Der Elefant im Post-Sowjet-Laden
ANALYSE. Russland verliert an Einfluss in seinem einstigen Machtbereich. In den ehemaligen Sowjetrepubliken stürzt ein autokratisches Regime nach dem anderen. Der Kreml reagiert nervös - und hilflos.
MOSKAU. Revolutionen, wohin das Auge reicht. Nervös und hilflos reagiert der Kreml auf die Umwälzungen in den früheren Sowjetrepubliken. Das "nahe Ausland", wie Russland seinen vermeintlichen Hinterhof gern nennt, lebt zunehmend nach eigenem Rhythmus. Erst Georgien, dann die Ukraine, nun Kirgisien. Ein Land nach dem anderen löst sich aus dem Würgegriff von Autokraten, die bei allen Trotzphasen für Moskau zumindest eines waren: berechenbar.
Eine beispiellose Kette von Volksbewegungen fegt korrupte Herrscher hinweg, die alle versucht hatten, sich mit plumpen Wahlfälschungen an der Macht zu halten. Es begann im Herbst 2003 in Georgien. Präsident Eduard Schewardnadse beugte sich in der "Rosen-Revolution" dem Druck der Straße und trat zurück. Ein Jahr danach bereitete in der Ukraine die "orange Revolution" dem moskautreuen Clan um Präsident Leonid Kutschma ein Ende. Und jetzt stürzte Kirgisiens Präsident Askar Akajew, der vor nicht allzu langer Zeit auch noch im Westen als Demokrat gepriesen worden war.
In Moldawien wiederum hat sich der kommunistische Präsident rasch selbst in die Kette der Volksbewegungen eingereiht, indem er den schnellen Anschluss an die EU und den unverzüglichen Abzug der russischen Truppen aus der Provinz Transnistrien forderte.
Die Reaktion Moskaus ähnelt der eines Elefanten, den man am Schwanz zieht. Präsident Wladimir Putin hatte in der Ukraine den Kandidaten des Establishments, Viktor Janukowitsch, offen unterstützt - auch, als die Wahlfälschung offensichtlich war. Eine krasse Fehleinschätzung. Die Kreml-Auguren hatten nicht erkannt, wie angewidert sich die ukrainische Mittelschicht vom Kutschma-Clan abgewandt hatte.
Der Fehler wiederholte sich: Durch Einmischung verlor Moskau selbst in Regionen, wo es einst viele Anhänger hatte, Sympathien. In Abchasien etwa, einer von Georgien abtrünnigen Region, half Putin im Präsidentschaftswahlkampf zu Ex-Geheimdienstoffizier Raul Chadschimba. Prompt verlor der die Wahl. Es siegte Oppositionskandidat Sergej Bagabsch.
Moskaus Außenpolitik in den ehemaligen Sowjetrepubliken ist offensiv, nach Niederlagen aber auch erstaunlich pragmatisch: So reiste der damalige Außenminister Igor Iwanow in der Hochphase der "Rosenrevolution" nach Tiflis, um Schewardnadse zum Rücktritt zu drängen. Russland schützte den "weißen Fuchs" damit vor Racheakten und zeigte gleichzeitig Präsenz. Erstaunlich pragmatisch war auch Putins erster Auftritt in Kiew nach der orangen Revolution. Der Kreml-Chef war im Ton weich und erklärte, mit Kiew gebe es "keinerlei" Meinungsverschiedenheiten.
Die Versuche Moskaus, den "bunten Revolutionen" zu trotzen, wirken aber hilflos, denn über ihre Ursachen - Korruption, Wahlfälschung, Armut - will man nicht ernsthaft sprechen. Insgeheim fürchtet man, dass auch in Russland die "gelenkte Demokratie" Putinschen Typs gegen die "westliche Demokratie" verlieren könnte.
Daher will man den Stürmen in der Nachbarschaft nicht länger tatenlos zusehen. Nun ernannte Putin den Politwissenschaftler Modest Kolerow zum Leiter einer neuen Abteilung in der Präsidialverwaltung, die sich um "regionale und kulturelle Beziehungen" zum Ausland, insbesondere zu den Ländern der GUS, kümmern soll.
Das heißt konkret: Flagge zeigen. Kolerow will, dass Russland im "nahen Ausland" präsent bleibt und Militärbasen in Mittelasien und im Kaukasus unterhält. Auch die Ukraine dürfe keine "Marionette Amerikas" werden. Kolerow solle wohl vor allem "weiteren Revolutionen im postsowjetischen Raum vorbeugen", schreibt der Moskauer "Kommersant".
Die neue alte Gefahr für Russland ist auf jeden Fall erkannt: Sie kommt aus dem Westen. In der von Kolerow geleiteten Internetzeitung "Regnum.ru" war unter dem Titel "Front gegen Russland" zu lesen, man müsse verhindern, dass Russland entlang der Wolga (an der Wolga leben viele moslemische Völker) aufgebrochen und der europäische Teil Russlands von Brüssel "ferngesteuert" wird.