Ein Gigant auf morastigem Grund
Gasprom will das Fundament werden, auf dem "die Energieversorgung der Welt" ruht. Aber was wird aus den Plänen, wenn die sibirischen Böden auftauen?
Nach dem Sieg über Weissrussland und der geglückten Übernahme von Schalke 04 peilt das Staatsunternehmen Gasprom neue Ziele und Märkte an. Aber kann es wirklich das «Fundament» werden, auf dem «die Energieversorgung der Welt ruht»? Und was wird aus den Plänen, wenn die sibirischen Böden auftauen?
Am Schluss stand Alexander Lukaschenko da wie ein begossener Pudel. Die russische Regierung hatte von Weissrussland Anfang letzter Woche nicht nur verlangt, die gerade eingeführte Transitgebühr für russisches Öl sofort fallen zu lassen. Das staatliche Pipelineunternehmen Transneft drohte auch, den Ölhahn so lange nicht wieder aufzudrehen, bis Weissrussland die 80 000 Tonnen Öl nach Europa leitet, die die Regierung in Minsk aus der Pipeline «Druschba» (Freundschaft) abgezapft hatte. Drei Tage dauerte der Streit, dann gab Lukaschenko klein bei.
Lukaschenko hatte Russland den Handelskrieg erklärt, weil ihm das Wasser bis zum Hals steht. Seit Russland den Gaspreis auf 100 US-Dollar pro tausend Kubikmeter verdoppelt, sich die Hälfte des weissrussischen Pipelineunternehmens Beltransgas gesichert und eine Zollgebühr von 138 Euro für jede Tonne nach Weissrussland geliefertes Öl eingeführt hat, weiss Lukaschenko nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Sein «Sozialismus», der stabile Renten auf mittlerem Niveau und eine geringe Arbeitslosigkeit garantiert, könnte bald zusammenbrechen. Denn er gründet auf den billigen russischen Energielieferungen, die in Weissrussland bisher weiterverarbeitet und dann teuer in den Westen exportiert wurden. Während russische Ölunternehmen ihr Öl nur mit Zahlung eines Exportzolls ausführen können, zahlte Weissrussland - mit Russland in einer Zollunion verbunden - bis zum Jahreswechsel keinen Zoll für das russische Öl. Der Gaspreis von 100 US-Dollar pro tausend Kubikmeter ist im Vergleich zu dem, was andere Gasprom-Kunden wie Georgien (235 Dollar) und Estland (260 Dollar) zahlen müssen, immer noch günstig, doch für Weissrussland «fast nicht zu schultern», wie der weissrussische Ministerpräsident Sergej Sidorski sagte.
Knallharte Preispolitik
Der Gaskonflikt mit der Ukraine vor einem Jahr und der Druschba-Streit mit Weissrussland zeigen, dass der halbstaatliche Gasprom-Konzern seine ökonomischen Interessen mit harten Bandagen durchsetzt. Und dabei auch noch politische Ziele verfolgt. Denn mit seinen Ressourcen erpresst der Kreml die Nachbarstaaten auch in aussenpolitischen Belangen. So will er beispielsweise unter allen Umständen einen Nato-Beitritt der Ukraine verhindern. Und selbst wenn diese Staaten, so unwahrscheinlich das auch ist, diesem Druck widerstehen sollten, dann, so denkt man in Moskau, stimmt wenigstens die eigene Kasse.
Dass Gasprom mit seiner ökonomischen Macht auch Politik betreibt, zeigte sich bereits unmittelbar nach dem Regierungsantritt von Wladimir Putin. 2001 übernahm Gasprom NTW, den letzten unabhängigen Fernsehsender, mit der Begründung, er habe seine Schulden nicht beglichen. Die Kritik des Senders an den Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien ist seither verstummt.
Die alte Gasprom-Führung, von der man sagt, dass sie kräftig in die eigene Tasche wirtschaftete, wechselte Wladimir Putin aus. Chef des Konzerns wurde Alexej Miller, mit dem Putin schon in seiner Zeit als Mitarbeiter der St. Petersburger Stadtverwaltung zusammenarbeitete. Vorsitzender des Gasprom-Aufsichtsrates wurde Vizeministerpräsident Dmitri Medwedjew, ebenfalls ein Vertrauter Putins aus St. Petersburger Tagen, der als wahrscheinlicher Nachfolger des Kremlchefs gilt. Putin selbst hat erklärt, er wolle nach seinem Ausscheiden 2008 weiter Verantwortung tragen. BeobachterInnen in Moskau halten es für möglich, dass er Führer der Partei Einiges Russland, Ministerpräsident oder Chef von Gasprom wird.
Dialog und Eindämmung
«Unser Unternehmen kann das Energiefundament für die Entwicklung Europas und der Welt darstellen.» Die Worte von Gasprom-Chef Alexej Miller auf einem Kongress der Gaswirtschaft in Amsterdam im Juni letzten Jahres zeugen von grossem Selbstbewusstsein. Aber ist es auch berechtigt?
Gasprom liefert mit Langzeitverträgen von bis zu 25 Jahren an 21 Länder in Mittel- und Westeuropa. Heute deckt das Unternehmen ein Viertel des europäischen und 35 Prozent des deutschen Gasbedarfs ab. Doch die Ziele von Gasprom reichen weit über Europa hinaus. Der Konzern will mit den zentralasiatischen Republiken Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan ein Kartell bilden. Schon jetzt kauft der russische Konzern grosse Mengen von billigem turkmenischem Gas auf, um es als eigenes Produkt im Westen abzusetzen. So sichert man sich eine dominante Stellung am Markt. Zudem plant der Staatskonzern eine Gaspipeline nach China und kooperiert bei der Erschliessung von Gasvorkommen und dem Bau von Pipelines mit Unternehmen befreundeter Staaten auf dem gesamten Globus - von Venezuela bis Vietnam, vom Iran bis Serbien.
Derweil arbeiten andere Grossmächte fieberhaft an Eindämmungsstrategien. Die EU hofft, Russland über einen Dialog berechenbarer zu machen. Seit Anfang der neunziger Jahre verhandelt man mit Russland über eine Energiecharta, die westlichen Unternehmen den Zugang zu russischen Pipelines und Lagerstätten ermöglichen soll. Russland hat die Charta bisher nicht ratifiziert, weil es um sein Pipelinemonopol fürchtet. China hingegen, mit dem Russland in der 1996 gegründeten Shanghai-Organisation für Zusammenarbeit vereint ist, verfolgt in Zentralasien eigene Interessen. Peking will eine Pipeline zum Kas-pischen Meer bauen, um sich von dort mit Energie zu versorgen. Die USA wiederum wollen sich durch Direktinvestitionen eine Teilhabe am russischen Energiegeschäft sichern. Gleichzeitig unterstützt Washington Versuche der Guam-Staaten Georgien, Ukraine, Aserbaidschan und Moldawien, eigene Energietrassen - unter Umgehung Russlands - Richtung Europa aufzubauen (die Guam-Gruppe war 1997 mit Unterstützung der USA als Gegengewicht zu der von Moskau kontrollierten Gemeinschaft Unabhängiger Staaten gegründet worden.)
Doch alle Versuche, die wachsende Energiemacht Russland zu bändigen, scheiterten bisher. Im Gegenteil, Russland verweist mittlerweile die ausländischen Energiekonzerne, die man in den neunziger Jahre als Investoren noch gut gebrauchen konnte, ins zweite Glied. Der Kreml befürwortet nur noch Geschäfte auf Gegenseitigkeit: Wer in Russland investieren will, soll den eigenen Markt für russische Unternehmen öffnen.
Deutschland ist dabei Putins Lieblingspartner. Mit der Entscheidung für die Ostseepipeline, die Russland und Deutschland unter Umgehung von Drittstaaten direkt verbindet, hat Berlin gezeigt, dass man sich langfristig an Russland binden will. Das schafft Vertrauen. Und es gibt immer mehr Unternehmensverflechtungen. Die Erhöhung der Gasprom-Anteile bei BASF-Wingas (50 Prozent und eine Aktie) belohnte das russische Unternehmen mit einer Beteiligung von 25 Prozent am westrussischen Gasfeld Juschnoje Polje. Dem Energieunternehmen Eon, das an der Ostseepipeline beteiligt ist, gewährte Gasprom Beteiligungen in Ungarn. In Deutschland hat Gasprom offenbar noch Grosses vor: So ist der russische Gasriese seit kurzem Hauptsponsor des westdeutschen Fussballvereins Schalke 04 (siehe www.woz.ch/dossier/oel.html).
Blick Richtung Asien
Putin hat der deutschen Kanzlerin Angela Merkel sogar angeboten, Deutschland zu einer Art Verteilstation für russisches Gas in Europa zu machen. Faktisch nimmt Deutschland aber heute schon diese Funktion wahr, wie der Russlandexperte Roland Götz vom Berliner SPW-Institut sagt. Würde Berlin offiziell auf Putins Angebot eingehen, wäre dies Zündstoff für die EU. Polen und die baltischen Staaten fühlen sich schon jetzt durch die Ostseepipeline hintergangen.
Die Hauptkunden von Gasprom sitzen in Europa und sind durch langfristige Lieferverträge an Russland gebunden. Doch Gasprom reicht das nicht. Das Unternehmen will auf dem europäischen Markt sein Gas selbst verkaufen. Nachdem der Versuch gescheitert war, sich in das britische Energieunternehmen Centrica einzukaufen, drohte Gasprom-Chef Alexej Miller vor den 25 EU-BotschafterInnen in Moskau, dass der Konzern verstärkt nach Asien exportieren werde, sollte ihm in Europa der Marktzugang verwehrt bleiben. Derzeit verfügt Gasprom jedoch noch über keine einzige Pipeline in den Fernen Osten. Europa hat also noch Zeit, seine Diversifizierungspläne zu verfolgen.
Doch auch ohne Pipelines setzt Russland bereits jetzt auf den ostasiatischen Markt. Immerhin sind dort die Wachstumsraten doppelt so hoch wie in Europa. Auf einem Treffen mit dem Waldai-Klub, einer Vereinigung westlicher PolitologInnen und JournalistInnen, verkündete der Kremlchef kürzlich, dass Russland beabsichtige, den Anteil seiner Energieexporte nach Asien in den nächsten fünfzehn Jahren auf dreissig Prozent zu erhöhen. Im März 2006, während eines Staatsbesuchs von Putin in Peking, wurde zwischen Gasprom und der staatlichen chinesischen Energiegesellschaft CNPC der Bau einer 2700 Kilometer langen Gaspipeline vereinbart, die die westsibirischen Gasvorkommen mit Westchina verbinden soll. Die Pipeline - sie soll durch Naturschutzgebiete in der russischen Teilrepublik Altai führen - wird fünf Milliarden US-Dollar kosten und soll 2011 in Betrieb gehen.
Ausserdem begann das staatliche russische Pipelineunternehmen Transneft im letzten Jahr mit dem Bau einer Ölpipeline von Ostsibirien an den Pazifik. Die Leitung mit einer Länge von 5000 Kilometern soll 2015 fertig sein und China, Japan und die südostasiatischen Staaten versorgen. Russische UmweltschützerInnen erzwangen im letzten Jahr, dass die Pipeline nicht - wie ursprünglich geplant - direkt am Baikalsee entlang gebaut wird, sondern abseits dieser einzigartigen Ökoregion verläuft.
Pipelines nur unter Freunden
Während man in Europa unter Energiesicherheit vor allem Diversifizierung versteht, also ein Liefersystem einrichten will, das sich auf mehrere LieferantInnen stützt, versteht Russland unter Energiesicherheit ein Pipelinesystem, über das man selbst verfügt beziehungsweise an dem nur beteiligt ist, wer auf Gegengeschäfte eingeht. Den Anfang machte Gasprom mit «Blue Stream» - einer 1200 Kilometer langen Pipeline, die für rund 400 Kilometer auf dem Boden des Schwarzen Meeres verläuft. Endpunkt des Strangs ist die türkische Hauptstadt Ankara. Die Türkei bezieht heute 65 Prozent ihres Gases aus Russland.
Der zweite Schritt war die Ostseepipeline. Die 1200 Kilometer lange Energieader, die von Nordwestrussland bis ins deutsche Greifswald an der Ostsee führen soll, wurde im Oktober in «Nord Stream» umbenannt. Teilhaber der Nord Stream AG sind neben Gasprom die deutschen Energieunternehmen Eon und Wintershall.
Das Umgehen von Drittstaaten ist keine russische Erfindung. Den ersten Schritt in diese Richtung machte auf nachsowjetischem Territorium ein westliches Firmenkonsortium unter Leitung des britischen Energiekonzerns BP. Eine 2000 Kilometer lange Pipeline führt von der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku über Georgien zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Um das mit Russland eng verbündete Armenien macht die vier Milliarden US-Dollar teure Pipeline, die letztes Jahr in Betrieb ging, einen grossen Bogen.
Der Russlandexperte Roland Götz bezweifelt, dass Gasprom aus eigener Kraft seine weitgesteckten Ziele erreichen kann. Die Gaslagerstätten in Westsibirien, die schon seit Jahrzehnten ausgebeutet werden, seien bald erschöpft. Die Gasförderung werde bis 2020 nur noch wenig zunehmen. Auch durch die neuen Lagerstätten auf der Halbinsel Jamal und in der Barentssee könne «kein spektakulärer Förderzuwachs erzielt werden». Dazu komme, dass sich private Fördergesellschaften wegen des niedrigen Gasinlandspreises in Russland nicht entwickeln könnten.
Dennoch setzt Gasprom grosse Hoffnungen auf die Erschliessung eben dieser Vorkommen. Das Schtokman-Feld in der Barentssee gehört mit erwarteten 3,7 Trillionen Kubikmeter Gas zu den weltweit grössten noch nicht erschlossenen Erdgasfeldern. Ursprünglich wollte Gasprom das Grossprojekt zusammen mit fünf ausländischen Unternehmen in Angriff nehmen: den US-Firmen Che-vron und ConocoPhillips, der französischen Total und den norwegischen Unternehmen Statoil und Hydro. Diese Firmen, so der Plan, sollten mit 49 Prozent an der Erschliessung des Schtokman-Feldes beteiligt werden.
Tendenz Renationalisierung
Doch Putin entschied anders. Mitte Oktober 2006, nach einem Treffen mit Angela Merkel, verkündete er: «Wir werden die einzigen Nutzer und Besitzer des Feldes sein. Aber wir schliessen nicht aus, ausländische Unternehmen einzuladen, sich an der Erschliessung, an der Gasverflüssigung und der Vermarktung zu beteiligen.» Damit war das gemeinsame Projekt geplatzt. Ziel sei jetzt nicht mehr der Flüssiggasexport nach Nordamerika, so Putin, sondern die Ausfuhr nach Europa. Die Ostseepipeline soll das Gas vom Schtokman-Feld nach Deutschland bringen, von wo es dann zum Teil nach Britannien weitergeleitet wird.
Ausländische ExpertInnen bezweifeln, dass Gasprom die Mittel und die Leistungsfähigkeit hat, die Erschliessung der beiden Grossprojekte Jamal und Schtokman allein zu organisieren. Für die Erschliessung des Barentssee-Vorkommens rechnen sie mit Kosten von 40 Milliarden US-Dollar; für den Bau neuer Förder- und Transportanlagen auf Jamal (die Halbinsel ragt nördlich des Uralgebirges ins Nordpolarmeer) veranschlagen sie gar 57 Milliarden Dollar.
Auch beim Projekt Sakhalin-2, einer Gasverflüssigungsanlage auf der Insel Sachalin vor der russischen Ostküste, setzte Gasprom eine Renationalisierung durch. Der Staatskonzern erreichte, dass die ausländischen Firmen, die das 17,5 Milliarden US-Dollar teure Projekt in Eigenregie betrieben, jeweils die Hälfte ihrer Aktienanteile an Gasprom abtreten mussten. Die westlichen Konzerne hatten, so die Begründung für diese Massnahme, gegen Umweltgesetze verstossen. Nun kontrolliert Gasprom 51 Prozent des Sakhalin-2-Projekts, das eine Schlüsselrolle bei der Gasversorgung in Südostasien spielen soll.
Reichtum im Tauwetter
Ob Gasprom also das «stabile Fundament für die Weltenergieversorgung» sein wird, muss sich erst noch zeigen. Denn es gibt zahlreiche Probleme wie mangelnde Kapazitäten, eine ungeklärte Kapitaldecke oder grosse soziale und ökologische Probleme. Sie alle könnten sich negativ auf die russische Energiewirtschaft auswirken.
Dazu kommt, dass Russlands Reichtum aufgrund des Klimawandels buchstäblich im Morast versinken könnte. Aufgrund der Klimaveränderung tauen die Permafrostböden in Sibirien schneller als erwartet auf. Normalerweise tauen die mehrere Hundert Meter tief gefrorenen sibirischen Torfmoore nur im Sommer bis zu einem halben Meter auf. WissenschaftlerInnen haben jedoch festgestellt, dass in den Hauptfördergebieten Sibiriens die Permafrostschicht mittlerweile schwindet. Dabei setzen die Moore nicht nur in hohem Masse Kohlendioxyd frei. Der Boden verliert auch an Festigkeit. Das bedeutet, dass die Förderanlagen und Leitungen nachgerüstet werden müssen, sollen sie nicht allmählich im Moor versinken oder brechen.
Russland schwankt, wie immer, zwischen Extremen. Früher verordnete Brüderlichkeit, heute harte Preispolitik und politischer Druck gegenüber den Nachbarstaaten. Die neue Politik könnte die zentralasiatischen GaslieferantInnen, aber auch KundInnen unter den ehemaligen Sowjetrepubliken in gegnerische Allianzen treiben. Dem Energieimperialisten Russland fällt es leicht, Eigeninteressen zu formulieren, das Budget zu konsolidieren, Reserven anzulegen, neue Strassen zu bauen, Familien zu fördern und Opposition auszuschalten. Doch zur Stabilität eines Staates gehört auch ein stabiles Umfeld. Wer nur mit stolzgeschwellter Brust herumläuft, gerät irgendwann ins Abseits.
Klammheimliche Freude
Gasproms Preiserhöhungen für Weissrussland stiessen bei Putins KritikerInnen in Moskau auf keinen Widerspruch. Dass das Regime Lukaschenko mit seiner überkommenen Wirtschaftsform jetzt in Schwierigkeiten gerät, stört in Moskau nur wenige. Insgeheim hoffen viele Liberale, dass es mit dem autoritären Herrscher im Nachbarland, der noch gefürchteter ist als Putin, bald zu Ende geht. Denn mit ihm würde ein gefährlicher Gegner verschwinden. Lukaschenko hat mit seinem «Sozialismus auf russische Kosten», wie ihn die Opposition in Moskau nennt, immer noch viele AnhängerInnen in der russischen Provinz, die von einem Leben mit ausreichenden Sozialleistungen träumen.
Die Politologin Lilia Schewzowa vom Moskauer Carnegie-Zentrum, einer Einrichtung der US-amerikanischen Demokratischen Partei, sagte im Gespräch mit der WOZ, dass Putin gegenüber Weissrussland einen harten, aber «logischen Kurs» verfolge. Das Zerwürfnis zwischen Russland und Weissrussland sei «unvermeidlich» gewesen, da Lukaschenkos Regime «die russischen Ressourcen parasitär genutzt» habe. Moskau treibe Weissrussland «in die Enge», damit dieses die Forderungen Russland annehme: entweder ein Teil Russlands zu werden oder «Russland sein staatliches Eigentum, das Pipelineunternehmen Beltransgaz» zurückzugeben. Im Grunde, so Schewzowa, sei die russische Politik nützlich, da Staaten wie die Ukraine und Weissrussland nun gezwungen seien, «effektivere Volkswirtschaften» aufzubauen.
Auch Aleksander Milinkewitsch, der im März letzten Jahres als Kandidat der vereinigten demokratischen Opposition gegen Lukaschenko antrat, hat an den Gas- und Ölpreiserhöhungen nichts auszusetzen. Weissrussland habe das russische Öl weiterverarbeitet, exportiert und dadurch einen «grossen Gewinn» erzielt. «Deshalb ist es logisch, dass Russland an diesem Gewinn teilhaben will.» Tatsächlich war eine paradoxe Situation entstanden: Während die russischen Ölfirmen Exportzuschläge zahlen müssen, konnte Weissrussland bis Jahresende russisches Öl weiterverarbeiten und zollfrei in den Westen exportieren.
Die traditionelle russische Linke kritisiert hingegen die Politik des Kreml gegenüber Weissrussland. So warnt der Linksnationalist Sergej Glasew, früher Wirtschaftsexperte der Kommunistischen Partei, dass Russland seinen Einfluss in Weissrussland verlieren könnte. Ausserdem würden von den Mehreinnahmen vor allem die Manager der Energiekonzerne profitieren, nicht aber die Bevölkerung. Gegenüber Radio Echo Moskwy erklärte Glasew, der an den Gesprächen zur Bildung einer Zollunion mit Weissrussland beteiligt war, dass der Kreml an einer russisch-weissrussischen Zollunion nicht mehr interessiert sei, weil sie Russlands Beitritt zur Welthandelsorganisation behindere.
Gasprom in Zahlen
Gasprom ist nach dem US-Unternehmen Exxon Mobil das weltweit zweitgrösste Energieunternehmen. Es besitzt siebzehn Prozent der globalen Gasvorräte. Zu dem Konzern mit seinen 350000 Beschäftigten gehören inzwischen auch Ölfirmen, Elektrizitätswerke, ein Unternehmen für den Bau des iranischen Atomkraftwerks Busher sowie ein Medienunternehmen.
1992 war das ehemalige Staatsunternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden. Seit 2005 hält der Staat mit 51 Prozent die Aktienmehrheit. Eon-Ruhrgas ist mit 6,5 Prozent an Gasprom beteiligt. Die Gasförderung steigt nur langsam. Im Jahr 2000 hat Gasprom 523 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert, 2005 waren es 548 Milliarden. Davon verkaufte Gasprom 307 Milliarden zu einem ermässigten Preis in Russland; 156 Milliarden wurden nach Mittel- und Westeuropa exportiert, rund 77 Milliarden an Staaten der früheren Sowjetunion. Bis zum Jahr 2010 will das Unternehmen seine Förderung auf 560 Milliarden Kubikmeter steigern.Der Inlandspreis für Erdgas stieg in Russland 2005 um 23 Prozent, liegt aber mit umgerechnet 37 US-Dollar für tausend Kubikmeter noch immer weit unter dem Exportpreis. Deutsche Unternehmen zahlten Gasprom 2005 für diesselbe Menge 320 Dollar, in Polen lag der Preis bei 240 Dollar.
In Europa verlief die Expansion lange Zeit eher schleppend. Der Einstieg in den britischen Markt gelang bisher nicht, allerdings sicherte sich das russische Unternehmen eine Beteiligung an einer britisch-belgischen Verbindungspipeline. Mitte Dezember erhielt Gasprom in Frankreich die Option, seine Produkte direkt an die Industrie zu verkaufen. In Italien liefert der Konzern mittlerweile jährlich drei Milliarden Kubikmeter Gas direkt an die EndverbraucherInnen; ausserdem hat Gasprom mit dem italienischen Energiekonzern Eni ein langfristiges Lieferabkommen vereinbart. Eni beteiligt sich im Gegenzug mit zehn Milliarden Dollar an russischen Förderprojekten.
Ulrich Heyden
veröffentlicht in: Die Wochenzeitung