17. June 2010

Fünfhundert Mann für einen Flächenbrand

KIRGISISTAN / Hinter den blutigen Unruhen dürften Söldner des gestürzten Präsidenten Bakijew stecken

VON ULRICH HEYDEN, MOSKAU

In Dschalalabad und anderen Orten in Südkirgisistan herrscht Todesangst. Zehntausende Usbeken, vor allem Frauen und Kinder, sind schon geflohen. Horden von marodierenden Jugendlichen ziehen durch die Wohnviertel und fragen: „Wohnen hier Usbeken?“ Autos mit getönten Scheiben fahren durch die Stadt. Darin sitzen maskierte Männer, die auf Usbeken und Kirgisen schießen, berichten Augenzeugen. Offenbar handelt es sich um Todesschwadronen, die das Ziel haben, den Hass zwischen Kirgisen und Usbeken anzustacheln.

Regierungstruppen waren während der Pogrome in Dschalalabad auf den Straßen nicht zu sehen. In einigen Wohnvierteln bilden sich Bürgerwehren aus Kirgisen und Usbeken, die versuchen, die Viertel abzuriegeln, um das Eindringen der bewaffneten Banden zu verhindern. Vertreter der usbekischen Minderheit sprechen von bis zu 2000 Toten seit vergangenem Donnerstag.

Schon unmittelbar nach dem Ausbruch der Unruhen forderte Rosa Otunbajewa, die Chefin der nach dem Umsturz vor zwei Monaten gebildeten neuen kirgisischen Regierung, Moskau auf, Truppen zu schicken. Allein werde man mit der Gewalt auf der Straße nicht fertig. Die Auftritte der Regierungschefin, die an der Uni von Bischkek Philosophie lehrte und dann Botschafterin in den USA und Außenministerin war, wirken hilflos. Otunbajewa fiel die Führung des Staates nach dem Umsturz im April praktisch zu. Eine charismatische Führerin ist sie nicht.

Hilfe für die Usbeken, die jetzt im Süden des Landes Opfer von Pogromen werden, kann nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisationen in Bischkek nur von außen kommen. Denn die kirgisische Armee ist nicht in der Lage und offenbar auch nicht immer willens, die Massaker zu stoppen. In den Streitkräften gibt es noch zahlreiche Gefolgsleute des gestürzten Präsidenten, welche die Befehle der neuen Regierung sabotieren. Andrea Berg von Human Rights Watch, die sich zu Beginn der Pogrome in Osch aufhielt, berichtet, dass Soldaten Waffen an die marodierenden Horden verteilt und beim Plündern usbekischer Wohnhäuser zugeschaut hätten.

Die wichtigsten Gründe für den Ausbruch der Gewalt sind Armutund Arbeitslosigkeit. Viele Männer müssen als Gastarbeiter in Russland arbeiten. Außerdem bilden die Usbeken zwar in einigen Städten die Hälfte der Einwohner, sind im öffentlichen Dienst aber kaum vertreten. Radikale islamistische Organisationen warten nur darauf, dass die Situation außer Kontrolle gerät. Sie wollen die verarmten Massen im bevölkerungsreichen Ferganatal aufstacheln. Das fruchtbare Tal, welches sich auf Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan aufteilt, ist das bevölkerungsreichste Gebiet Zentralasiens. Der usbekische Präsident Islam Karimow – er ist seit 1991 im Amt und bändelt mal mit Washington, mal mit Moskau an – setzt darauf, jegliche Opposition brutal zu unterdrücken. 2005 ließ er in Andischan soziale Proteste blutig niederschlagen. Nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen kamen 800 Menschen ums Leben.

Das Knäuel von Problemen ist wohl auch der Grund, warum Russland sich scheut, Truppen zu entsenden. Moskau befürchtet, dass seine Soldaten muslimischen Fundamentalisten Nahrung für ihre Propaganda geben könnten. Dem Kreml steckt die Niederlage in Afghanistan noch in den Knochen. So hat sich Präsident Medwedjew zunächst nur zu der Ankündigung durchgerungen, der kirgisischen Armee Waffen, Militärfahrzeuge und Benzin zu liefern. Diese Maßnahmen muss das regionale Militärbündnis OVKS genehmigen, eine Intervention wäre gemäß der Statuten nur mit UN-Mandat möglich.

Der Organisation des Vertrages über die kollektive Sicherheit,wie es ausführlich heißt, gehören außer Russland und Kirgisistan noch Tadschikistan, Usbekistan, Kasachstan, Armenien und Weißrussland an. Wenn sich der Konflikt weiter zuspitze, werde er eine Zusammenkunft der Staatsführer der ODKB-Staaten einberufen, kündigte Medwedjew am Montag an.

Dass die Pogrome im Süden Kirgisistans nicht spontan entstanden, sondern von außen initiiert wurden, daran hegen Menschenrechtler und Regierungsmitglieder in Bischkek keinen Zweifel. Helfer und Verwandte des gestürzten Präsidenten Kurmanbek Bakijew seien dafür verantwortlich, heißt es einstimmig. Bakijew, der zurzeit im Exil in Weißrussland lebt, wolle ein für den 27. Juni geplantes Referendum über eine neue Verfassung von Kirgisistan mit allen Mitteln verhindern. Das Referendum gäbe der neuen Regierung in Bischkek zusätzlich Legitimität. Bakijew und den Geschäftsleuten, die gut unter ihm lebten, wäre die Rückkehr zur Macht verbaut.

Hinweise auf einen Umsturzversuch gab es zuhauf. Ende Mai tauchte auf der Internet-Plattform Youtube ein Telefongespräch auf. Darin unterhalten sich zwei Männer auf Russisch darüber, wie man am besten einen neuen Umsturz organisiert. Es soll sich um Maxim Bakijew, den Sohn des gestürzten Präsidenten, und seinen Onkel Dschanischbek Bakijew handeln. Man brauche nur 500 gut ausgerüstete Kämpfer, das sei völlig ausreichend, sagt der Mann, dessen Stimme der Maxim Bakijews ähnlich ist.

Bakijew junior, der unter seinem Vater für die Verwaltung der Auslandsinvestitionen in Kirgisistan zuständig war, flüchtete nach dem Umsturz im April in die USA und von dort weiter nach Lettland. Wenige Tage nach dem Ausbruch der Pogrome in Südkirgisistan wurde er auf einem Londoner Flughafen verhaftet. Die Regierung in Bischkek hatte ihn wegen der Veruntreuung eines 300-Millionen-Dollar-Kredits aus Russland per Interpol zur Fahndung ausgeschrieben. Doch ist seine Festnahme für die Regierung in Bischkek nur ein schwacher Trost: Denn faktisch kontrolliert sie nur noch den Norden des Landes.

"Rheinischer Merkur"

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