Der Anteil der Ukrainisch- und Russisch Sprechenden in den Regionen der Ukraine (2001). Bild: Olegzima/CC BY-SA 3.0
Nachdem Janukowitsch 2010 Präsident geworden war, wurde 2012 ein Gesetz über Regionalsprachen erlassen. Das Gesetz sah vor, dass wenn eine Sprache von über zehn Prozent der Bevölkerung einer Region gesprochen wird, diese Sprache in den Rang einer zweiten offiziellen Sprache der Region gehoben wird.
Unmittelbar nach dem Staatsstreich in Kiew, am 23. Februar 2014, wurde das Regionalsprachengesetz von der Rada abgeschafft. Die Abschaffung wurde dann aber - offenbar wegen Kritik aus dem Westen -auf Eis gelegt. Es fehlt bis heute die Unterschrift des Parlamentssprechers unter das Gesetz.
Wahlbeteiligung bei der Präsidentschaftswahl Mai 2014. Bild: Nazar.galitskyj//CC BY-SA 3.0
Bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2014 zeigte sich, auf welch schwachen Füßen die neue Macht in Kiew stand. Während die Wahlbeteiligung im äußersten Westen der Ukraine bei 80 Prozent lag, beteiligten sich im gesamten Südosten der Ukraine nur zwischen 50 und 55 Prozent der Berechtigten an der Wahl.
In der Ukraine läuft seit dem Regierungssturz 2014 ein Prozess der "Dekommunisierung". Nachdem erst spontan kommunistische Denkmäler von Radikalen gestürzt wurden, legalisierte das Parlament diesen Prozess im Mai 2015 mit dem Gesetz "Über die Verurteilung kommunistischer und nationalsozialistischer (nazistischer) totalitärer Regimes und das Verbot der Propaganda ihrer Symbole". Das Gesetz sieht vor, dass zahlreiche Denkmäler abgebaut sowie Orte und Straßen mit den Namen von KP-Funktionären oder abstrakten Bezeichnungen wie "Sozialistische Revolution" umbenannt werden müssen. Sowjetische Symbole, wie Hammer und Sichel, dürfen nicht mehr gezeigt werden. Abgebaut werden müssen nach dem Gesetz auch Denkmäler zum Gedenken an führende Wissenschaftler und Kulturschaffende, welche "das kommunistische Regime unterstützten".
Nach der Einschätzung des ukrainischen Instituts zum nationalen Gedenken müssen 76 Städte und 795 Dörfer umbenannt werden. Zwei Gebietszentren sind ebenfalls betroffen. Die Stadt Dnjepropetrowsk mit ihren 900.000 Einwohnern wurde Mitte Mai von der Werchowna Rada in "Dnjepr" umbenannt. Die Stadt Kirowograd soll in "Ingulsk" umbenannt werden.
Elf Abgeordneten der Rada reichen die Umbenennungen noch nicht. Sie haben einen Gesetzentwurf eingebracht, den 1. Mai und den 9. Mai (Sieg über den Nazismus) wieder zum Arbeitstag zu machen. Die Abgeordneten meinen diese Feiertage seien "zu politisiert" und nützten nur der "russischen Propaganda".
In der West-Ukraine gibt es schon seit Jahren Straßen, welche die Namen der ukrainischer Nationalisten-Führer und Hitler-Kollaborateure Stepan Bandera und Roman Schuchewitsch tragen. Seit Mai 2016 hat nun auch Kiew zwei solche Straßen. Der "Moskauer Prospekt" und der "Prospekt General Watutina" (General Watutin war ab 1943 Leiter der 1. Ukrainischen Front der Roten Armee) tragen jetzt die Namen von Bandera und Schuchewitsch.
Der extreme Nationalismus erschöpft sich nicht in Umbenennungen. Immer wieder werden auch Regierungskritiker, Politiker und Journalisten gewalttätig angegriffen und auch ermordet. Der herausragendste Fall ist der von Oles Busina. Der Kiewer Zeitungs-und Fernsehjournalist wurde am 16. April 2015 vor seiner Wohnung mit einer TT16-Pistole erschossen. Der Namen des Journalisten war unmittelbar vor dem Mord auf der Website "Mirotworez" aufgetaucht. Auf der Website stehen zur Zeit über 5.000 Namen - auch von vielen westlichen Journalisten, die sich in dem abtrünnigen Donezk akkreditiert haben. Die Website wird von Aleksandr Geraschenko, dem Berater des ukrainischen Innenministers gefördert (Ukraine: Der Kampf gegen Journalisten geht weiter).
Busina trat für die Einheit der drei slawischen Nationen ein und machte sich über ukrainischen Nationalismus lustig. Nach seinem Mord gab es ein Bekennerschreiben der rechtsradikalen Organisation "UPA". Der von Kiewer Gerichten gegen die beiden mutmaßlichen Mörder, die beiden Ultrarechten Denis Polischuk und Andrej Medwedko, verhängte Hausarrest wurde im März und Mai 2016 aufgehoben. Am 14. Juli 2015 wurde eine Gedenktafel am Haus des ermordeten Busina von drei Journalisten entfernt.
Der Maidan war 2013 zunächst eine friedliche Bewegung mit bis zu 100.000 Demonstranten, die für einen Assoziationsvertrag mit der EU demonstrierten. Aber nationalistische Schlägertrupps versuchten schon am 1. Dezember 2013 die Situation mit einem Sturm auf die Präsidialverwaltung anzuheizen (Hass auf Moskauer, Juden und "andere Unreine").
Gewalt war in der Ukraine schon länger ein wichtiger Faktor geworden. Am 17. September 2000 war der Journalist Gregori Gongadse ermordet worden. Seinen enthaupteten Körper fand man in einem Wald 100 Kilometer von Kiew entfernt. Schlägereien im Parlament wurden - insbesondere wenn es um die Verlängerung des Vertrages über den russischen Flottenstützpunkt in Sewastopol ging - zur Normalität in der Werchowna Rada.
Die Gewalt schwappte in die Gesellschaft über. Am deutlichsten wurde das am 2. Mai 2014 in Odessa, als am Rande einer Straßenschlacht 17-jährige Anhängerinnen des Maidan ausgelassen und in aller Öffentlichkeit Molotow-Cocktails bauten.
Foto: Junge Frauen füllen am 2. Mai 2014 in Odessa Molotow-Cocktails mit brennbarer Flüssigkeit ab. Es wäre allerdings ganz falsch, die Ukrainer pauschal als ultranationalistisch oder faschistisch zu bezeichnen. Wenn die Kampfpilotin Nadeschda Sawtschenko von ukrainischen Medien gefeiert und auch von westlichen Medien gehypt wird, heißt das noch nicht, dass der Großteil der Bevölkerung hinter Sawtschenko steht. Letztlich sind es in jeder Stadt nur ein paar hundert oder ein paar tausend Ultranationalisten, welche gewalttätig - allerdings von den Behörden gedeckt - gegen Regierungskritiker vorgehen und eine Klima der Angst verbreiten.
Der Großteil der Bevölkerung ist erschöpft und müde von der Politik und mischt sich nicht mehr in öffentliche Debatten ein. Die Menschen sind vor allem mit der Sicherung ihres Überlebens beschäftigt. Meine persönlichen Hoffnungen in der Ukraine richten sich eben auf diese große Masse von Menschen, die sich nicht aktiv an nationalistischen Ereiferungen beteiligen.
Die vier Faktoren: Oligarchisierung, Verarmung, Ukrainisierung und Brutalisierung erleichtern die jetzt beginnende wirtschaftliche Ausplünderung der Ukraine. Die Ukraine ist faktisch zu einer Art Kolonie geworden, ohne Aussicht auf baldigen EU-Beitritt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Junker schloss eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine für die nächsten Jahrzehnte aus.
Kolonie ist ein hartes Wort. Doch selbst Minister in Kiew sprechen offen über die erpresserische Politik von Brüssel. Die stellvertretende Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung, Natalja Mikolskaja, erklärte Mitte Mai , die EU wolle die nächsten beiden Hilfspakete in Höhe von insgesamt 1,2 Milliarden Euro nur gewähren, wenn die Ukraine das Exportverbot für Rundholz aufhebt. Erst im letzten Jahr hatte die Werchowna Rada zum Schutz der ukrainischen Holzverarbeiter ein zehnjähriges Moratorium für den Rundholz-Export beschlossen. Bis dahin ging fast das gesamte in der Ukraine geschlagene Rundholz in den Export.
In den letzten drei Jahren hat sich der brutale Kahlschlag in den Wälder im ukrainischen Teil der Karpaten massiv verstärkt, wie man etwa auf diesem Bild sehen kann.
Julia Timoschenko, die immer wieder versucht, ihre auf 5,68 Prozent abgerutschte Partei "Vaterland" mit sozialen Themen populärer zu machen, hat vor kurzem behauptet, Präsident Poroschenko habe mit dem IWF "einen Geheimpakt abgeschlossen". Weitere Hilfe des IWF für die Ukraine werde es nur geben, wenn die ukrainische Regierung das Verbot für den Kauf von Land aufhebe und weitere Kürzungen im Bereich der Renten zulasse. Vorstellbar ist diese Behauptung. Doch Bestätigungen gibt es bisher nicht.
Schon vor zwei Jahren war bekannt geworden, dass US-Firmen Fracking-Rechte im Donbass bekommen sollten. Einer der Konzerne, der Förderrechte im Dnepr-Becken hält, ist Burisma Holding. Im Mai 2014 wurde dort Hunter Biden, der Sohn des US-Vizepräsidenten Joe Biden, in den Vorstand geholt, als Leiter der Rechtsabteilung. Das Unternehmen ist der größte private Gasproduzent der Ukraine.
Im westlichen Experten-Kreisen mehren sich seit einigen Monaten die Sorgen über die anhaltende Korruption in der Ukraine und die immer noch von Oligarchen gesteuerten Medien (Ernüchterung nach dem Euromaidan). Die New York Times veröffentlichte einen besorgten Artikel über die vom Berater des ukrainischen Innenministers geförderte "Mirotworez"-Website mit ihren über 5.000 Namen von Journalisten aus aller Welt, die der Zusammenarbeit mit den "Separatisten" verdächtigt werden.
Doch, dass der Westen das nationalistische Monster in der Ukraine durch seine kritiklose Unterstützung der Putsch-Regierung mit geschaffen hat, ist nicht Thema der Debatte.
veröffentlicht in: Telepolis