Kein Betteln um Begnadigung
Schon zu Beginn des Prozesses gegen die drei Frauen von Pussy Riot hatten die drei Angeklagten eingestanden, dass sie einen «ethischen Fehler» gemacht hatten.
Die Gefühle der Gläubigen hätten sie mit ihrer Aktion in der Christi-Erlöser-Kirche nicht verletzen wollen. Und sie erklärten, dass sie die russisch-orthodoxe Religion achten, ja sogar schätzen. An ihrer Überzeugung, dass eine Aktion in Russlands wichtigster Kirche gerechtfertigt sei, weil das Moskauer Patriarchat die autoritäre Politik von Wladimir Putin unterstützt, hielten die Frauen aber selbstbewusst fest. Mit ihrem Standpunkt sehen sie sich eins mit der in Russland immer noch präsenten Protestbewegung.
Das Patriarchat der russisch-orthodoxen Kirche hat die Entschuldigung wohl gehört, wollte sie aber nicht annehmen. Denn die Frauen bestanden darauf, dass sie nicht antireligiös, sondern politisch gehandelt haben. Ein Protest dagegen, dass sich die Kirche zum Büttel eines autoritären Staates macht, müsse möglich sein. Das Beharren auf ihrem Standpunkt war die eigentliche Provokation. Doch die Kirche weiss, dass ein nicht unerheblicher Teil der Gesellschaft gegen eine harte Strafe für die Frauen ist. Diesen Teil der Gesellschaft vor den Kopf zu stossen, erscheint den Kirchenführern riskant. Wohl deshalb rief der Oberste Rat der Russisch-orthodoxen Kirche nur eine Stunde nach der Urteilsverkündung «die staatliche Macht» dazu auf, gegenüber den drei Frauen Milde walten zu lassen. Die Kirche kann sich ein Zeichen der Schwäche leisten, aber der Staat?
Der Kreml will im eigenen Land nicht als schwach erscheinen, insbesondere nicht gegenüber dem Druck von aussen. Muss er also zuerst strafen, um sich dann vielleicht mildtätig zu zeigen? Nachdem die Kirche nun für Milde plädiert, könnte ein Berufungsantrag der Anwälte von Pussy Riot in der nächsthöheren Instanz Erfolg haben. Man kann also davon ausgehen, dass Verteidigung, Kirche und Staat nun nach einem Kompromiss suchen werden. Doch einfach wird das nicht. Denn die drei Frauen von Pussy Riot wollen ein Russland ohne Putin. Und beim Kreml-Chef um Begnadigung betteln werden sie nicht.
veröffentlicht in: Südostschweiz