19. June 2007

Die Kreml-Wundertüte, 19.06.07

Russland Die Liste der möglichen Nachfolger von Präsident Wladimir Putin wird immer länger

Im Frühjahr 2008 wird in Russland ein neuer Präsident gewählt. Damit es bis zu den Wahlen nicht langweilig wird, öffnet der Kreml gelegentlich seine Wundertüte.
In acht Monaten wird in Russland ein neuer Präsident gewählt. Eins ist jedoch jetzt schon sicher: Der Nachfolger wird ein Vertrauter des Amtsinhabers sein. Und die Wähler werden dem von Putin Auserwählten ihre Stimme geben.

Kürzlich erklärte Präsidenten-Berater Igor Schuwalow, man solle sich auf eine Überraschung gefasst machen: «Vielleicht erfahren Sie bis zum Jahresende von noch einem möglichen Kandidaten.» Putin habe nicht vor, die Verfassung zu ändern, um für eine dritte Amtszeit zu kandidieren. Und wann ernennt der Kreml-Chef seinen Nachfolger? Der Präsident werde sich erst zu den Kandidaten äussern, «wenn auf den Stimmzetteln Namen stehen», erklärte Putins Pressesprecher Dmitri Peskow.

Anschlag auf Gouverneurin

Wer ist der dritte Kandidat, oder gibt es womöglich auch eine Kandidatin? Die Liste der möglichen Kandidaten wird immer länger. Häufig genannt wird Wladimir Jakunin, Chef der russischen Eisenbahn. Aber auch Walentina Matwijenko, die Gouverneurin von St. Petersburg, schien plötzlich präsidiabel. Dass sie zu den möglichen Kandidaten gezählt wird, hatte allerdings einen traurigen Anlass. Vor kurzem hatte der Geheimdienst einen angeblichen Anschlag auf die Gouverneurin aufgedeckt. Böse Zungen vermuteten einen PR-Trick.

Putin hatte vor kurzem erklärt, für seine Nachfolge käme auch ein Gou-verneur infrage. Die «Iswestija» nannte die Namen weiterer Kandidaten aus dem Kreis der Gouverneure: Aleksandr Tkatschew, Gouverneur des süd-russischen Gebiets Krasnodar und bekannt für seine nationalistischen Ausfälle gegen armenische Gastarbeiter, Aleksandr Chloponin, Gouverneur des sibirischen Krasnojarsk-Gebietes, früher Direktor des weltgrössten Nickel-Kombinats im nordrussischen Norilsk. Zu den möglichen Putin-Nachfolgern zählen Beobachter auch Sergei Naryschkin. Der Vize-Ministerpräsident trat bisher nur selten in der Öffentlichkeit auf. Er gehört zu den «grauen Kardinälen» der russischen Regierung. Naryschkin ist Autor mehrerer Gesetzesreformen und in der Regierung für die Beziehungen zu den GUS-Republiken und der EU zuständig. Er kommt aus der «Kaderschmiede» St. Petersburg.

Professorensohn und «Falke»


Im russischen Fernsehen war bisher nur die Rede von zwei möglichen Putin-Nachfolgern, Dmitri Medwedjew und Sergei Iwanow. Beide kommen aus St. Petersburg. Der eine kommt aus einer Professorenfamilie, der andere aus einer Familie von Militärangehörigen. Medwedjew profiliert sich in der Öffentlichkeit mit den nationalen Sonderprogrammen, Finanzhilfen der Regierung für den Gesundheits- und Bildungsbereich, den Wohnungsbau und die Landwirtschaft. Hardliner Iwanow ist für den Industriesektor und die Rüs-tungsindustrie zuständig. Die möglichen Nachfolger wirken jedoch im Vergleich zum populären Wladimir Putin farblos.

Kasparows Träume

Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow wünscht sich zu den Präsidentschaftswahlen einen gemeinsamen Kandidaten von Liberalen, Linken und Nationalisten. Nur gemeinsam sei es möglich, demokratische Wahlen gegen das «Regime» durchzusetzen, danach werde man weitersehen, so der Führer des Oppositionsbündnisses «Das andere Russland». Wen das Bündnis zu den Präsidentschaftswahlen ins Rennen schickt, soll auf einer Konferenz im Juli entschieden werden.

Aus dem demokratischen Spektrum haben bisher vier Politiker ihre Kandidatur angemeldet. Der ehemalige Ministerpräsident Michail Kasjanow und der ehemalige Chef der Zentralbank, Wiktor Geraschenko, wollen für «Das andere Russland» kandidieren. Beiden fehlt aber eine «soziale Komponente», die nach Meinung von Kasparow für ein gutes Ergebnis bei den Präsidentschaftswahlen nötig ist.

Eigensüchteleien


Auch der Vorsitzende der liberalen Jabloko-Partei, Grigori Jawlinski, will zu den Präsidentschaftswahlen kandidieren. Seine liberalen Konkurrenten von der «Union der rechten Kräfte» kritisiert er für Anpassung an die Politik des Kreml. Die Kommunistische Partei wird zu den Präsidentschaftswahlen ihren Vorsitzenden Gennadi Sjuganow ins Rennen schicken. Die Angebote, sich mit Garri Kasparows «Anderem Russland» zu vereinigen, lehnte der Vorsitzende der Kommunistischen Partei ab.

Dass es im Lager der Putin-Gegner nicht zu einer Einheit kommt, liegt wohl vor allem an Eigensüchteleien. Es gibt viele Führer › aber wenig Volk. Beobachter meinen, die Polittechnologen im Kreml seien auch nicht ganz unschuldig an der Zersplitterung. Einen Teil der Opposition hätten sie mit Angeboten geködert.

Aargauer Zeitung

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