30. September 2009

Große und kleine Putins gängeln die Medien

Von Ullrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau

Dringend! Am Staudamm sterben Leute.“ Mit diesem Hilferuf wandte sich der Chefredakteur der südsibirischen Internetzeitung „Nowyj Fokus“, Michail Afanasjew, am 18. August, einen Tag nachdem in den Turbinen-Saal am Staudamm Sajano-Schuschensko die kalten Wassermassen des Jenissej stürzten, an die Öffentlichkeit. Offenbar wegen einer veralteten Turbine, war es in dem Elektrizitätskraftwerk zum Wassereinbruch gekommen. 71 Kraftwerk-Arbeiter und Techniker ertranken.

Angehörige von vermissten Arbeitern hatten Afanasjew um den öffentlichen Hilferuf gebeten. In einigen Räumen in der Nähe der zerstörten Turbinen-Halle seien Klopfzeichen gehört worden. Dort gäbe es noch Überlebende, schrieb der Journalist in seinem Internet-Artikel. Durch eine andere Wasser-Regulierung am Staudamm könne man den Wasserspiegel in der überfluteten Turbinen-Halle senken und Menschenleben retten. Tatsächlich wurden in den Trümmern unmittelbar nach der Katastrophe noch zwei Überlebende gefunden.

Der Hilfe-Aufruf passte allerdings nicht in das Konzept der Behörden, die Menschen in der Region ruhig zu halten. Die Staatsanwaltschaft lud den Journalisten Afanasjew zum Verhör, seine Wohnung wurde durchsucht und wegen Verleumdung von staatlichen Stellen und der Kraftwerksleitung ein Strafverfahren eingeleitet.

Computer beschlagnahmt

„Mein Computer und alle Datenträger wurden beschlagnahmt“, erzählte der Journalist. Da sich Afanasjew nicht dazu bewegen ließ, sich öffentlich zu entschuldigen, wurde das Verfahren nach zwei Wochen ohne Angaben von Gründen eingestellt. Am 9.September wurde Afanasjew in der Nähe seiner Wohnung von zwei Unbekannten angefallen und geschlagen. Der Journalist vermutet, dass der Überfall mit seiner öffentlichen Kritik zu tun hatte.

Die westliche Öffentlichkeit weiß zwar allgemein, dass der Kreml vor allem die staatlich kontrollierten und bezahlten Fernseh- und Rundfunkmedien in seinem Sinne lenkt. Da kommen Präsident Medwedjew und Premier Putin nicht nur in Wahlkampfzeiten häufig und ausschließlich positiv vor. Die Opposition hingegen, sofern vorhanden und überhaupt zur Kenntnis genommen, wird in erster Linie negativ dargestellt.

Nicht erkennbare Werbung


Wie sich die Lage jedoch für viele regionale Medien zwischen Moskau und Wladiwostok darstellt, untersucht der kürzlich von „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) veröffentlichte Bericht „Helden und Handlanger“. Die Analyse durch fünf deutsche Journalisten liefert dabei ein recht differenziertes Bild.

Demnach gibt es in Russland durchaus noch unabhängige Regionalzeitungen. Die Verlagshäuser verdienen ihr Geld nicht hauptsächlich mit der Zeitung, sondern mit „unpolitischen“ Druckerzeugnissen wie Hochglanzmagazinen und Werbeblättern. Laut Studie hat sich bei vielen nichtstaatlichen Regionalzeitungen die Praxis etabliert, dass Regierende oder Geschäftsleute über sogenannte „Informationsverträge“ Artikel in Auftrag geben. Diese als „Image-Reklame“ bezeichneten Werbebeiträge für provinzielle Mini-Putins oder „Bisnesmeny“ tauchen im Redaktionsteil auf und sind für den Leser nicht als solche zu erkennen.

Derartige Praktiken gibt es auch bei Internet-Zeitungen und beim Fernsehen. So hat der Fernsehkanal „Poisk TV“ in der nordwestlich von Moskau gelegenen Stadt Klin mit dem Bürgermeister einen „Informationsvertrag“ abgeschlossen, nachdem der Kanal pro Quartal 960 Minuten über die Tätigkeit der städtischen Regierungs-Organe zu berichten hat.

Bezahlte Artikel

Nach Schätzung eines in der Studie zitierten Experten, sind 80 Prozent des Inhaltes von Internetzeitungen „bezahlte Artikel“. Häufig nutzen Geschäftsleute Regionalzeitungen auch, um Konflikte mit staatlichen Verwaltungsorganen auszutragen, wobei man sich auch schon mal als Sprachrohr einer Bürgerinitiative präsentiert, wie die Zeitung „Soglasije i Prawda“ (Eintracht und Wahrheit!) in Klin.

"Sächsische Zeitung"

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