2. September 2021

Duma-Wahlen in Russland – Der Kreml warnt vor westlicher Einmischung und führt zusätzliche Kontrollen ein

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02. September 2021 um 9:10Ein Artikel von Ulrich Heyden | Verantwortlicher: Redaktion

Vom 17. bis zum 19. September wählen die Russinnen und Russen Abgeordnete für das russische Unterhaus, die Duma. 14 Parteien stehen zur Wahl. Darunter sind die vier Parteien, die in der Duma vertreten sind, die Regierungspartei „Einiges Russland“, die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF), die Liberaldemokratische Partei von Wladimir Schirinowski und die sozialistische Partei „Gerechtes Russland – Für die Wahrheit“. Aus Moskau berichtet Ulrich Heyden.

Eine spannende Frage wird sein, ob „Einiges Russland“, die seit den Duma-Wahlen 2016 343 der insgesamt 450 Abgeordneten stellt, Verluste einstecken muss. Die von Einiges Russland 2018 beschlossene Heraufsetzung des Renteneintrittsalters hatte in der Bevölkerung für erheblichen Unmut gesorgt.

Kommunisten legen zu

Das staatliche Meinungsforschungsinstitut WZIOM hat eine Meinungsumfrage veröffentlicht, die Erstaunliches zeigt. Die Bereitschaft, „Einiges Russland“ zu wählen, fiel von 30 Prozent (Mitte Juni) auf 26 Prozent (Ende August). Die Bereitschaft, KPRF zu wählen, stieg im gleichen Zeitraum von zwölf auf siebzehn Prozent.

Außer den vier in der Duma vertretenen Parteien kandidieren zehn weitere Parteien: die KPRF-Abspaltung „Kommunisten Russland“, zwei grüne Parteien, die „Partei der Pensionäre“, die patriotische „Heimat“, die sozialliberale Partei „Jabloko“, die wirtschaftsliberale Partei „Wachstum“, die von dem linken Blogger Maxim Schewtschenko geführte „Russische Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“ sowie die neugegründeten Parteien „Neue Leute“ und die patriotische „Bürgerplattform“.

Nach Wahlumfragen hat von den kleinen Parteien nur „Heimat“ eine Chance, in die Duma zu kommen.

In den Wahlkampfdebatten, die in fünf russischen Fernsehkanälen übertragen werden, geht es demokratisch zu. Alle Parteien kommen zu Wort. Allerdings beteiligen sich Vertreter der Regierungspartei kaum an diesen Debatten.

Die Fernseh-Moderatoren halten sich bei den Debatten im Hintergrund (Video: Wahlkampfdebatte mit sieben Parteienvertretern). Äußerungen, die nicht der vom Kreml vorgegebenen Linie entsprechen, werden nicht zensiert. So konnte der linke Video-Blogger Maxim Schewtschenko, der mit seiner kleinen Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ zu den Wahlen antritt, die Freilassung des Oppositionspolitikers Aleksej Navalny fordern. Der Moderator fuhr im nicht ins Wort. Die Verfolgung von Andersdenkenden und Journalisten – so Schewtschenko – „schadet Russland, denn sie führt zu westlichen Sanktionen, die vor allem die Niedrigverdiener treffen“. Die Macht mache „die Außenpolitik zur Innenpolitik“, meinte der Blogger, der bis 2018 Mitglied im Rat für Menschenrechte beim russischen Präsidenten war.

Verteidigungsminister Schoigu Spitzenkandidat von „Einiges Russland“

Offenbar weil Putin ahnte, dass die Regierungspartei Einiges Russland wegen der Rentenreform und einer ausbleibenden wirtschaftlichen Gesundung zurzeit kein gutes Bild abgibt, schlug er vor, die Spitzenplätze der Liste von Einiges Russland an zwei Politiker zu vergeben, die in der Bevölkerung hohes Ansehen genießen. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu, der an der Gründung von „Einiges Russland“ 2001 führend beteiligt war, kandidiert auf Platz 1. Der populäre Außenminister Sergej Lawrow, der seit 2004 im Amt ist, auf Platz 2. Beide Politiker stehen für ein starkes Russland, welches in der Welt Anerkennung genießt. Offenbar spekuliert der Kreml darauf, dass die Russen, die mit der Sozialpolitik der russischen Regierung unzufrieden sind, wegen der Spitzenkandidaten Schoigu und Lawrow doch noch einmal „Einiges Russland“ wählen.

Dass Schoigu und Lawrow ihr Abgeordnetenmandat nach der Wahl annehmen, ist allerdings unwahrscheinlich. 2011 war Wladimir Putin der Spitzenkandidat von Einiges Russland. Er hat sein Mandat nach der Wahl nicht angenommen. 2016 führte der ehemalige Ministerpräsident Dmitri Medwedew „Einiges Russland“ als Spitzenkandidat. Auch Medwedew nahm sein Mandat nicht an.

Der Kreml will nichts dem Zufall überlassen

Westliche Medien stellen in der Berichterstattung zur Duma-Wahl in Russland die Verfolgung von Oppositionellen und Journalisten in den Mittelpunkt. Tatsächlich geht der Kreml wesentlich schärfer gegen Personen vor, die sich frontal gegen das System stellen. Und sogar die KPRF muss mit Demütigungen rechnen, wenn ihre Abgeordneten zu Gesprächen mit den Bürgern zu Treffen unter freiem Himmel aufrufen. In Moskau kam es bei einem solchen Treffen zu Festnahmen.

Dass es aber in Russland keine oppositionellen Medien mehr gibt, ist falsch. Der oppositionelle Kabel-Kanal „Doschd“ sendet wie gewohnt. Weil er Geldzuflüsse aus dem Ausland hatte – allein 2016 42.000 Euro – muss er jetzt aber angeben, dass er „ausländischer Agent“ ist. Der liberale Fernsehkanal wird auch nicht mehr zu Veranstaltungen des Kreml zugelassen, weil er nach Meinung von Putins Sprecher Dmitri Peskow „zu ungesetzlichen Aktionen“ aufgerufen hat. Gemeint sind offensichtlich die nicht zugelassenen Demonstrationen von Navalny-Anhängern.

Auch der populäre von Gasprom finanzierte Radio-Kanal „Echo Moskau“, in dem regelmäßig Oppositionelle auftreten, sendet ohne Behinderungen.

Doppelte Standards der deutschen Medien

Es ist schon erstaunlich, wie die deutschen Medien versuchen, Probleme liberaler Medien in Russland als „Journalisten-Unterdrückung“ auszuschlachten. Wenn in der Ukraine die oppositionellen Fernsehkanäle ZIK, Newsone und 112 abgeschaltet werden, ist das den großen deutschen Medien nur eine Randnotiz wert oder es wird überhaupt nicht darüber berichtet.

Keine Frage: Wer sich in Russland frontal gegen das System stellt, egal ob von rechts oder von links, riskiert harte Reaktionen. Der Linkspolitiker Nikolai Platoschkin, der die „Bewegung für einen neuen Sozialismus“ gründete, saß wegen eines angeblichen Aufrufs zu Massenunruhen fast ein Jahr im Hausarrest und darf als Vorbestrafter jetzt nicht an den Duma-Wahlen teilnehmen, fährt aber durchs Land und agitiert für die KPRF.

Der rechtsliberale Oppositionspolitiker Aleksej Navalny sitzt seit Januar wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen im Gefängnis. Sein Internetportal navalny.com wurde gesperrt. Der von Navalny gegründete „Fond gegen Korruption“ wurde als extremistisch verboten. Auf Youtube ist das Team von Navalny aber nach wie vor präsent. Die Videos dort bekommen in der Regel über zwei Millionen Klicks.

Was der Kreml fürchtet

Warum geht der Kreml hart gegen die frontalen Kritiker des Systems Putin vor? Der Kreml ist sich offenbar nicht sicher, ob es russischen Oligarchen, die jetzt im Ausland sitzen, nicht doch irgendwann gelingt, bei möglichen Protestbewegungen in Russland über ihre russischsprachigen Medien und YouTube-Kanäle in der russischen Politik nicht nur mitzumischen, sondern diese Protestbewegungen durch Vertrauensleute auch zu steuern.

Der Maidan ist dem Kreml eine Warnung. Petro Poroschenko hatte die wochenlange Besetzung der Innenstadt von Kiew mit seinem „5. Kanal“ rund um die Uhr begleitet und dadurch in der Ukraine den Eindruck verbreitet, das ganze Land sei gegen Janukowitsch und für den Maidan.

Wahlen in Deutschland und Russland – wo sind die Unterschiede?

Bemerkenswert ist, dass in Russland keine rechtsextremen Parteien zu den Wahlen antreten, im Gegensatz zu Deutschland. Diese Tatsache wird leider von den deutschen Medien unterschlagen.

In Deutschland versprechen die Parteien mehr soziale und klimagerechte Politik, Stabilität und den Schutz der Wirtschaft. In Russland beschränkt sich der Kreml nicht auf Versprechungen. Er zeigt schon vor der Wahl, dass ihm die Lage der Rentner und Militärangehörigen wichtig ist. Putin versprach Soldaten und Rentnern jetzt einen Inflationsausgleich von 172 Euro beziehungsweise 114 Euro. Offenbar spekuliert der Kreml darauf, dass die mit dieser Sonderprämie Bedachten zur Wahlurne gehen und sich dankbar zeigen.

In Deutschland wird an einem Tag, in Russland an drei Tagen – vom 17. bis 19. September – gewählt, was die Ansteckungsgefahr wegen der Corona-Krise vermindern soll. Die Opposition sieht in dieser Maßnahme eine Gefahr für einen korrekten Wahlablauf.

In Deutschland sind Video-Übertragungen aus den Wahllokalen nicht zugelassen. In Russland wurden nach den Protesten gegen Wahlfälschungen bei den Präsidentschaftswahlen 2012 das erste Mal Online-Übertragungen aus allen Wahllokalen eingeführt. Die Zentrale Wahlkommission hat diese Live-Übertragung für die Duma-Wahl im September nicht zugelassen. Zuerst hieß es, dafür sei kein Geld da. Dann wurde erklärt, dass die Live-Übertragungen per Internet durch Cyber-Attacken aus dem Ausland gestört werden könnten.

In Deutschland wird in Wahllokalen und per Briefwahl gewählt. In Moskau kann zusätzlich noch online gewählt werden.

Russische Linke verbittert wegen der neuen Kontrollen

Die russische Linke ist verärgert über das Wahlprozedere. Eine Wahl, die sich über drei Tage hinzieht, mache Fälschungen einfach, heißt es aus der KPRF. Die Urnen in den Wahllokalen würden zwei Nächte unbewacht sein. Wer könne garantieren, dass in diesen Nächten nicht Wahlzettel für Einiges Russland in die Urnen geworfen werden?

Das größte Ärgernis für die KPRF ist aber, dass die Zentrale Wahlkommission den KPRF-Spitzenkandidaten und Agrar-Unternehmer Pawel Grudinin am 24. Juli von den Duma-Wahlen ausgeschlossen hat. Grudinin ist in ganz Russland bekannt, weil er 2018 für die KPRF bei den Präsidentschaftswahlen gegen Putin kandidierte und elf Prozent der Stimmen bekam. Er sollte bei den Duma-Wahlen als Zugpferd dienen.

Die Wahlkommission begründete den Ausschluss von den Wahlen damit, dass man Dokumente habe, die nachweisen, dass Grudinin Wertpapiere in der Offshore-Zone Belize besitzt. Grudinin erklärte, diese Wertpapiere hätten ihre Gültigkeit verloren. Außerdem sei er ja auch vor der Präsidentschaftswahl 2018 überprüft worden und da habe es keine Beanstandungen gegeben.

Als das Oberste Gericht Russlands den Ausschluss von Grudinin von den Wahlen für rechtmäßig erklärte, versammelte sich die Parteiführung vor dem Gericht. Der Vorsitzende der KPRF, Gennadi Sjuganow, war außer sich. Er sagte in die Fernsehkameras: „Das ist kein Gericht, sondern ein Strafgerichtshof, der sich nicht nach der Logik und nicht nach dem Gesetz richtet.“ An die Wähler gewandt erklärte Sjuganow, die Duma-Wahl sei „die letzte Chance, die Situation zu ändern“. Solche scharfen Worte sind von Sjuganow neu.

Aus diesen Worten sprach Verzweiflung. Dabei war die KPRF mit einer ganz anderen Stimmung in den Wahlkampf eingestiegen. Da hatte es geheißen, bei dieser Wahl habe man die Möglichkeit, mit 30 Jahren Kapitalismus Schluss zu machen.

Was fordert die KPRF?

Das Wahlprogramm der Partei trägt den anspruchsvollen Titel „Zehn Schritte zur Macht des Volkes“. Die wichtigsten Forderungen in diesem Programm sind: „Stopp der ungezügelten Preiserhöhungen. Erhöhung des Minimaleinkommens auf 287 Euro.» Das Mindesteinkommen in Moskau liegt zurzeit bei 236 Euro, in den meisten russischen Regionen aber bei nur 147 Euro.

Eine weitere Forderung der Partei ist „die Sicherstellung einer kostenlosen und hochqualifizierten Ausbildung und Gesundheitsversorgung“. Heute können nur Schulabgänger mit sehr guten Abschlussnoten auf ein kostenloses Studium hoffen. Für Spielkreise in den Schulen müssen die Eltern Geld bezahlen.

Bei Operationen in russischen Krankenhäusern ist es seit den 1990er Jahren üblich, dass die Angehörigen eines Patienten den Ärzten ein Geldgeschenk machen.

Weiter fordert die Partei die Abschaffung der 2019 in Kraft getretenen Erhöhung des Renteneintrittsalters.

Arme sollen gar keine Steuern mehr zahlen, Reiche stärker besteuert werden. Eine progressive Einkommensteuer, wie von der Partei lange gefordert, gibt es in Russland bis heute nicht. Egal ob Arbeiter oder Unternehmer, alle zahlen den gleichen Steuersatz von 13 Prozent.

Die Partei fordert „eine neue Industrialisierung, gestützt auf Spitzentechnologien“ und eine „Überführung der Bodenschätze und der Schlüsselindustrien in Volkseigentum“.

Die Partei fordert „das Aussterben und die Verarmung Russlands zu stoppen“. Russland hat heute 146 Millionen Einwohner. Nach einer im April veröffentlichten Prognose des Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung wird die Einwohnerzahl in Russland bis 2024 um 1,7 Millionen Menschen abnehmen. Dies hat nach Meinung von Experten vor allem mit der geringen Geburtenrate in den chaotischen 1990er Jahren zu tun.

Die nächsten Wochen werden spannend, denn auf den Fernsehkanälen laufen die Wahldebatten. Und in diesen Debatten geht es zum Teil hoch her. Eins ist jetzt schon sicher: In Russland wird die Partei gewinnen, von welcher sich die Menschen am ehesten die Sicherung ihrer sozialen Rechte versprechen.

veröffentlicht in: Nachdenkseiten

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