1. March 2009

Energie-Supermacht Russland: Moskau und Tokio im Gas-Rausch

Zur Einweihung von Russlands erster Flüssig-Gas-Fabrik kam das erste Mal nach dem Zweiten Weltkrieg ein japanischer Ministerpräsident auf die russische Insel Sachalin, deren Südteil von 1905 bis 1945 zu Japan gehörte.

Krisen kommen und gehen. Aber solche eine Produktion bleibt“, erklärte der russische Präsident Dmitri Medwedew anlässlich der Einweihung der ersten russischen Flüssiggas-Fabrik in Prigorodnoje, einem kleinen Ort am Südzipfel der Insel Sachalin. In der Liquid-Natural-Gas-(LNG)-Fabrik sollen bereits in diesem Jahr sechs Millionen Tonnen Flüssig-Gas, bei Vollbetrieb der Anlage 2010, zehn Millionen Tonnen produziert werden. 65 Prozent des in Prigorodnoje produzierten Gases sollen nach Japan verschifft werden, der Rest geht nach Süd-Korea und in die USA.

Das Projekt symbolisiert eine neue Etappe in den russisch-japanischen Beziehungen. Zwischen beiden Ländern gibt es seit dem zweiten Weltkrieg keinen Friedensvertrag. Immer noch ungeklärt ist der Streit um die vier östlich von Sachalin gelegenen Südkurilen-Inseln. Japanische Nationalisten hofften sogar, dass man den Südteil von Sachalin, der zwischen 1905 und 1945 zu Japan gehörte, und den Namen Karafuto trug, wieder zurückholen könne.

Überall im Süd-Teil der Insel Sachalin trifft man Anlagen, die einst unter den Japanern entstanden: einen kleinen Palast, verlassene Bergwerke, ein noch intaktes Eisenbahnnetz und Friedhöfe. Nicht weit von der LNG-Fabrik steht ein japanisches Krieger-Denkmal.Zur der pompösen Einweihungszeremonie der LNG-Fabrik war auch der japanische Premier Taro Aso angereist. Es war das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass ein japanischer Ministerpräsident die Insel Sachalin besuchte. „Die Reise von Premier Aso ist eine klare und endgültige Bestätigung der Souveränität Russlands über Sachalin“, erklärte ein Vertreter des japanischen Außenministeriums.

„Das Territorialproblem“ um die vier Südkurilen-Inseln erfordere eine politische Lösung, erklärte der japanische Premier vor der Fabrik-Einweihung. In Moskau hieß es bisher immer lax, man habe „keine Erde über“. Trotzdem hofft Tokio noch auf einen Kompromiss.

Abseits des Territorial-Streits um die Süd-Kurilen vertiefte sich in den letzten Jahren die wirtschaftliche Verflechtung zwischen der Insel Sachalin und Japan. Ein großer Teil des russischen Fischfangs vor der Ostküste der Insel wird zum Teil illegal in Japan verkauft. Bis zur Erhöhung der russischen Importzölle war Sachalin einer der wichtigen Umschlagplätze für japanische Gebraucht-Jeeps.

Europäische Bank ist ausgestiegen

Mehrheitsaktionär des „Sachlin-2“-Projekts zu dem neben der LNG-Fabrik, zwei Verschiffungs-Terminals für Gas und Öl, eine 800 Kilometer lange Pipeline und zwei Bohrinseln vor der Nord-Ost-Küste von Sachalin gehören, ist zu 51 Prozent Gazprom. Außerdem an dem Projekt beteiligt ist der niederländische Shell-Konzern sowie die japanischen Unternehmen Mitsui und Mitsubishi. Der russische Präsident Medwedew stellte bereits neue Aufträge in Aussicht. Der Kreml-Chef erklärte, man verhandele jetzt mit Shell, Mitsui und Mitsubishi über den Bau einer weiteren LNG-Fabrik. Sie soll Gas von der nordrussischen Halbinsel Jamal verarbeiten. Der Anteil von Flüssiggas am Weltenergie-Markt verzeichnet erhebliche Steigerungsraten.

Das Bauprojekt „Salachin-2“, welches 1999 gestartet wurde, ist gigantisch. An dem Bau der LNG-Fabrik waren 10.000 Arbeiter, darunter eine großer Teil hoch bezahlte Spezialisten aus westlichen Ländern, beteiligt. Die Baukosten für das Gesamtprojekt verdoppelten sich über die Jahre von zehn auf 22 Milliarden Dollar.

Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) war zunächst an dem Projekt beteiligt. Die Bank, die einen Kredit von 116 Millionen Dollar gegeben hatte, schied jedoch 2007, als Gazprom Mehrheitsaktionär wurde, aus dem Projekt aus.

Seit Produktionsbeginn kommt die Fabrik nun mit 2.400 festen Mitarbeitern aus. Auch die Verschiffung erfordert wenig Personal. Die Flüssig-Gas-Tanker, welche das Gas über das Japanische Meer bugsieren, haben nur 25 Mann Besatzung.

Die Gasverflüssigungsfabrik funktioniert ähnlich wie ein Kühlschrank. Dem Gas wird Wärme entzogen. Es wird auf Minus 162 Grad Celsius abgekühlt, wobei es sich verflüssigt und an Volumen verliert. Nach der Verschiffung wird es dann vom Empfänger wieder in seine ursprüngliche Form umgewandelt.

Tausend Flüsse überquert

Die Ökologen haben von Anfang an vor dem Riesen-Projekt gewarnt. Ein Problem ist die seismische Situation auf der Insel. Es kommt häufig zu kleinen Beben, manchmal auch zu großen, wie im August 2007, als in dem Ort Newel an der West-Küste von Sachalin zahlreiche Häuser zerstört wurden und eine Felsplatte aus dem Meer auftauchte. Shell-Manager Bert Christoffels spürte das Beben auch an seinem Arbeitsplatz in der Gebietshauptstadt Juschno-Sachalinsk. „Ich fühlte, dass alles vibrierte.“ Doch die Probleme ließen sich meistern. Die Aufbauten der Bohrplattformen im Meer ruhten auf einer Vorrichtung, die Erdstöße ausgleichen könne. Und die Rohre der Pipeline seien unterirdisch in einem speziellen Sand-Bett gelagert, so dass sich die Rohre bei Erdstößen bewegen können.

Dmitri Lisitsyn, der Chef der „Ökologischen Wache Sachalin“, kritisiert das Projekt. Bei der Verlegung der Pipeline habe man über tausend Flüsse überqueren müssen, berichtet der Umweltschützer. Dabei seien viele Fehler gemacht worden. Die Laichplätze der Lachse in den Flüssen seien durch das Aufwühlen des Flussbettes gefährdet. Zudem sei nicht ausgeschlossen, dass es bei der Pipeline zu Leckagen kommt, denn 100 Kilometer der Energieader laufen durch bergiges Gelände und dort gäbe es häufig Erdverschiebungen und Schlammlawinen.

Warnendes Beispiel ist für den Umweltschützer das staatliche Öl-Unternehmen Rosneft, das schon seit 80 Jahren Öl auf Sachalin fördert und sich nicht um die Umwelt kümmerte. 1995 kam es bei Stadt Neftegorsk im Norden von Sachalin zu einem schrecklichen Erdbeben. 2.000 der insgesamt 3.000 Einwohner starben. „Die Pipelines von Rosneft hatten damals 200 Lecks,“ so der Ökologe. Für die Insel war es eine Tragödie. Die Stadt Neftegorsk wurde nicht wieder aufgebaut.

Was die Umwelt betrifft, habe man sich nichts vorzuwerfen, meint Shell-Manager Christoffels. Die Öl- und Gas-Pipeline habe man extra 20 Kilometer weiter südlich verlegt, um das Futtergebiet der westpazifischen Grauwale zu schützen.

Ulrich Heyden

veröffentlicht in: Eurasisches Magazin

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