4. October 2013

Jagd auf Migranten

Pünktlich zum Bürgermeister-Wahlkampf startete kürzlich die Moskauer Polizei Massenfestnahmen gegen nicht-legale Migranten und errichtete ein Internierungs-Lager. Die Massenfestnahmen, bei denen nach Medienberichten in Moskau und im Moskauer Umland etwa 3.000 Menschen festgenommen wurden, bezeichnete die Innenbehörde als Maßnahme zur „Entkriminalisierung“ der Freiluft-Märkte.

Die Fernsehbilder der Razzien waren erschreckend. Die auf den Märkten meist wahllos Festgenommenen mussten sich in langen Reihen hinhocken und die Hände hinter dem Kopf verschränken. Anlass der Razzien und Festnahmen war der Versuch von Markthändlern aus Dagestan, die Verhaftung eines Verwandten zu verhindern.

Der 25 jährige soll versucht haben, eine Russin zu vergewaltigen. Während die Verwandten vor dem Matwejewski-Markt im Südwesten von Moskau auf eine Zivilstreife einprügelten, schauten andere Polizisten in Uniform zu, was die Volksseele in Moskau hochkochen ließ. Die Medien der Hauptstadt, die seit Jahren meist negativ über Arbeits-Migranten berichten, empörten sich über die Kaukasier, die sich jetzt auch schon „an unseren Polizisten“ vergreifen.

Präsident Putin kritisiert die Moskauer Polizei

Ausgerechnet Wladimir Putin wies darauf hin, dass die Polizisten, die der Schlägerei zwischen Dagestanern und der Zivil-Streife zuschauten, sich offenbar ein paar „Silberlinge“ verdient hatten und deshalb nicht in die Schlägerei eingriffen. Damit spielte der Kreml-Chef darauf an, dass Moskauer Polizisten Markthändler gegen Schmiergelder vor Kontrollen schützen. Putin war es auch, der Anfang September auf einer Sitzung des Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft dazu aufrief, die Arbeits-Migranten aus Zentralasien vor „Sklaverei und Ausbeutung zu schützen“.
Doch derartige Stellungnahmen haben auf die reale Politik gegenüber Migranten keinen Einfluss und gehen unter in einer Welle von Emotionen gegen die Gastarbeiter, die nach Meinung vieler Moskauer Löhne drücken, sich nicht in die russische Gesellschaft integrieren und angeblich besonders „kriminell und dreckig“ sind. Auf der Welle dieser Empörung segelten auch die beiden stärksten Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl: Der wiedergewählte Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin erklärte, ohne die Kriminalität der Zugereisten wäre Moskau „die sicherste Stadt der Welt“. Die Moskauer Innenbehörde veröffentlichte umstrittene Zahlen, die belegen sollten, dass die Kriminalität unter den Migranten in Moskau angeblich besonders hoch ist. Der oppositionelle Bürgermeisterkandidat und Blogger Aleksej Nawalny fordert die visafreie Einreise für Migranten aus den ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien abzuschaffen.

Internierungslager für Näherinnen aus Vietnam

Anfang August, wenige Tage nach Beginn der Moskauer Razzien wurde im Nordosten der Stadt, im Bezirk Goljanowo, das erste Internierungs-Zeltlager für nichtlegale Arbeits-Migranten unter freiem Himmel errichtet. Unter den 584 Insassen waren vor allem Näher und Näherinnen aus Vietnam, die in einer unterirdischen Fabrik, nicht weit vom Zeltlager, gefälschte Markenartikel hergestellt hatten. Die Pässe hatte der Chef der Fabrik, ein Aserbaidschaner, den Vietnamesen abgenommen. Das Zeltlager wurde Ende August aufgelöst. Die Insassen des Lagers hat man nach Vietnam deportiert oder in ein Lager im Moskauer Umland überführt. Die Moskauer Innenbehörde plant jetzt in einer ehemaligen Militärsiedlung im Jegorewsk-Bezirk im Moskauer Umland ein Lager für 2.000 Migranten, die ohne legale Dokumente in Moskau aufgegriffen werden.

Sklaven aus Kasachstan

Die unterirdische Nähfabrik im Bezirk Goljanowo, wo 700 Vietnamesen arbeiteten, ist kein Einzelfall. Erst im Oktober letzten Jahres hatten Menschenrechtler im gleichen Stadtbezirk zwölf Sklaven aus Kasachstan befreit, die im Keller eines von Kasachen geführten Supermarktes lebten und zum Teil schon seit zehn Jahren ohne Lohn als Verkäufer arbeiteten. Einige Frauen hatten in der Gefangenschaft Kinder geboren. Die Pässe hatte der Arbeitgeber den Sklaven abgenommen. Die örtliche Polizei hatte von den Gefangenen gewusst, die Aufklärung des Falles aber aktiv behindert. Eine Anklage gegen die Ladenbesitzer wurde bis heute nicht erhoben.

veröffentlicht in: Eurasisches Magazin

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