26. April 2010

Katastrophe in Tschernobyl wieder möglich

Die Schutzhülle um den Reaktor in Tschernobyl ist instabil. Wie viel ein neuer Sarkophag kosten wird, weiß niemand so genau. Die Gefahr nimmt zu.

Moskau. In der Ukraine, Weißrussland und Russland wirrd gestern der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vor 24 Jahren gedacht. Auf Friedhöfen werden Blumen und Kränze für die verstorbenen Feuerwehrleute niedergelegt, die in der Unglücksnacht am 26. April den Brand in dem explodierten Reaktor von Tschernobyl bekämpften, und für die tausenden Liquidatoren, die nach den Aufräumungsarbeiten an den Folgen der Verstrahlung starben.

Kurz vor dem Jahrestag erschreckte der ukrainische Abgeordnete und Tschernobyl-Experte Wladimir Jaworiwski die internationale Öffentlichkeit. Wenn es zu einem Erdbeben der Stärke fünf komme, könne das Dach des Beton-Sarkophags abrutschen, meinte der Parlamentarier, der zur Partei von Julia Timoschenko gehört. Wenn das Dach des Sarkophags abrutsche, könne es zu einer zweiten Explosion kommen, schwerer als die von 1986, warnte der Experte.
Bis heute ist immer noch vieles unbekannt, was in Tschernobyl eigentlich in der Nacht auf den 26. April 1986 passierte. Man weiß zum Beispiel nicht, wie hoch die Strahlung nach der Explosion war. Als 69 Feuerwehrleute den Brand im Maschinensaal und im Reaktorgebäude bekämpften, streikten ihre Dosimeter, die auf 1000 Röntgen in der Stunde ausgelegt waren. Unbekannt ist auch, wieviel von dem radioaktiven Brennstoff in die Umwelt gelangte. Nach offiziellen Angaben gelangten fünf bis 30 Prozent des radioaktiven Stoffs in die Luft. Augenzeugen berichteten jedoch, der zerstörte Reaktor sei leer und somit sei viel mehr in die Umwelt gelangt. Bei den 69 Feuerwehrleuten machte sich die Strahlenkrankheit sofort bemerkbar. Als sie ihre Handschuhe auszogen, fiel die Haut von den Hände ab.

Bei den am Unfall beteiligten Personen gäbe es ein kollektives Schweigen, die Protokolle der schichtführenden Brigade seien verschwunden, schreibt der Experte Boris Gorbatschow in der angesehenen Kiewer Zeitung Serkalo Nedeli. Nicht der Reaktortyp sondern ein falscher Befehl aus Moskau sei für das Unglück verantwortlich gewesen. Der Befehl kam angeblich per Telefon von einem ehemaligen Chefingenieur des Kernkraftwerkes Tschernobyl mit dem Namen G. Koptschinski, der zum Zeitpunkt des Unglücks einen leitenden Posten im Ministerrat in Moskau innehatte und der heute unbescholten als Rentner in einem Haus der höheren Preisklasse im Stadtzentrum von Kiew lebt.
Die drei unversehrten Tschernobyl-Reaktoren, die nach dem Unglück noch weiter Strom lieferten, wurden auf Drängen der G 8 und der EU-Kommission im Dezember 2000 stillgelegt. Doch damit war das Problem Tschernobyl noch nicht erledigt. Seit Jahren fordern Experten den in aller Eile gebauten Beton-Sarkophag, der den zerstörten vierten Reaktor umschließt, durch ein modernes Gebäude zu umschließen.

2007 gewann ein deutsch-französisches Konsortium eine Ausschreibung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung zum Bau eines neuen Sarkophags, der die alte Beton-Schutzhülle in einer Höhe von 108 Metern überwölben soll. Doch der Baubeginn wurde immer wieder verschoben. Kritische Medien in der Ukraine berichteten, dass Geld aus dem Westen immer wieder in die Taschen ukrainischer Beamter verschwinde.

Der neue Sarkophag soll 500 Millionen Euro kosten. 28 Länder beteiligen sich an der Finanzierung. Das Geld ist scheinbar zusammen, denn in diesem Monat sagte auch Barak Obama 250 Millionen Dollar zu. Russische Experten glauben jedoch, dass der Bau des neuen Sarkophags 1,5 Milliarden Dollar kosten wird.

"Thüringer Allgemeine"

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