gäbe Pläne, die nicht mehr genutzten Torfgebiete dauerhaft zu bewässern wie zu Sowjetzeiten üblich. Dafür brauche es öffentliche Gelder. Aber ob die kämen? Auf dass die brandgefährdeten Torfgebiete dauerhaft geschützt werden, müsse man auch die alten Kanäle, Schleusen und Ventile, die bis Anfang der neunziger Jahre noch in Betrieb waren, wieder brauchbar machen.

Das russische Ministerium für außerordentliche Situationen bemüht sich, den Ansturm von Journalisten zu steuern, die seit Wochen in das Umland von Moskau strömen. Panik in der Bevölkerung soll auf jeden Fall verhindert werden. Unter solchen Bedingungen müssen die Reporter gelegentlich wie Detektive arbeiten, auch weil Brandzonen urplötzlich entstehen und die Schauplätze wechseln.

Tiefe Schneisen

So fährt uns ein Taxifahrer zu einem Wald nahe der Stadt Roschal, wo es noch brennen soll. Zu Fuß laufen wir zwei Kilometer auf einem sandigen Waldweg. Dass die Richtung stimmt, lässt sich dem brandigen Geruch entnehmen wie den frischen Spuren von Lastwagen. Schließlich treffen wir auf einen Tankwagen der Moskauer Stadtreinigung, der Wasser aus einem See zum Brandherd bringt. Der Fahrer, ein aufgeräumter junger Mann in kurzen Hosen und mit Zigarette im Mund, hat nichts dagegen, uns das letzte Stück mitzunehmen. Der Wagen hält vor einer Wand aus Rauch. Ein Feuerwehrschlauch, der Wasser aus den Tankwagen zur Bewässerung des schwelenden Bodens leitet, verliert sich irgendwo im Nichts. Das unterirdische Feuer hat tiefe Schneisen in die Landschaft geschlagen. Überall liegen Bäume zum Teil mit Wurzelwerk, zum Teil von Feuerwehrleuten abgesägt, um ein unvorhergesehenes Fallen der mächtigen Stämme zu verhindern. Wenn der Torf schwelt, glimmen auch die Wurzeln. So fallen dann riesige Stämme und vergrößern das Chaos im Brandgebiet.

Wir haben uns gerade ein paar Minuten umgesehen, da kommt schon jemand in einer grauen Militär-Kombi. Der etwa 30-Jährige stellt sich als Einsatzleiter der Forstbehörde vor und fragt nach unserem Anliegen. Es folgt ein Telefongespräch, bevor wir in einen grünen UAS- Jeep gelotst werden. Er bringe uns zu seinem Chef, sagt der Einsatzleiter. Der habe den Überblick und verfüge über alle nötigen Informationen, die wir brauchen. Danach wird minutenlang nichts mehr geredet. Trotzdem rutscht ihm ein Satz heraus, der uns aufhorchen lässt: „Das MTschS hat keine Ahnung, wie man Waldbrände löscht.“

In Moskauer Blättern und auf Internetforen ist ausgiebig darüber berichtet worden, dass der 2007 in Kraft getretene neue Wald-Kodex, mit dem die Regierung privaten Forstpächtern völlige Handlungsfreiheit gewährt, ein Grund für das eklatante Ausmaß der Brände gewesen sei. Parallel zu dieser Aktion wurde die Zahl der Forst-Bediensteten von 170.000 Mitarbeitern auf 12.000 heruntergeschraubt und die Luftüberwachung komplett aufgelöst. Als sich nun die Feuerwalze durch Russlands Wälder fraß, schien das zuständige Ministerium völlig überfordert, sind doch die Männer des MTschS auf die Rettung von Menschenleben in Großstädten spezialisiert, nicht auf Naturkatastrophen.

Vor dem modernen Gebäude der Forstbehörde von Roschal, das mit einem elek­tronisch gesteuerten Gittertor gesichert ist, warten wir eine geschlagene Stunde auf Alexander Beljajew, den Chef. Der lässt sich schließlich entschuldigen, er sei anderweitig beschäftigt, ein Gespräch nicht möglich. Als ich den Beamten am nächsten Tag anrufe, wirkt er überrascht. „Woher haben sie meine Telefonnummer?“, fragt er barsch. Nur soviel ist zu erfahren: „Bei uns gibt es keine Brände, schon gar keine unterirdischen.“

Auch bei der Leitung der Forstbehörde im Moskauer Gebiet stoße ich bei meiner anschließenden Recherche auf eine Mauer des Schweigens. Eine leitende Beamtin des Forstamtes lässt mich ein paar Minuten am Telefon verhungern und verliest dann eine längere Anordnung der Behörde, nach der nur eine einzige Person befugt ist, zum Zustand des Waldes Auskunft zu geben und zwar Sergej Osipow von der Waldbewirtschaftungsbehörde in Roslescho. Überraschend bestätigt der, dass es im Wald von Roschal immer noch unter der Oberfläche brennt. Mehr will er am Telefon nicht sagen. In Katastrophenlagen sind Russlands Beamte noch weniger auskunftsfreudig als zu normalen Zeiten.
Hintergrund

Ulrich Heyden hat in der vorherigen Ausgabe Katastrophenschutzminister Sergej Schojgu porträtiert

veröffentlicht in: der Freitag

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