4. April 2007

Juschtschenko geht aufs Ganze

Drei Jahre nach der orangenen Revolution stehen sich Viktor Juschtschenko und Viktor Janukowitsch wieder frontal gegenüber. Der Präsident hat das Parlament aufgelöst, der Premier widersetzt sich. In Kiew demonstrieren zehntausende Anhänger der beiden Kontrahenten.

In Kiew erinnert Vieles an die orangene Revolution vor drei Jahren. Unter ihren Fahnen demonstrieren die "Orangenen" - die Anhänger von Präsident Viktor Juschtschenko und Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko - und die "Hellblauen" - die Unterstützer von Premier Viktor Janukowitsch. Wie im November 2004 droht eine Eskalation zur Gewalt.

Über mächtige Lautsprecher vor dem Parlamentsgebäude wetterte Janukowitsch gestern gegen den Beschluss von Viktor Juschtschenko, das Parlament aufzulösen. Präsident Juschtschenko hatte zuvor per Dekret für den 27. Mai Neuwahlen angesetzt. Janukowitsch: "Wir tun alles, um den Präsidenten zu überzeugen, dass er seinen Ukas zurücknehmen muss. Wenn er das nicht tut, übernimmt er eine große Verantwortung für das Land."

In diesem Fall seien nicht nur neue Parlamentswahlen "sondern auch Präsidentschaftswahlen unvermeidlich." Janukowitsch, der ehemalige Autoschlosser und Gouverneur des ostukrainischen Industriegebiets Donezk, der im August 2006 nach langen Debatten von Juschtschenko zum Ministerpräsidenten ernannt wurde, weiß die Arbeiter in den Bergwerken und die Industriebarone im Osten des Landes hinter sich. 2004 machte er noch als Wahlfälscher Schlagzeilen, doch dann wurde er zum standfesten Politiker ohne Berührungsängste. Bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2006 ließ sich Janukowitschs "Partei der Regionen" von amerikanischen PR-Agenturen beraten. Vor kurzem erklärte der prorussische Politiker, die Ukraine sei zu Gesprächen über das amerikanische Raketenabwehrsystem bereit. Beobachter meinten, mit dem Angebot wolle sich Janukowitsch nur gegenüber den Amerikanern als politischer Faktor ins Spiel bringen.

Juschtschenko entschloss sich zu dem äußersten Schritt der Parlamentsauflösung offenbar aus Angst vor dem völligen Machtverlust. In den letzten Wochen waren elf Abgeordnete aus dem Präsidenten-Lager zur Regierungs-Koalition übergelaufen. In Kiew heißt es, sie seien gekauft worden. Angesichts dieser Entwicklung scheint es nicht mehr ausgeschlossen, dass die Regierung die Zahl ihrer Abgeordneten von jetzt 262 auf 300 Abgeordnete erhöht und damit im Parlament die 2-Drittel-Mehrheit bekommt, die Verfassung ändern und Juschtschenko entmachten könnte. Juschtschenko erklärte, die Übertritte einzelner Abgeordneter zu der Parteienkoalition widerspreche der Verfassung.

Wie zu erwarten war, widersetzt sich das Parlament seiner Auflösung. Die Abgeordneten ersuchten das Verfassungsgericht, das Dekret des Präsidenten zu prüfen. Außerdem sperrten die Abgeordneten die Mittel für vorgezogene Neuwahlen und entließen zu guter Letzt auch noch die Zentrale Wahlkommission. Auch die Regierung verurteilte das Dekret zur Parlamentsauflösung. Die Minister für Inneres und Verteidigung stehen jedoch hinter Juschtschenko. Verteidigungsminister Anatoli Grizenko erklärte, die Streitkräfte würden "nur die Befehle des Oberkommandierenden ausführen".

Aus dem Ausland gab es mahnende Stimmen. Das US-Außenministerium rief die "politischen Führer in der Ukraine" zu "verantwortungsvollem" Handeln auf. Die EU forderte Kompromissbereitschaft und Mäßigung beider Parteien. Der russische Außenminister Sergej Lawrow appellierte, den Konflikt "auf Grundlage der Verfassung und im Dialog" zu lösen.
Thüringer Allgemeine

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