Erstickt hinter Gittern
Ein Feuer in einer russischen Psychiatrie kostet 38 Menschen das Leben. Der Rettungseinsatz wird zur Farce.
Der Tod kommt mit aller Wucht: Wie Zunder brennt das Holzhaus auf dem Gelände der psychiatrischen Klinik Nr. 14 bei Moskau. Rasend schnell breiten sich die Flammen aus, die Patienten ersticken, verbrennen bei lebendigem Leib. Die meisten Toten werden auf ihren Betten gefunden.
Wie ein Mitarbeiter der örtlichen Gesundheitsbehörde gegenüber der russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass erklärte, konnten die Patienten nicht rechtzeitig flüchten, weil sie mit starken Medikamenten ruhiggestellt worden waren. Der Großteil der Patienten litt an Schizophrenie, viele waren an ihre Betten gefesselt. Wer sich frei bewegen konnte, dem versperrten vergitterte Fenster die Flucht, dichter Qualm im Flur raubte die Luft und nahm die Sicht. Nur eine Krankenschwester und zwei Patienten entkamen dem nächtlichen Flammeninferno.
Wie das Feuer in dem nördlich von Moskau gelegenen Dorf ausbrach, wurde bisher noch nicht eindeutig ermittelt. Spekuliert wird über einen Kurzschluss als mögliche Ursache für die Katastrophe. Doch könnte auch ein neuer Patient, der unter Entzugserscheinungen litt, das Feuer auf einem Sofa im Aufenthaltsraum durch eine Zigarette ausgelöst haben. Unter den Opfern waren auch zwei Krankenschwestern.
Der Rettungseinsatz wird zum Fiasko: Weil eine Fähre nachts nicht in Betrieb ist, müssen die Feuerwehren einen Umweg durch den Wald fahren. Dieser dauert dreimal so lange. Als die Helfer mehr als eine Stunde nach Erhalt des Notrufes an der Unglücksstelle eintreffen, können sie niemanden mehr retten. Selbst nach der verspäteten Ankunft können die Helfer nicht sofort mit ihrer Arbeit beginnen.
„Erst der dritte Löschzug hatte Wasser dabei“, berichtet Augenzeuge Jefim Wolkow fassungslos dem Internetportal lifenews.ru. Von dem Gebäude, einem von insgesamt vier in der Klinikanlage, bleiben nur qualmende Trümmer übrig.
Eine ältere Anwohnerin erklärte gegenüber dem Fernsehkanal Rossija 1, „wir standen nur und guckten.“ Zum Löschen habe man keine Mittel gehabt. In den Dorfbrunnen gab es kein Wasser. Auch einen Hydranten gab es nicht, sagte ein Anwohner. Die Feuerwehr der Psychiatrischen Klinik war vor Kurzem aufgelöst worden.
Auf einer Sitzung mit russischen Spitzenbeamten ordnete Wladimir Putin eine Schweigeminute an. Der russische Präsident erklärte, man müsse den Feuerschutz im ganzen Land überprüfen. Gesundheitsministerin Veronika Skworzowa ordnete an, in allen Kliniken die Evakuierung der Patienten zu üben. Noch am Freitag besuchte die Ministerin den Unglücksort. Der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew drückte den Angehörigen sein Beileid aus und erklärte, die Signalanlage in der Klinik habe normal gearbeitet. Der Fernsehkanal NTW berichtete dagegen, eben jene von einer privaten Firma installierte Anlage sei defekt gewesen.
Jedes Jahr eine Brandkatastrophe
Das Unglück in Ramenski im Moskauer Gebiet, rund 120 Kilometer nördlich der Hauptstadt, ist kein Einzelfall, wie Experten betonen. Immer wieder löst schlampiger Umgang mit Brandschutzvorschriften in Russland Tragödien aus. Kommentatoren weisen darauf hin, dass es vielerorts an gut ausgebildetem Personal mangele, Löhne sind niedrig, Arbeitsbedingungen oft miserabel. So gab es in den letzten sieben Jahren jedes Jahr mindestens einen Brand in einem Altersheim oder einer Psychiatrischen Klinik.
Russische Psychiatrien haben zudem einen furchtbaren Ruf. Experten beschreiben alarmierende Zustände: Eine angemessene Behandlung finde nicht statt, Patienten würden vielmehr dauerhaft ruhiggestellt. Medikamente seien veraltet und hätten Nebenwirkungen. Als Allheilmittel gelten stattdessen Elektroschocks. Die Chancen, als geheilt entlassen zu werden, sind äußerst gering.
Geistig kranke Menschen sind zudem im größten Land der Erde oft noch ein Tabu. Vor allem in kleinen Dörfern ist es vielen Bewohnern peinlich, ein krankes Familienmitglied zu haben. Pflegefälle werden häufig weggesperrt. Oft kommen auch – wie in der Unglücksklinik in Ramenski – Alkoholiker und Drogenabhängige zum Entzug in Psychiatrien unter.
Nun will das Gesundheitsministerium alle Kliniken im Land genau unter die Lupe nehmen. (mit dpa)
veröffentlicht in: Sächsische Zeitung