3. August 2017

Krim: Probleme auf der jetzt russischen Halbinsel

Ein russischer Experte, wohnhaft auf der Krim, bemängelt die anhaltende Korruption und ein fehlendes Modernisierungskonzept für die Halbinsel

Die Euphorie über die Vereinigung der Krim mit Russland ist verflogen. Der Alltag auf der Halbinsel ist wieder eingekehrt. Vieles hat sich auf der Insel schon verbessert. Die Löhne der Staatsangestellten sind deutlich gestiegen. Die medizinische Versorgung ist besser geworden. Doch vieles bleibt zu tun, meint der Leiter des "Institut Strategie Krim", Eduard Blochin, dessen kritische Bestandsaufnahme vergangene Woche vom Moskauer Massenblatt Moskowski Komsomolez veröffentlicht wurde. Der Experte lebt selbst auf der Krim.

Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts WZIOM vom März 2017 sind 74 Prozent der Krim-Einwohner der Meinung, dass die Integration der Halbinsel in die Russische Föderation insgesamt erfolgreich verlaufen sei. Die befragten Bürger hätten bei der Umfrage aber auch eine große Zahl von Problemen genannt, die noch gelöst oder die neu entstanden sind, schreibt der Autor.

Unzufrieden sind die Bürger auf der Krim mit dem niedrigen Tempo beim Straßenbau (25 Prozent der Befragten), den hohen Preisen (23 Prozent), dem Abbau von Arbeitsplätzen (13 Prozent) und stagnierenden Löhnen (zwölf Prozent). Problematisch sei die Situation der Rentner. Bei Renten von 170 Euro sei es schwer zu leben, schreibt Blochin. Denn die Preise auf der Krim näherten sich "Moskauer Niveau".

Dreiviertel der Bewohner haben Erfahrung mit Schmiergeld-Forderungen

Der Leiter des "Instituts Strategie Krim" weist auch auf die anhaltende Korruption hin. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts FOM beurteilen 25 Prozent der Krim-Einwohner die Korruption in der Region als hoch und 37 Prozent als mittelmäßig. Der Autor des Artikels zitiert den Direktor der Abteilung für öffentliche Sicherheit von Sewastopol, Juri Schernstnew. Nach dessen Berechnungen sind 75 Prozent der Bürger mit Schmiergeldforderungen von Beamten konfrontiert.

Ein großes Problem auf der Krim sind die Gebäude, welche während der Zeit der Ukraine ohne behördliche Genehmigung gebaut wurden. Blochin schreibt, die städtischen Behörden würden den Abriss dieser Gebäude manchmal sabotieren. Beamte würden behaupten, dass sie die Eigentümer der illegal gebauten Gebäude "nicht kennen". Der Neubau von Hotels komme nur sehr langsam voran. Obwohl die Regierung der Krim immer wieder verspreche, dass neue Hotels gebaut werden, seien 2016 nur elf neue Hotels mit insgesamt 618 Zimmern gebaut worden. Das sei bei jährlich sechs Millionen Touristen einfach zu wenig.

Nach der ersten Euphorie über die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation war der Ansturm der russischen Touristen auf die Halbinsel groß. Doch nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Interfax ist der Touristenstrom im Januar/Februar 2017 um 25 Prozent zurückgegangen. In diesem Jahr sei insgesamt ein Rückgang zu erwarten, da es jetzt nach einer längeren Pause wieder Charterflüge von Russland in die Türkei gibt.

Probleme mit dem Müll

Zu den Problemen, die Blochin aufzählt, gehören auch die 28 großen und 300 kleinen Müllplätze mit insgesamt 30 Millionen Tonnen Hausmüll. Die Müllmenge nehme jedes Jahr um eine Million Tonnen zu.

Die Bürger seien jedoch nicht untätig, schreibt der Autor des Artikels. In Sewastopol demonstrierten am 27. Mai 3.000 Menschen gegen den neuen Generalplan der Stadt. Es fehle bisher eine Vorstellung, wie man auf der Halbinsel mit ihrer einzigartigen Landschaft und dem besonderen KIima "Elemente einer postindustriellen Gesellschaft", etwa "ein russisches Silicon Valley", aufbauen kann. Der Experte schlägt auch den Aufbau einer russischen Pharmaindustrie sowie die Nutzung alternativer Energiequellen vor.

Um die Krim wirtschaftlich voranzubringen, sollten Touristen aus etwa 50 Ländern die Halbinsel visafrei besuchen können. Auch müsse die Krim ihr Potential als "Offshore-Territorium" stärker nutzen. Russische Banken und Versicherungsgesellschaften müssten trotz der juristischen Schwierigkeiten endlich Tochter-Gesellschaften oder Filialen auf der Krim eröffnen. Bisher ist auf der Krim keine der großen russischen Banken vertreten. Die Banken auf der Insel sind alle in der Hand örtlicher Eigentümer.

Blochin schlägt außerdem vor, den Leiter der Republik Krim direkt von der Bevölkerung wählen zu lassen. Die ersten Wahlen könnten im September 2018 - parallel zu den Kommunalwahlen in ganz Russland - stattfinden. Eine Reaktion der Regierung der Krim auf die Vorschläge von Blochin ist bisher nicht bekannt.

Lob und Kritik aus den Reihen der russischen Intellektuellen

Während die Regierung der Krim zu dem Artikel bisher schwieg, haben sich zwei bekannte russische Persönlichkeiten dazu geäußert. Der bekannte russische Schriftsteller Sachar Prilepin, der seit Februar dieses Jahres als stellvertretender Leiter eines Freiwilligenbataillon in der selbsternannten "Volksrepublik Donezk" lebt, schrieb in seinem Blog, dass ihm besonders zwei Ideen in dem Artikel von Blochin gefallen, nämlich der Vorschlag, dass russische Medien auf der Halbinsel Korrespondentenbüros einrichten, um der "ukrainischen Propaganda" etwas entgegenzusetzen, und der Vorschlag, dass russische Banken auf der Krim Filialen eröffnen.

Prilepin, welcher der "Nationalbolschewistischen Partei" von Schriftsteller Eduard Limonow angehörte und der in Deutschland 2006 durch seinen Roman "Sankya" bekannt wurde, meint, viele russische Medien und Banken "müsse man zum Patriotismus noch erziehen". Wenn russische Banken auf der Krim Filialen eröffneten, dann könne man auch in anderen schwierigen Situationen "auf ihre Unterstützung rechnen". Das sage er als Mensch, "der im Donbass lebt".

Ganz anders reagierte auf den Blochin-Artikel der nach Kiew emigrierte russische Oppositionelle Ilja Ponomarjow. Es sei immer interessant, die Meinung von Opponenten zu lesen, die "noch nicht zu Zombies geworden sind", sondern sich einfach nur "verirrt haben", schreibt Ponomarjow auf Facebook. Nach Meinung des russischen Oppositionellen zeigt die von Blochin zusammengestellte Mängel-Liste, dass die Bewohner der Krim nach einigen Jahren darum bitten werden, "wieder zur Ukraine zurückzukehren".

Krim lockt Investoren mit Vorzugsbedingungen

Die Regierung der Krim gibt sich, was die wirtschaftliche Lage auf der Halbinsel betrifft, hoffnungsvoll. Wie der Minister für wirtschaftliche Entwicklung der Krim, Andrej Melnikow, auf dem Internationalen Medienforum in Aluschta im Juni erklärte, ist die Krim eine Sonderwirtschaftszone. Für neue Investitionsprojekte fallen keine Steuern an. Ziel sei es, die Krim von einer vom russischen Haushalt bezuschussten Region zu einer Region zu machen, die sich selbst finanziert. Die Steuern auf der Krim seien "die niedrigsten in ganz Russland", erklärte der Minister.

Durch die Bildung von Trusts sei es möglich, die Anonymität von ausländischen Investoren zu schützen. Bei einem Trust wird das Eigentum einem Treuhänder übergeben. Den Gewinn bekommt jedoch der ursprüngliche Eigentümer. Inwieweit diese Investitionsmöglichkeit von Ausländern genutzt wird, sagte der Minister nicht.

Die beiden größten Investitionsobjekte auf der Krim - der neue Flughafen-Terminal in Simferopol und die Auto-und Eisenbahnbrücke zum russischen Festland - werden mit Krediten staatlicher russischer Banken finanziert. Viele private Groß-Unternehmen in Russland halten sich allerdigs aus Angst vor den westlichen Sanktionen mit Investitionen auf der Krim noch zurück. Das wird von Vertretern des patriotischen Lagers in Russland kritisiert. Der Moskauer Politologe Michail Deljagin führte auf dem Medien-Forum die Fluggesellschaft Aeroflot als positives Beispiel an. "Aeroflot wollte die Krim zunächst nicht anfliegen. Doch dann gab es eine Anweisung aus dem Kreml und sie flogen." Niemand im Westen habe es bisher gewagt, gegen Aeroflot Sanktionen zu verhängen.

Der Pressesprecher des staatlichen Ölkonzerns Rosneft, Michail Leontjew, sprach sich auf dem Medien-Forum für ein staatlich reguliertes Wirtschaftsmodell auf der Krim aus. Unternehmen, die "politische Bedeutung" haben, müssten vom Staat mit großzügigen Krediten unterstützt werden.

Deljagin und Leontjew hoffen offenbar, dass man auf der Krim das realisieren könne, was im russischen Gesamtmaßstab zurzeit nicht möglich ist: eine stärker staatlich regulierte Wirtschaftspolitik.

Präsidentschaftswahl am Jahrestag des Krim-Referendums

Die Krim steht durch die Ereignisse vom Frühjahr 2014 - dem Referendum für eine Vereinigung mit Russland - unter besonderer Beobachtung internationaler Medien und der russischen Öffentlichkeit. Auch deshalb kann man davon ausgehen, dass die russische Regierung kritische Äußerungen von der Halbinsel sehr aufmerksam registriert. Die Krim hat für Russland eine enorme Bedeutung. Noch einmal werden sich alle Augen auf die Halbinsel richten, wenn nämlich am 18. März 2018 - dem Jahrestag des Krim-Referendums von 2014 - in Russland Präsidentschaftswahlen stattfinden.

Veröffentlicht von Telepolis

 

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