2. October 2008

Gefährliche Entfremdung

Angela Merkel muss in Moskau auf Russland zugehen

Russland powert und mauert. Von einem Eingehen auf westliche Kritik am russischen Vorgehen in Georgien ist in Moskau nichts zu spüren. Das wird auch Bundeskanzlerin Angela Merkel spüren, wenn sie heute in St. Petersburg mit Dimitri Medwedew zusammentrifft.

Russland fühlt sich bedrängt - vom georgischen Präsidenten, der mit den USA eine große Macht auf der anderen Seite des Atlantiks hinter sich weiß, von den geplanten US-Raketenabwehrsystemen in Polen und Tschechien, von dem Streben ukrainischer Politiker in das westliche Bündnis Nato.

Die Menschen in Russland scharen sich derzeit um ihre Führung. Das ist nicht nur, wie viele im Westen es gerne sehen, Ergebnis einseitiger Information aus Moskau. Vielmehr werden jetzt auch bei einfachen Russen Gefühle wach, die bis in die Zeit des Zweiten Weltkrieges zurückreichen. Es herrscht eine fast trotzige Stimmung: Wenn der Westen uns nicht versteht, dann suchen wir eben Unterstützung in Peking oder Caracas, so die vom Kreml vorgegebene Position, die von den Menschen übernommen wird. Doch es wäre falsch, wenn Europa sich jetzt ebenfalls trotzig zeigte. Die Verständigung zwischen Russland und Europa braucht einen langen Atem. Was sind schon die 18 Jahre seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Vergleich zu 70 Jahren Isolation und Kaltem Krieg? Drohungen und Machtgebärden auf beiden Seiten gefährden mühsam aufgebaute Verständigungsprozesse.

Jetzt erst recht geht es darum, den KSE-Rüstungskontroll-Vertrag für Europa zu retten und gemeinsam Konflikte im Kaukasus und in der Region um Afghanistan zu verhindern. Angela Merkel sollte an der Grund-Sympathie der Russen gegenüber den Deutschen ansetzen und Einseitigkeit im Georgien-Konflikt vermeiden.

Alle Ratschläge, man müsse gerade jetzt gegenüber Russland hart auftreten, führen zur Entfremdung beider Länder und damit in die Sackgasse. Es stände der Kanzlerin gut zu Gesicht, wenn sie sich bei ihrem Russland-Besuch nicht nur zum russischen Vordringen ins georgische Kernland, sondern auch zu dem abenteuerlichen Kurs des georgischen Präsidenten kritisch äußern würde. Diese Kritik wäre kein Zurückweichen gegenüber Russland - sondern eine Anerkennung humaner und völkerrechtlicher Prinzipien.

Wenn die Kanzlerin in St. Petersburg auch Worte der Trauer über die Zivilopfer in Südossetien fände, würde sie auf Verständnis bei vielen nachdenklichen Georgiern stoßen, vor allem aber Sympathien bei vielen Russen gewinnen, die sich jetzt aus patriotischem Pflichtgefühl vom Westen abwenden.

"Saarbrücker Zeitung"

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