27. November 2016

Kulturminister der Ukraine sorgt sich um „genetisch unreine“ Gebiete (RT DE)

Lenta.ru
Foto: Lenta.ru


Nach Meinung von Minister Jewgeni Nischuk sind Teile der Zentral- und Ost-Ukraine „genetisch nicht rein“. Ukrainischer „Oppositionsblock“ warnt davor, Millionen russischsprachige Bürger zu Menschen zweiter Klasse zu machen.


In der Talk-Show „Freies Wort“ im ukrainischen Fernsehkanals ICTV machte der ukrainische Kulturminister Jewgeni Nischuk am Dienstag Äußerungen, die in der ukrainischen Opposition und in Russland auf scharfe Proteste stieß.

Was hatte der Minister gesagt? Hier das Original-Zitat: “Die Situation, wie sie sich im Osten und Süden entwickelt hat, ist ein verlorenes Bewusstsein. Mehr noch, wenn wir von der Genetik in Saparoschje und im Donbass sprechen, das sind Städte mit Umgesiedelten. Dort gibt es überhaupt keine Genetik, das sind bewusst Umgesiedelte. Tscherkassy ist ein Gebiet des berühmten Getman und Schewtschenko. Die Stadt Tscherkassy (Stadt in der Zentralukraine, U.H.) selbst besteht zur Hälfte aus Umgesiedelten. Warum? Weil man den Geist von Schewtschenko fürchtete. Das war die Technologie der Sowjetunion.“

Mit „Umgesiedelten“ meint der Kulturminister die Generationen von russischsprachigen Arbeitern, Arbeiterinnen, Ingenieuren und Wissenschaftlern, die während der Zarenzeit und später aus den Sowjetrepubliken kamen, um sich in der Ukraine am Aufbau von Fabriken, Staudämmen und Kraftwerken zu beteiligen.

Mit dem vom Kulturminister verehrten „Getman“ ist der ukrainische Militär Pawel Skoropadski (1873 bis 1945) gemeint, der 1918 mit Hilfe der deutschen Reichswehr für acht Monate Oberhaupt der Ukraine wurde.

Bei dem vom Kulturminister erwähnten (Taras) Schewtschenko (1814 bis 1861) handelt es sich um den berühmten ukrainischen Dichter.

Der Einheizer vom Maidan

Wer ist nun Nischuk, der sich um die „Genetik“ (Vererbungslehre) in der Ukraine sorgt? Der 43jährige ist ausgebildeter Schauspieler und war von Februar bis Dezember 2014 Kulturminister. Am 14. April 2016 hat er diesen Posten erneut übernommen. In die Amtszeit von Nischuk fallen Verbote russischer Filme wie „Weiße Garde“ und eine schwarze Liste für in der Ukraine unerwünschte Schauspieler aus Russland.

Während der Kiewer Demonstrationen im Winter 2013/14 war Nischuk Moderator auf der Rednertribüne des Maidan. Er heizte dort kräftig ein. Nach Meinung des Ukraine-Experten Andreas Umland sorgte Nischuk dafür, dass die Parole der „Ukrainischen Aufstandsarmee“ (UPA) aus den 1940er Jahren „Es lebe die Ukraine, Ruhm den Helden“, zur Hauptparole zehntausender Demonstranten wurde.

Bis zum Maidan wurde diese Parole nur von nationalistischen und rechtsradikalen Organisationen gerufen, denn viele Ukrainer bewerten die Rolle der UPA negativ, da sie mit der Nazi-Wehrmacht kollaborierte und während des Zweiten Weltkrieges Massaker gegen Polen und Juden verübte. Allein 1943 starben bei UPA-Massakern im westukrainischen Wolhynien 60.000 bis 100.000 Polen.

Am Mittwoch entschuldigte sich Kultur-Minister Nischuk für seine Äußerungen. Angeblich sei er ganz falsch verstanden worden. „Ich habe davon gesprochen, dass man den kulturellen Dialog und den Austausch mit den östlichen Gebieten verstärken muss. Jetzt beißen sich alle am Wort „Genetik“ fest. Wenn das Jemanden verletzt hat, entschuldige ich mich aufrichtig. In Wirklichkeit wollte ich Niemanden als ungenügend kränken oder verletzten.“

Eine Mischung aus Sozial-Darwinismus und faschistischer Ideologie

Der ukrainische Oppositionsblock fordert den Rücktritt von Minister Nischuk. Der Versuch aus der Ukraine ein „Groß-Galizien“ und aus der russisch-sprachigen Bevölkerung Menschen zweiter Klasse zu machen sowie sie zwangsweise zu „Ukrainisieren“ sei zum Scheitern verurteilt. Die Ukraine sei ein „komplizierter staatlicher Organismus“, der ein behutsames Herangehen erfordere. Der Oppositionsblock fordert von der Weltöffentlichkeit, „hart“ auf die Äußerungen des Kultur-Ministers zu reagieren.

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, kritisierte, dass westliche Journalisten in den  Aussagen des ukrainischen Ministers offenbar „nichts Besonderes finden“. Tatsächlich wurden die Äußerungen des ukrainischen Ministers in den deutschen Mainstream-Medien bisher komplett ignoriert.

Die „Ukrainisierung“ des Vielvölker-Staates am Dnepr begann bereits Mitte der 1990er Jahre und nahm 2004 nach der orangenen Revolution unter Präsident Viktor Juschtschenko nochmal verstärkt Fahrt auf. Einen neuen Höhepunkt erlebte die Ukrainisierung während des Maidan. Tausende hüpften auf dem Platz im Zentrum von Kiew und riefen, „wer nicht hüpft ist ein Moskal (Moskauer, U.H.)“ Die von den Maidan-nahen Oligarchen finanzierten Fernsehkanäle ließen sich in herablassender Art über die angeblich zurückgebliebenen Industrie-Gebiete in der Ost-Ukraine aus. Die national-liberalen Ideologen des Maidan meinten, „zukunftsfähige“ Bevölkerungsteile gäbe es vor allem in den großen Städten der Zentral- und Westukraine und in der jungen Generation. Obwohl ein großer Teil der ukrainischen Valuta-Einnahmen aus dem Export stammt, den ost-ukrainische Bergbau- und Stahlunternehmen erarbeiteten, behaupteten Maidan-nahe Medien aber auch angesehene westliche Zeitungen wie die Schweizer NZZ, die Ost-Ukraine sei nur lebensfähig, weil die Betriebe dort vom ukrainischen Staatshaushalt bezuschusst würden. Tatsache ist jedoch, dass ein Großteil der ukrainischen Industrie in der Ost-Ukraine konzentriert ist, während es in der West-Ukraine weniger Industrie gibt. 

Während und nach der aufgeheizten Stimmung auf dem Maidan im Winter 2013/14 ließen Ultra-Nationalisten und verkappte Faschisten alle Skrupel fallen. Der ukrainische Professor Oleg Soskin erklärte im November 2104 im Fernsehkanal Ukrlive TV, Lugansk und Donezk seien rückständige Gebiete. Dort lebten „nur noch Rentner“. Die Produktionsanlagen seien komplett veraltet. In der Ost-Ukraine entstünden „marginalisierte, deklassierte Enklaven“, mit einer „primitiven Lebensform“. Die „denkende Schicht“ verschwinde.“ 

Die Zwangsukrainisierung nimmt heute dramatische Ausmaße an. Denkmäler werden gestürzt, Mosaiken überdeckt, Schulbücher werden umgeschrieben  und Erstklässler gezwungen, Brief an Frontsoldaten zu schreiben. Die Rolle Russlands und der Sowjetunion in der Geschichte der Ukraine wird auf Hungerjahre und Repression verengt. Die wirtschaftlichen und kulturellen Erfolge werden ausgeblendet.

ZFD-Moderator Kleber: „Es gibt in Kiew keine Faschisten an verantwortlicher Stelle“

Einige russische Medien hatten nach dem Staatsstreich in Kiew häufig den Begriff „Faschismus“ gebraucht, um zu beschreiben,  was sich in der Ukraine abspielt. Die Wortwahl war nicht korrekt. Faschismus ist schlimmer, als das was jetzt in der Ukraine passiert. Klaus Kleber, Moderator des heute-Journals, fiel ins andere Extrem. Er erklärte am 21. Juli 2014, es gibt diese Faschisten in Kiew nicht, „jedenfalls nicht in verantwortlicher Stelle.“ Das Gerede von Faschisten sei „russische Propaganda“.

Es ist der ukrainische Oppositionsblock, der die westliche Öffentlichkeit nun zum  Protest aufruft und warnt. „Eine nach Nation nach ethnischen Prinzipien aufzubauen, gilt in der ganzen Welt als nicht zeitgemäß, nur nicht in der Ukraine.“

Vielvölkerstaat Ukraine

Mit Beginn der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts kamen viele Russen und andere Völker in das Gebiet der heutigen Ukraine, insbesondere in den Osten und Süden des Landes. Nach der Volkszählung von 2001 sind die Russen mit 8,3 Millionen Menschen die größte nationale Minderheit im Land. Besonders stark ist der Anteil der russischen Bevölkerung nach der Volkszählung in den Gebieten Donezk, Krim, Lugansk, Charkow, Dnjepropetrowsk und Odessa. Weitere große Volksgruppen in der Ukraine sind Weißrussen (275.000), Moldauer (258.000), Krim-Tataren (248.000), Bulgaren (204.000), Ungarn (156.000), Rumänen (151.000) und Polen (144.000).

Um all diesen Volksgruppen zu ermöglichen, ihre nationale Identität zu leben, wurde unter Präsident Viktor Janukowitsch 2012 ein Sprachengesetz verabschiedet. In bestimmten Gebiete mit starken nationalen Minderheiten, bekam die Sprache der Minderheit den Rang einer Regionalsprache. Am 23. Februar 2014, zwei Tage nach dem Staatsstreich in Kiew, wurde das Sprachengesetz von der Rada für ungültig erklärt. Am 3. März 2013 erklärte der damals geschäftsführende Präsident Aleksandr Turtschinow, er werde den Beschluss der Rada erst unterschreiben, wenn ein neues Sprachengesetz verabschiedet wird. An diesem Gesetz wird jetzt gearbeitet. Die deutschen Mainstream-Medien spielen die Zwangs-Ukrainisierung herunter. Wie lange noch?

veröffentlicht in RT DE

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