ladimir Putin steht vor einer großen Landkarte. Mit einem Filzschreiber zieht der Kreml-Chef eine Linie. Semjon Wajnstock, Chef des staatlichen russischen Pipelinekonzerns „Transneft“, guckt ungläubig. Soeben hat der Kreml-Chef die Strecke der geplanten Ölpipeline nach China um 40 Kilometer nach Norden verlegt. Das russische Fernsehen überträgt die Szene. Die Umweltschützer in ganz Russland jubeln.
Die Sensation war perfekt. Mit einer derartigen Anordnung hatte eigentlich niemand mehr gerechnet. Umweltschützer hatten landesweit gegen die ursprüngliche Route demonstriert, Wissenschaftler in Sibirien eindringlich gewarnt. Wer eine Pipeline in der Erdbebenregion am Baikal-See verlege, riskiere, dass der See im Falle einer Leckage von einem Öl-Film überzogen werde und sterbe, hatten die Ökologen erklärt. Das größte Trinkwasserreservoir der Welt mit seiner einzigartigen Tier- und Pflanzenwelt sei in Gefahr. „Transneft“ wollte es sich einfach machen und für den Pipeline-Bau die Infrastruktur der Baikal-Amur-Bahn nutzen, die sich am Nord-Rand des Sees durch bis zu 17 Kilometer lange Tunnel gräbt.
„Transneft“-Chef Wajnstock hatte in den letzten Wochen immer wieder beteuert, die Pipeline durch die Berge weiter nördlich zu verlegen, sei wirtschaftlich „nicht machbar“. Das treibe die Kosten um 900 Millionen Dollar hoch und mache das 12-Milliarden-Dollar-Projekt „unwirtschaftlich“. Doch in Tomsk erklärte Putin kategorisch: „Wenn es auch nur eine geringfügige Wahrscheinlickeit gibt, dass der Baikal verschmutzt wird, dann dürfen wir, wenn wir an die zukünftigen Generationen denken, diese Gefahr nicht nur minimieren, sondern müssen sie ausschließen.“ Die Symphatiewerte für den Kreml-Chef schnellten auf eine neue Rekordhöhe. Pipeline-Bauer Wajnstock fügte sich kleinlaut. „Ich bin Soldat, der Präsident ist der Oberkommandierende. Befehle werden nicht diskutiert.“
Am vergangenen Freitag wurde nun im sibirischen Tajschet die erste Schweißnaht für die 4.000-Kilometer-Pipeline gelegt. Man begann mit dem Bau, obwohl das Strecken-Stück nördlich des Baikal noch neu vermessen werden muss. Trotzdem will „Transneft“ die Pipeline, wie geplant, bis Ende 2008 fertig haben.
So demonstrierten russische Umweltschützer monatelang gegen den ursprünglich geplanten Verlauf der Ölleitung direkt am Ufer des Baikal-Sees. |
Der Baikal-See ist 630 Kilometer lang und 50 Kilometer breit. Er speichert nicht nur ein Fünftel des weltweit vorhandenen Trinkwassers, er ist auch die Heimat vieler Tiere und Pflanzen, die man nur in dieser Region findet. Dazu gehört die Süßwasser-Robbe und der Golomjanka. Dieser lebendgebärende Fisch, der die kalten Tiefen des Baikal liebt, gehört zur Lieblingsspeise der Robben. Der Bedarf ist groß: Seehunde fressen bis zu fünf Kilogramm Fisch täglich.
Die Baikal-Robben sind die einzigen Süßwasser-Robben der Welt. Sie haben ein graues Fell und sind 130 Zentimeter lang. Im Sommer tummeln sie sich auf den Felsen im Winter leben sie unter der Eisdecke und schaben sich mit ihren scharfen Flossen Luftlöcher in das 90 Zentimeter dicke Eis. Die Baikal-Robbe stammt von ihren Artgenossen in der Arktis. Von dort wanderten Robben über verschiedene Seen zum Baikal.
Noch ist der eineinhalb Kilometer tiefe See weitgehend unverschmutzt. Doch der Baikal, den die UNESCO auf Initiative russischer Umweltschützer 1996 zum Weltkulturerbe erklärte, ist schon seit langem in Gefahr. 1966 wurde im Süden des Baikal ein Papierkombinat in Betrieb genommen. Obwohl es nach den damals gültigen Gesetzen schon 1992 seinen Betrieb einstellen sollte, produziert es noch heute und verschmutzt den Südteil des Baikal-Sees mit seinen Abwässern. Die Zellulose wird im Chlorbleichverfahren hergestellt. Dabei werden Dioxine, Phenole und Chlorverbindungen frei.
Aber die Gefahr durch die Öl-Pipeline ist mit der präsidialen Entscheidung für die Verlegung nach Norden wohl gebannt. Russlands Umweltschützer können es noch immer nicht ganz fassen, dass sie mit ihren Aktionen Erfolg hatten. Wenn die Entscheidung von Putin umgesetzt wird, sei das ein Beweis, dass es in Russland eben doch „so etwas wie eine Zivilgesellschaft gibt“, so Jewgeni Ussow, Vertreter von Greenpeace Russland.
Mit der Ost-West-Pipeline, die auf einen Plan des vom Kreml zerschlagenen Ölkonzern Jukos zurückgeht, sollen jährlich 80 Millionen Tonnen sibirisches Öl von Tajschet im Gebiet Irkutsk bis nach Skoworodino im Grenzgebiet zu China und weiter bis zum Pazifik-Hafen Nachodka gepumpt werden. Über einen Abzweig von Skoworodino können jährlich 30 Millionen Tonnen Öl ins nordchinesische Dazin fließen. Zum Vergleich: Deutschland importierte 2004 etwa 45 Millionen Tonnen Rohöl aus Russland.
veröffentlicht in: Eurasisches Magazin