Ein Brückenschlag über den Dnjepr
Präsident Viktor Juschtschenko unterschreibt die Entscheidung, die seinen Opponenten Janukowitsch faktisch zum Regierungschef macht.
Entscheidung. Mit einer breiten Koalition will Präsident Juschtschenko die Machtkrise beenden. Die vier Monate dauernde Machtkrise in der Ukraine ist beendet. Der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko ist bereit, dem Parlament seinen ehemaligen Widersacher Viktor Janukowitsch als zukünftigen Ministerpräsidenten vorzuschlagen. Die Bestätigung von Janukowitsch, der die im Osten des Landes starke „Partei der Regionen“ führt, gilt als sicher. Der Großteil der Fraktion der Präsidenten-Partei „Unsere Ukraine“ sowie die kleinen Fraktionen der Sozialisten und Kommunisten werden für den Parteiführer aus der Ostukraine stimmen.
Referendum über Nato
Der Kompromiss wurde möglich, weil Janukowitsch im Gegenzug bereit war, ein Eckpunkte-Papier zur „nationalen Einheit“ zu unterzeichnen, das den „West-Kurs“ der Ukraine festschreibt. Beim Nato-Beitritt erzielte man einen Kompromiss – darüber soll ein Referendum entscheiden. Im russischsprachigen Osten und Süden des Landes gibt es aber dafür keine Mehrheit.
Juschtschenko bat die Bürger des Landes in einer Fernsehansprache um Verständnis für seine Entscheidung. „Ich verstehe die Schwierigkeiten solch einer Entscheidung im Osten wie im Westen der Ukraine. Wir haben die einmalige Chance beide Ufer des Dnjepr zusammenzuführen.“ Der Dnjepr teilt die Ukraine nicht nur geographisch, sondern auch politisch in einen Ost- und einen Westteil.Gestern unterzeichneten Juschtschenko, Janukowitsch und Sozialisten-Chef und Parlamentsvorsitzender Oleksandr Moros die Eckpunkte für die „nationale Einheit“. KP-Chef Simonenko unterschrieb nur mit Einschränkungen. Julia Timoschenko – ihr Wahlblock schnitt bei den Parlamentswahlen im März mit 22 Prozent der Stimmen als zweitstärkste Partei ab – lehnte die Unterzeichnung ab.Das Papier trage die Handschrift von Janukowitsch, erklärte die ganz in Weiß gekleidete Oppositionsführerin, die wieder ihren traditionellen Haarkranz trug. Juschtschenko fuhr seine Kampfgefährtin aus den Tagen der orangenen Revolution scharf an. Sie solle ihre „Demagogie beenden“ und „zur konstruktiven Arbeit zurückkehren“. „Ich glaube, sich als Patriotin in die Brust zu werfen aber nichts dafür zu tun, das ist eine leere Politik.“ Timoschenko schluckte und schaute unruhig durch den Saal.
Nach Meinung von Wadim Karasjow, Direktor des Kiewer Instituts für globale Strategie, blieb Juschtschenko kein anderer Ausweg als den Brückenschlag zu seinem ehemaligen Widersacher. Neuwahlen wären mit erheblichen Risiken für Juschtschenkos Partei verbunden gewesen. Und Andrej Ermolajew vom Kiewer Zentrum für soziale Forschungen vermutet, dass sich Juschtschenko bereits jetzt um seine zweite Amtszeit sorgt. Ohne Zugeständnisse an die politische Elite in der Ostukraine gäbe es keine Chancen für eine zweite Amtszeit. Vermeintlich ist somit die Stabilität in der Ukraine wieder hergestellt. Doch ist unklar, inwieweit die Parlamentsfraktionen geschlossen bleiben. Schon in der Vergangenheit dominierten in der politischen Elite Eigensucht und Machthunger. Die lachende Dritte wäre in jedem Fall Julia Timoschenko. Sie will die neue Koalition als Bündnis von „Verrätern“ (Juschtschenko) und „Korrupten“ (Janukowitsch) unter Dauerfeuer nehmen.