8. March 1999

Ein Rußlanddeutscher regiert im Ural (Deutschlandfunk)

Eduard Rossel, Gouverneur von Swerdlowsk
Foto: Eduard Rossel, Gouverneur von Swerdlowsk

Moderation:

Im Ural, wo Europa an Asien grenzt, liegt das Gebiet Swerdlowsk. Begünstigt durch die zentrale geographische Lage und die reichen Bodenschätze hat sich dort über die Jahrhunderte ein´s der größten russischen Handels- und Industriezentren herausgebildet. Das Gebiet Swerdlowsk mit seinen 4,7 Millionen Einwohnern ist von der Fläche her etwa halb so groß ist wie die Bundesrepublik. Hier begannen einige, für die russische Politik wichtige, Persönlichkeiten ihre Laufbahn. Boris Jelzin wurde in Swerdlowsk geboren. Hier begann seine Karriere. Nach einer Tätigkeit als Baufachmann wurde er Gebietsparteisekretär von Swerdlowsk.

Sprecher A:

Auch der amtierende Gouverneur des Gebiets Swerdlowsk, Eduard Rossel, begann in der Bauwirtschaft. Doch da enden die Parallelen schon. Gouverneur Rossel ist sechs Jahre jünger als Boris Jelzin und Rußlanddeutscher. An seiner Herkunft nimmt Niemand Anstoß. Rossel hat sich, als Leiter des staatlichen Bauunternehmens einen Namen gemacht. Er wird als „Chasain“ – als guter Wirtschafter, geschätzt. Wenn in Rußland Jemand etwas tut, was den Menschen nützt, fragt Niemand nach der Nationalität. Politische Parteien und Führer die in Moskau wichtig sind, haben im Gebiet Swerdlowsk nur geringe Bedeutung. Das politische Leben formiert sich um zwei regionale „Leader“: Gouverneur Rossel und den Bürgermeister der Gebiets-Hauptstadt Jekaterinenburg, Arkadij Tschernetzkij. Beide Politiker haben ihre eigenen Organisationen. Die Bewegung des Gouverneurs heißt „Preobraschenije Urala“ – Umgestaltung des Urals, die Organisation des Bürgermeisters „Nasch dom nasch gorod“, „Unser Haus – Unsere Stadt“.

Aleksander Buchgamer, der wie Rossel Rußlanddeutscher ist, leitet die politische Bewegung des Gouverneurs, „Umgestaltung des Ural“. Die Biographie von Gouverneur Rossel ist Buchgamer gut bekannt.

O-Ton 1

Sprecher B:

“Sein Vater und seine Mutter sind Deutsche. Der Vater wurde 1937 erschossen als der Sohn noch nicht geboren war. Danach kam die Mutter in´s Lager. Die Schule hat er später als andere Kinder abgeschlossen. Dann wollte er an die Militärschule, aber man hat ihn nicht gelassen, weil er Deutscher war. Der Vater spielte gut auf dem Akkordeon. Er trug gerne Nationaltracht und spielte an nationalen Feiertagen deutsche Musik. Im Jahre 1937 meinte dann Irgendjemand, das sei ein deutscher Spion. Nachdem der Sohn Rossel die Bergbauakademie abgeschlossen hatte, began er als Bauleiter, wegen seiner Arbeitsfähigkeit und der Qualitäten, die er in der Jugend gelernt hatte, d.h. er ist gewohnt alles selbst zu machen. Er kletterte schnell die Dienstleiter hoch und wurde Leiter von “Glawuralstroj”, dem damals größten Bauunternehmen der Sowjetunion. Dann wurde er als Leiter des Gebietsrates gewählt. Im Herbst 1993 sprach sich der Gebietsrat für die Bildung der Ural-Republik aus. Es war der Versuch dem Gebiet Swerdlowsk einen realen Status zu geben. Das wurde aber anders aufgenommen. Und mit dem Ukas des Präsidenten wurde Rossel 1993 von seinem Posten abgesetzt.Man hat ihn des Separatismus  beschuldigt. Als die Ural-Republik gegründet wurde, hieß es, er wolle wohl ein zweites Deutschland im Ural schaffen. Rossel wird von den Industriellen hier sehr geschätzt. Er hat alles selbst geschaffen, mit seinem Händen, seinem Kopf, seinem Willen, seinem Charakter.”

Sprecher A:

Aus dem Jahre 1993 stammt das Projekt einer regionalen Währung, dem Ural-Franc. Dieses Geld wurde tatsächlich in der staatlichen Notenpresse zu Perm gedruckt. Dann aber hat die Staatsanwalt die Noten unter Beschlag genommen, denn es fehlten die Bestimmungen für die Einführung der Währung. Die Wirtschaftsministerin von Swerdlowks erklärt, das Projekt des Ural-Franc stamme aus der Zeit der Hyperinflation. Damals, in den Jahren 1992/93 gab es nicht genug Rubel und der regionale Ural-Franc sollte da aushelfen. Sergej Tuschin, der Berater des Bürgermeisters von Jekaterinenburg meint, Projekte wie die Einführung einer regionalen Währung dienten nur dazu, Druck auf Moskau auszuüben.

O-Ton 2

Sprecher B:

„Ich beurteile viele Erklärungen unseres Gouverneurs, vor allem wenn es um die Einführung einer örtlichen Währung geht, als Erklärungen mit politischem Charakter. Sie haben keine wirtschaftliche Basis. Es wird im Gebiet Swerdlowsk niemals eine regionale Währung geben.  Das Gebiet Swerdlowsk wird niemals sagen, daß wir keine Steuern mehr an das föderale Budget abführen. Derartige Erklärungen werden abgegeben, um Druck auf die föderale Macht auszuüben. Es gibt viele Ansprüche an die föderale Macht. Das Gebiet zahlt alle Steuern, also kann das Gebiet auch erwarten, daß das föderale Zentrum Aufträge für die Rüstungsindustrie bezahlt.“

Sprecher A:

300 Kilometer nördlich der Gebietshauptstadt Jekaterinenburg liegt das kleine Industriestädtchen Serow. Das Gesicht der Ortschaft prägen zwei große Industriebetriebe, ein Stahlwerk und ein Werk in dem Legierungen hergestellt werden. Weil es ziemlich umweltschädlich produziert, wurde es wohl hier im bevölkerungsarmen Norden angesiedelt. Sergej Wladimirowitsch arbeitet in Serow als Fahrer für einen Betrieb der Holzkohle herstellt. Die Holzkohle wird an eine Aluminiumhütte geliefert. Sergej ist nicht begeistert vom Leben in Serow aber woanders meint er, sei es auch nicht besser.

O-Ton 3

Sprecher B:

“Ich glaube bei uns ist es nicht schlimmer als in anderen Gebieten. Meine Mutter wohnt im Kurganskaja Gebiet. Dort, in den landwirtschaftlichen Rayons, muß man ein halbes Jahr auf die Rente warten. Swerdlowsk ist ein sehr reiches Gebiet. Wir haben hier alles, ich meine die ganze Industrie, Bodenschätze, Wald. Wenn nur nicht alles zusammenfällt. Jetzt gibt es das Problem, daß man die Produktion nicht absetzen kann, mit dem Transport läuft es nicht und auch der Brennstoff reicht nicht. Alles muß man kaufen. Es gibt ja jetzt Marktbeziehungen zwischen den Betrieben. Das läuft so: Wenn ich Dir kein Geld gebe, gibst Du mir den Waggon nicht. Ich kann das Produkt nicht losschicken. Unser Betrieb liefert Holzkohle in Waggons an eine Aluminiumhütte. Die Leitung dieses Betriebs sitzt jetzt in Moskau. Früher konnten wir bessser mit ihnen arbeiten. Früher war der Direktor an Ort und Stelle. Früher bekamen wir statt Lohn oft Lebensmittel. So wurde mit uns abgerechnet. Jetzt bekommen wir nur 9, 10 oder 30 Prozent unseres Lohnes. Ich weiß nicht, was mit der Aluminiumhütte jetzt ist, ob sie wirklich kein Geld haben. Oder ob es für sie günstiger ist uns mit Zucker, Mehl, Süßigkeiten und  Konserven zu bezahlen. Sie bezahlen uns sogar mit Industriewaren. Es gibt sogar Importprodukte, wie z.B. Fernseher.”

Sprecher A:

Die Aluminiumhütte exportiert fleißig und müßte eigentlich volle Löhne zahlen können. Warum sie das nicht tut, kann Sergej Wladimirowitsch nicht verstehen. Er glaubt, alles hänge damit zusammen, daß die Leitung des Betriebes weit weg von der Produktion in Moskau sitzt. Die Moskauer Finanzgruppen, so meinen viele Bürger im Gebiet Swerdlowsk, haben sich die besten Betriebe der Region unter den Nagel gerissen. Deshalb gibt es in Swerdlowsk auch heute noch eine positive Einstellung zu der von Gouverneur Rossel 1993 vorgeschlagenen Ural-Republik

O-Ton 4

Sprecher B:

“Er hat sie deshalb vorgeschlagen, weil die Republiken sich nicht auf einer Ebene mit den Gebieten befinden. Es gibt in Rußland die tartarische Republik, die mordwinische Republik, die baschkirische Republik. Sie überweisen von ihren Einnahmen weniger nach Moskau als die Gebiete. Die Republiken führen weniger ab und leben deshalb besser. Rossel wurde der Republikstatus damals nicht gegeben. Man hat ihm stattdessen seinen Posten genommen.”

Sprecher A:

1994, ein Jahr nachdem Rossel von Boris Jelzin abgesetzt worden war, bestätigten ihn die Bürger von Swerdlowsk erneut  und wählten ihn zum Gouverneur. Zwei Jahre später wurde dann zwischen Moskau und dem Gebiet Swerdlowsk ein Vertrag unterzeichnet, indem die Vollmachten zwischen Zentrum und Region neu abgegrenzt wurden. Der Vertrag wird unterschiedlich bewertet. Aleksandr Buchgamer, der Leiter der politischen Bewegung des Gouverneurs, meint, daß das Gebiet Swerdlowsk durch den Vertrag mehr Macht bekommen habe. So würden viele Kaderfragen, auch bei den Sicherheitsstrukturen, jetzt im Gebiet Swerdlowsk entschieden. Die regionalen Behörden dürfen sich heute Ministerien nennen. Außerdem wurde ein Schatzamt geschaffen, über das alle Budgetzahlungen laufen. Der politische Kommentator Viktor Belimow meint von der Zeitung “Podrobnosti” meint dagegen, der Vertrag zwischen Moskau und Swerdlowsk habe in der Praxis keine besondere Bedeutung. Das Projekt der Ural-Republik sei nur der Versuch gewesen, eine ideologische Lücke zu füllen.

O-Ton 5

Sprecher B:

“Das war ein guter Schritt, unter dem Gesichtspunkt, der Bevölkerung des Gebiets Swerdlowsk eine politische Ideologie zu geben. D.h. solch eine Ideologie, daß wir in der Ural-Repbulik gut leben werden, wenn wir Moskau weniger zahlen und mehr für uns behalten. Eine andere Ideologie außer der kommunistischen gibt es nicht. Der Hauptideologe dieser Idee – Rossel – gelang es nicht, sich in dieser Frage in Moskau durchzusetzen. Zwischen Moskau und dem Gebiet Swerdlowsk wurde ein Vertrag über die Aufteilung der Vollmachten unterzeichnet.  In den 16  Einzelverträgen konnte Moskau durchsetzen, daß es in allen Fragen das letzte Wort hat. Der Vertrag, für den ziemliche Reklame gemacht wurde, ist eigentlich eine Fiktion. Statt der Ural-Republik schlägt Rossel jetzt vor, Wirtschaftsbeziehungen mit den Republiken der ehemaligen Sowjetunion aufzunehmen. Er reist sehr viel und trifft sich mit den Führern der kaukasischen und mittelasiatischen Republiken. Er geht weg von dem Gegensatz Moskau und Jekaterinenburg. Er sagt, Jekaterinenburg ist die dritte Hauptstadt, Jekaterinenburg kann eine selbstständige wirtschaftliche Außenpolitik machen. Viele Opponenten von Rossel meinen, das sei einfach Populismus mit dem Rossel in den Vorwahlkampf einsteigen will.”

Sprecher A:

Sowohl die Rossel-Bewegung “Umgestaltung des Ural” als auch die Organisation des Bürgermeisters “Unser Haus unsere Stadt” fühlen sich dem demokratischen Lager zugehörig. Während die Rossel-Bewegung sich mehr dem Prinzip der Machtvertikale verpflichtet fühlt, hat sich die Organisation des Bürgermeisters die Verwirklichung der lokalen Selbstverwaltung zum Ziel gesetzt. Aleksandr Buchgamer, der die politische Bewegung des Gouverneurs leitet, meint, lokale Selbstverwaltung werden von Vielen falsch verstanden.

O-Ton 6

Sprecher B:

 “Es muß eine Staatlichkeit geben. Der Staat muß seine Funktion erfüllen. Wie in Moskau so im letzten Dorf. Und wenn jetzt viel von der örtlichen Selbstverwaltung gesprochen wird, verstehen das viele auf ihre Art. Sie verstehen die örtliche Selbstverwaltung als Zustand der Nicht-Kontrolle. Was ich stehlen will, stehle ich. Was ich will, das tue ich. Wenn alles gut ist, hab ich das gemacht. Wenn alles schlecht ist, sind die da Oben schuld. So darf  es nicht sein. Es muß eine staatliche Struktur geben, eine staatliche Macht, die von oben nach unten geht.”

Sprecher A:

Am deutlichsten werden die unterschiedlichen Interessen zwischen dem Gouverneur des Gebiets Swerdlowsk und dem Bürgermeister der Gebietshauptstadt Jekaterinenburg bei der Haushaltspolitik. Sergej Tuschin, der Berater des Bürgermeisters, meint, die Kommunen und nicht die Gebietsverwaltung sollen den Großteil der Haushaltsmittel erhalten.

O-Ton 7

Sprecher B:

„Die Bewegung „Unser Haus – unsere Stadt“ tritt für das Subsidiaritätsprinzip ein, d.h. daß man an die unteren Ebenen der Verwaltung ein Maximum an Vollmachten delegiert, die durch Finanzen gestützt sind. Wir treten dafür ein, daß man den Städten und Rayons 80 Prozent des Budgets gibt und das Gebiet 20 Prozent für übergeordnete Projekte wie den Straßenbau bekommt.“

Sprecher A:

Der Bürgermeister regiert eine, im Verhältnis zum Gesamtgebiet Swerdlowsk, reiche Stadt. Sergej Panasenko der Chefredakteur der Zeitung „Podrobnosti“ – Einzelheiten, meint, die ungleiche Reichtumsverteilung sei ein Grund für den Machtkampf zwischen Gouverneur und Bürgermeister.

O-Ton 8

Sprecher B:

„Wenn man davon ausgeht, daß das Hauptkapital in Jekaterinenburg konzentriert und die Hauptvertretungen der Unternehmen und Banken sich in Jekaterinenburg befinden, dann ist klar, daß der Haushalt des Gebiets Swerdlowsk zu einem großen Teil von den Mitteln der Stadt Jekaterinenburg lebt. Aber es gibt im Gebiet Swerdlowsk Territorien, die - man kann sagen – „in der Pfütze“ leben. Dort bekommen Leute seit Monaten und Jahren keinen Lohn. Gouverneur Rossel tut alles dafür, von den Städten möglichst viel Geld zu nehmen um bestimmten Territorien Geld zu geben und als guter Großvater dazustehen. Er gibt denen Geld, die ihn unterstützen.  Es kommt ihm gelegen, wenn Jekaterinenburg möglichst wenig Geld bleibt, so daß es in der Stadt eine Unzufriedenheit gibt. Alle sollen sehen, daß der öffentliche Nahverkehr nicht vernünftig arbeitet, daß es keine Ordnung gibt, daß das Verbrechen wächst, daß das Wasser aus der Leitung kalt ist. Die Leute sollen denken, daß man unter Bürgermeister Tschernetzkij schlecht lebt.“

Sprecher A:

Im August wird im Gebiet Swerdlowsk ein neuer Gouverneur gewählt. Neben dem amtierenden Gouverneur und dem Bürgermeister von Jekaterinenburg, hat auch der Nationalist Wladimir Schirinowskij seine Kandidatur angekündigt. Beobachter meinen, auf diesem Wege wolle er das sinkende Image seiner Partei ein bißchen aufpeppen und Wahlkampfgelder einstreichen. Da Schirinowskij keine realen Chancen hat Gouverneur zu werden, stellt sich die Frage, wem er seine Stimmen bei der Stichwahl gibt. Alles deutet darauf hin, daß Schirinowskij seinen Wählern empfehlen wird, für den amtierenden Gouverneur Rossel zu stimmen. Für die Kandidaten aus dem Gebiet Swerdlowsk wird es wichtig sein, mit welchem Zugpferd aus Moskau sie in´s Rennen gehen, meint der politische Kommentator Viktor Belimow, von der Zeitung “Einzelheiten”.

O-Ton 9

Sprecher B:

“Ich glaube, die Politik mit der Rossel das letzte Mal siegte, wird jetzt niemand nutzen. Jetzt ist sehr wichtig mit welchen Politikern von der föderalen Ebene man zu den Wahlen antritt. Daß man mit Jelzin heute keine Reklame mehr machen kann, ist klar. Wenn Jelzin hier Jemanden zur Wahl empfehlen würde, würde sich das für denjenigen negativ auswirken. Es ist sehr wichtig in Moskau einen Politiker zu finden, aus dem man Nutzen ziehen kann. Dies könnte Moskauer Bürgermeister Luschkow sein, mit dem Rossel keine schlechten Beziehungen hat. (…) Das könnte Jawlinskij sein, das könnte aber auch Lebed sein. Das sind Leute die hier Reklame machen könnten. Es ist unwahrscheinlich, daß mit Moskau jemand offen streiten wird.”

Sprecher A:

Der Vorwahlkampf im Gebiet Swerdlowsk wurde mit einem Skandal eingeleitet. Anfang Februar wurde auf Anweisung Moskaus, der Leiter des Innenministeriums von Swerdlowsk, Walerij Krajew entlassen. Ihm wurden Verbindungen zur kriminellen „Uralmasch“-Gruppe nachgesagt. Für Eduard Rossel war das ein schwerer Schlag. Der Gouverneur reagierte auf den Skandal auf seine Weise. Obwohl die Existenz von Mafia-Gruppen in Jekaterinenburg allgemein bekannt ist, behauptet Rossel, die Uralmasch-Gruppe existiere nur in den Zeitungen. Gleichzeitig sprach sich der Gouverneur dafür aus mit den Vertretern der Schattenwirtschaft in´s Gespräch zu kommen. Ziel müsse es sein nichtlegal erworbenes Geld wieder in den Wirtschaftskreislauf einzuschleusen. Auch der Nationalist Wladimir Schirinowskij hat sich dafür ausgesprochen, mit den Mafia-Gruppen in einen Dialog einzutreten. Man komme nun mal nicht an ihnen vorbei, meint er. In den Gängen der russischen Staatsduma, auf dem Weg in den Sitzungssaal seiner Partei, beantwortet Schirinowskij die Fragen des Korrespondenten. Warum wollen sie im Gebiet Swerdlowsk als Gouverneur kandidieren?

O-Ton 10

Sprecher B:

“Weil das eine reale Arbeit ist. Ich will zeigen, daß man zumindest in einem Gouvernement im Verlauf eines Jahres dafür sorgen kann, daß das Leben besser wird. Zumindest ein bißchen, im Verhältnis zu anderen Gouvernements und im Verhältnis zu dem früheren Gouverneur. Das will ich allen zeigen. Das werde ich tun. Das wird ein Erfolg, ein schneller Erfolg.”

Sprecher C:

Wenn Sie in der ersten Wahlrunde nicht siegen, wem werden sie bei der Stichwahl ihre Stimmen geben?

Sprecher B:

“Ich werde das mit den Kandidaten in Gesprächen entscheiden. Mir ist Rossel bisher näher.”

Sprecher C:

Warum ist ihnen Rossel näher?

Sprecher B:

“Ich habe ihn öfters getroffen. Er macht einen besseren Eindruck als Bürgermeister Tschernetzkij. Aber ich wiederhole, das hängt von der Kräftekonstellation vor den Wahlen ab. Ich werde mit dem zusammengehen, von dem ich eine Stärkung des Einflußes meiner  Partei in der Region erwarten kann.”

Sprecher C:

Und der Skandal um den Leiter des Innenministeriums Krajew?

Sprecher B:

“Um so besser. Je mehr Skandale, desto besser läuft meine Agitationsarbeit.”

Sprecher C:

Welche Bedeutung hat das Gebiet Swerdlowsk für Rußland?

Sprecher B:

“Dort gibt es viele Hochschulen, viel Intelligenz. Das ist eine gute, starke Region, die Gewinn bringt, wer sie führt, wird Erfolg haben.”

Sprecher C:

Unterstützen sie Rossel´s Bemühungen an Moskau vorbei mit Waffen zu handeln?

Sprecher B:

“Ja, man muß den Rüstungsbetrieben mehr Rechte geben direkt mit ausländischen Kunden zu handeln.”

Sprecher A:

Gouverneur Rossel hat erklärt, er werde alles tun, um die in seinem Gebiet hergestellten Waffen bei potentiellen Kunden bekannt zu machen. Der Gouverneur fährt regelmäßig in´s Ausland um dort für Waffen “made in Ural” zu werben. Im Juni – unmittelbar vor der Gouverneurswahl -  soll in Jekaterinenburg eine große, internationale Waffenschau stattfinden. Die Moskauer Zeitung “Nesawisimaja Gaseta” berichtete,  Eduard Rossel habe in Moskau um die Genehmigung gebeten, daß im Gebiet Swerdlowsk hergestellte Waffen auch selbstständig im Ausland verkauft werden können. Der Gouverneur legt sich unter anderem für den Verkauf des Flugabwehrsystems S 300 in´s Zeug. Das Flugabwehrsystem, welches jetzt in Armenien und auf der griechischen Insel Kreta stationiert werden soll, wird in der Kalinin-Fabrik in Jekaterinenburg hergestellt. Nach Meinung der Russen, ist das S 300 Flugabwehrsystem besser als die amerikanische Patriot. Gouverneur Rossel erklärte:

O-Ton 11

Sprecher B:

“Das Ziel ist es, Käufer zu finden. Man kann sie dem Irak verkaufen, dem Iran. Diese Frage brauche ich nicht zu entscheiden, das ist Sache des Außenministeriums und des Rüstungskonzerns Roswooruschenije.”

Sprecher A:

Angesichts der katastrophalen Lage auf dem russischen Arbeitsmarkt findet es fast Niemand unanständig, wenn sich der Gouverneur für die Rüstungsindustrie stark macht. Empfindlicher reagiert die Öffentlichkeit dagegen beim Thema Mafia. Wenn der Gouverneur die Verbindung zwischen seinem ehemaligen Innenminister und der  kriminellen Uralmasch-Gruppe wegzureden versucht, bringt ihm das nicht die Symphatie der demokratisch gesinnten Bürger ein.

Der Gouverneur denkt vor allem an die Belebung der Wirtschaft. Ihm geht es darum, daß das Mafia-Kapital nicht auf Auslandskonten verschwindet, sondern in Form von realen Investitionen die russische Wirtschaft belebt. Auf einer öffentlichen Veranstaltung legte Gouverneur Rossel seine Position dar. 

O-Ton 12

Sprecher B:

“Wenn es die Gruppe wirklich gäbe und sie juristisch nachweisbar wäre, würde sie wohl schon nicht mehr existieren. Dieses Gerede von der “Uralmasch-Gruppe”, “Zentrale Gruppe” und ähnliches. Nun, ich werde keine Namen nennen, sie werden das dann veröffentlichen. Aber einmal grundsätzlich. Man sagt, dieser Genosse ist Leiter der “Uralmasch”-Gruppe, er ist Räuber und Bandit. Ich lade ihn ein und frage ihn, wie geht´s, wie lebst du? Und ich gebe ihm eine Anweisung und sie führen die Anweisung aus und investieren Geld in ein großes Bauprojekt im Gebiet Swerdlowsk. Ich lade einen Zweiten ein, einen symphatischen, klugen Menschen. Er führt sein Geschäft normal. Kurz, ich möchte, daß man aufhört von der “Uralmasch-Gruppe” und Ähnlichem zu reden.”

Sprecher A:

Ein Mitglied der Gebietsregierung, bestätigte, daß der Gouverneur auf nichtlegalem Wege erworbenes Geld für den Bau eines Kaufhauses im Zentrum von Jekaterinenburg hat mobilisieren können. Den hohen Beamten stimmt das froh, denn wenn nichtlegales Geld auftauche, müßten auch wieder Steuern gezahlt werden.

Pjotr Djakonow ist Leiter der Menschenrechtsorganisation Memorial in Jekaterinenburg. Er beschreibt die Situation im Gebiet Swerdlowsk umgeschminkt.

O-Ton 13

Sprecher B:

„Unsere Stadt ist nicht nur ein Industriezentrum und ein Zentrum der Demokratie sondern auch ein Zentrum der kriminellen Gruppen. Der Ural das ist die reichste Provinz des Landes. Dort, wie viel Geld fließt, dort gibt es auch Verbrecher. Die Gefahr besteht darin, daß die Beteiligung an Wahlen viel Geld kostet. Immer häufiger versuchen kriminelle Gruppen ihre Leute als Kandidaten durchzubringen. Periodisch gibt es Skandale. Manchmal werden Kandidaten verhaftet, einer wurde wegen Mord angeklagt.“

Sprecher A:

Alle großen russischen Städte leiden unter dem Problem der Kriminalität. Überall ringen kriminelle Gruppen um direkten Einfluß auf die Politik. Die Versuche der föderalen Macht bestimmte Fälle aufzuklären und Ordnung zu schaffen kommen meist verspätet. Nur eine verschwindend kleine Zahl der bekannten “Autoritäten” wurde hinter Schloß und Riegel gebracht. Oft werden sie nach kurzer Zeit wieder freigelassen. Die Mafia hat sich seit Jahren so sehr mit dem legalen wirtschaftlichen und politischen Leben in Rußland verzahnt, daß einige Politiker für einen offenen Dialog mit Vertretern des kriminellen Gewerbes plädieren. Einige meinen, den kriminellen Autoritäten bei ihrem Weg in die normale Geschäftswelt helfen zu müssen. Wenn Rußland auf die Beine kommen wolle brauche es das Geld der Mafia, nicht auf Auslandskonten sondern als Investitionen. Ein derartiger Pragmatismus mag für westeuropäische Verhältnisse erstaunlich wirken, bei vielen Russen löst er nur Schulterzucken aus. Die Grenzen zwischen legaler und nichtlegaler Tätigkeit sind in Rußland fließend. Nur wenige Politiker sind bereit, die Mafia-Tätigkeit eindeutig und klar zu benennen und die kriminellen Gruppen effektiv zu bekämpfen.

veröffentlicht von: Deutschlandfunk/Hintergrund Politik

 

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