31. December 2008

Deutschland, das Traumland der Russen

Von SZ-Korrespondent Ulrich Heyden, Moskau

Schiller war der vollkommene Deutsche, wie er im Buche steht.“ In seiner Erzählung „Der Newski-Prospekt“ porträtiert der Schriftsteller Nikolai Gogol den strebsamen Herrn Schiller, einen deutschen Handwerker in St. Petersburg. „Bereits mit zwanzig Jahren, in jenem glücklichen Alter, da der Russe einfach ins Blaue hinein lebt, teilte sich Schiller sein Leben ein und hielt unter allen Umständen an dieser Einteilung fest.“ Der deutsche Handwerker legte sich zahlreiche Pflichten auf, hielt sein Wort unter allen Umständen, war überaus sparsam und küsste seine Frau nur zweimal am Tag. So die Beobachtungen des russischen Schriftstellers in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Gogols Erkenntnis

Seitdem Gogol seine Erzählung schrieb, hat sich nicht viel geändert. Bei einem Deutschen, der in Russland zu spät kommt, wird schon mal gefrotzelt: „Ich denke, die Deutschen sind alle pünktlich?!“ Unverständlich ist den Russen bis heute die deutsche Sparsamkeit, die bei manchen auch als „Schadnost“ (Geiz) verschrien ist. Dass in einem deutschen Kühlschrank schon mal etwas steht, auf das nur eine Person Zugriffsrecht hat, ist für einen Russen fast so schlimm wie Folter. Lieber ein kurzes Leben mit Teilen und Genuss als ein langes mit Haushaltsbuch und strikter Sparsamkeit.

Deutschland erscheint vielen Russen als Traumbild einer Welt, in der es ordentlich und sauber zugeht. Kein Kampf um das tägliche Überleben; Krankenkassen, die alles bezahlen; zuvorkommende Polizisten, eine freundliche Bedienung, gepflegte Städte, schnuckelige Einfamilien-Häuser und eine Autobahn so glatt wie ein Kinderpopo. Das ist Deutschland.

Eine Geschäftspartnerschaft mit einem Deutschen ist für russische Unternehmer der Traum schlechthin. „Wir gehören doch zusammen, wir sind doch natürliche Partner. Wir haben die Rohstoffe, ihr die Technologie“, hört man immer wieder in Gesprächen. Wer als Deutscher in Russland weder ein eigenes Auto noch ein Foto von einem Haus in Deutschland vorzeigen kann, dem traut man nicht über den Weg.

Denn viele Russen sind sich ganz sicher, dass alle Deutschen ein Haus und mindestens ein Auto haben. Man habe sie doch gesehen, die deutschen Rentner, die mit schicken Bussen durch St. Petersburg fahren. „Mehrmals im Jahr können die Urlaub machen, so hoch sind die Renten in Deutschland.“ Von den Arbeitslosen brauche man gar nicht erst zu reden, hört man oft. „Die können ja richtig froh sein bei der Unterstützung, die sie kriegen.“

Nach einer in diesem Jahr von den Meinungsforschern in Allensbach und dem Moskauer Lewada-Zentrum parallel in Russland und Deutschland durchgeführten Umfrage ist Deutschland für die Russen der erträumte Bündnispartner Nummer eins. Ungeachtet von Millionen russischen Opfern im Zweiten Weltkrieg erklärten 51 Prozent der Russen, sie wünschten sich eine möglichst enge Zusammenarbeit mit Deutschland.

Damit belegt die Bundesrepublik in der Rangliste der Länder den Spitzenplatz. Dahinter liegen die frühere Sowjetrepublik Weißrussland mit 50 Prozent sowie China und Frankreich.

Die positive Einstellung gegenüber Deutschland ist vor allem Ergebnis einer recht freundlichen Berichterstattung. 56 Prozent der Russen erklärten, dass die Medienberichterstattung über Deutschland eher positiv ist. Die Russen und die Deutschen fühlen bei aller Symphatie, die es füreinander gibt, allerdings recht unterschiedlich. Während 45 Prozent der Russen sagen, dass sie die Deutschen mögen, antworteten nur 25 Prozent der befragten Deutschen, dass sie die Russen mögen.

Stolz auf den Sieg

„Hitler kaputt!“ – Immer noch recht häufig hört man im russischen Alltag dieses Wort-Paar, meist in einer Situation übermütiger Freude. Der Sieg über Hitlers Armee ist etwas, worauf die Russen bis heute sehr stolz sind. In den Filmen über den Zweiten Weltkrieg, die bis heute unaufhörlich laufen, wird fein säuberlich unterschieden zwischen den „bösen Faschisten“ und dem „deutschen Volk“.

Von Verbrechen der deutschen Wehrmacht wollen die Russen partout nichts wissen. „Das waren Soldaten, die nur Befehle ausführten“, so die landläufige Meinung. Deutsche hätten so viel Ehr- und Pflichtgefühl, dass man sich vor ihnen eigentlich nicht zu fürchten braucht. Auch die deutschen Soldaten – so die feste Meinung – waren im Grunde anständige Kerle.

Sicht auf die Deutschen

Umfragen zufolge wünschen sich 51 Prozent der Russen eine möglichst enge Zusammenarbeit mit Deutschland. Damit nimmt die Bundesrepublik in der Länderliste den Spitzenwert ein.

Hinter Deutschland rangieren Weißrussland (50 Prozent), China (47 Prozent) und Frankreich (45 Prozent).

Feindseligkeit empfinden 68 Prozent der befragten Russen dagegen von Seiten Georgiens, der USA (65 Prozent) und der Ukraine (50 Prozent). Nur zwei Prozent der befragten Russen empfinden von deutscher Seite Feindseligkeit gegenüber dem eigenen Land. (SZ)

"Sächsische Zeitung"

Teilen in sozialen Netzwerken
Im Brennpunkt
Bücher
Foto