4. March 2003

Miniaturisierung des Schreckens

(frisch aus meinem Archiv)

Eine Ausstellung zum 50ten Todestag von Jossif Wissarionowitsch Stalin im Moskauer Museum für Geschichte der Gegenwart ist gut besucht.

Da raucht ein Mann mit Schnauzbart nachdenklich ein Pfeifchen und blickt in die Ferne. Für das Werbe-Plakat zur Ausstellung "Stalin. Mensch und Symbol" hat das Museum für zeitgenössische Geschichte eins der gütigen Porträts vom Woschd (Führer) gewählt.

Vor der Kasse eine lange Schlange. Vor allem alte Leute, aber auch Jugendliche. Täglich kommen etwa 200 Menschen, an Sonntagen bis zu 700 Besucher. Der Eintritt kostet 30 Rubel (etwa ein Euro) für Russen, Rentner die Hälfte. 100 Rubel für Ausländer. "Tut uns leid, aber wir müssen auch irgendwie leben," meint die Billet-Verkäuferin. "Sie möchten photographieren? Bitte sehr, kein Problem. Das kostet noch mal 100 Rubel."

Drei kleine Räume des im Stadtzentrum gelegenen ehemaligen Revolutionsmuseums hat man für die Stalin-Ausstellung hergerichtet. Es beginnt ganz ausgewogen. Auf der einen Seite Plakate aus den 40er Jahren, Ehrungen des großen Führers, unter dessen Leitung Industrie und Armee aufgebaut wurden, gegenüber Plakate aus der Umbruchs-Zeit vor zehn Jahren, Stalin als Massenmörder mit Gewehr, Stalin als gesichtsloser Gefängnisturm, das Demonstrations-Transparent von Kindern der GULAG-Insassen, "Unsere Eltern haben keine Gräber."

Im nächsten Raum klingen Trauermärsche, die Sowjet-Hymne und die Glockenschläge des Kreml-Turms. Es läuft ein Endlos-Video mit dem Dokumentarfilm "Der große Abschied", Aufnahmen der Trauerzeremonie auf dem Roten Platz. Vor dem Fernseher stehen die Menschen dicht gedrängt. Es riecht nach ungelüfteten Anzügen und verschwitzten Pullovern.

Im roten Sarg wird der Tote über den Platz gefahren, vorbei an einer dichtgedrängten stillen Menge. Auf dem Lenin-Mausoleum steht Politbüro-Mitglied Georgij Malenkow. "Er war das größte Genie der Menschheit. Sein Körper wird Jahrhunderte leben", hallt es über den Platz. Bildschnitte. Die Kamera zeigt eine Frau, die sich weinend in die Arme ihres Nachbarn wirft. Sirenengeheul im ganzen Land. In Häfen, auf Baustellen und in Fabriken stehen andächtige Menschen, die Mütze in der Hand.

Auch im Museum für Gegenwartsgeschichte herrscht eine andächtige Stimmung, der man sich nur schwer entziehen kann. Wer sich laut unterhält, bekommt von einer der älteren Damen einen Knuff in die Seite. "Es ist wie im Lenin-Mausoleum", meint mein Nachbar, ein polnischer Journalist.

Ausstellungsbesucherin Lydia Nikolajewna, Jahrgang 1934, erinnert sich. "Wir waren einfache Leute", meint die korpulente Frau in dem lila Kleid. "Nach dem Krieg wurden jedes Jahr zum 1. April die Preise gesenkt. Ein Kilogramm Melone kostete nur 20 Kopeken. Damals konnte ich in´s Theater gehen. Nach Stalin´s Tod wurde alles teurer."

Nicht nur Lydia erinnert sich gern an die alten Zeiten. Nach einer Umfrage des Moskauer WZIOM-Meinungsforschungsinstituts würden drei Prozent der Russen gerne noch mal unter Stalin leben, drei Prozent unter Chrutschow und 44 Prozent unter Breschnjew.

Drei Ausstellungsbesucher, Studenten der bekannten Afanasjew-Reform-Universität, berichten über das erstaunliche Ergebnis ihres Studienprojekts. Bei Befragungen hätten sie herausgefunden, dass Stalin von einem Drittel der Jugendlichen verehrt werde. Das Wissen über den Sowjetführer kommt nicht von den Medien, sondern von Familienangehörigen und aus der Schule. Dort werde sehr ausgewogen über den Diktator informiert, so die drei Jung-Experten. "Stalin hatte unzweifelhafte Autorität, die ohne Unterstützung aus dem Volk nicht möglich gewesen wäre." (Ausstellungstext).

Die zahlreichen in den Galsvitrinen präsentierten Geschenke für den Staatschef scheinen das zu belegen, die sowjetische Verfassung in Seide gestickt, das Telegramm eines Best-Arbeiters aus dem Süden Russlands mit einem Bericht über die Übererfüllung des Ernte-Solls. "Der Erfolg war nur möglich Dank ihrer weisen Führung und ihrer Sorge um die Menschen."

Selbst im Fernen Tschukotka liebte man den Woschd. Auf einem Säbel aus Wahlfischknochen eingraviert die Inschrift "Tod dem Faschismus" und zwei wie Fische aufgespießte Wehrmachtssoldaten. Arbeiter einer nahe Moskau gelegenen Rüstungsfabrik gruppierten in einem Glaskasten gleichaussehende Plastikpuppen vor der Kreml-Kulisse. Die skurilen Babies halten ein Transparent mit der Aufschrift "Wir danken für eine glückliche Kindheit". Dass Stalin eine "charismatische Persönlichkeit von Weltmaßstab" (Ausstellungstext) war, demonstriert ein weiteres Geschenk: Ein Indianer-Kopfschmuck aus den USA, übergeben im Jahre 1942, als man den Sowjetführer auch im freien Westen ehrte.

Im letzten Raum gibt es eine Gulag-Ecke. Doch der Stacheldraht und das rostige Eisenkreuz eines Lager-Friedhofs rühren angesichts der harten Medienwelt keine Emotionen mehr. Auf aufrüttelnde Zeugnisse des Terrors haben die Ausstellungsmacher verzichtet. Es gibt ein paar Häftlings-Zeichnungen von Lagerbaracken aber keine persönlichen Aufzeichnungen auch keine Spitzelberichte, Folterprotokolle oder Opferbiographien, noch nicht mal eine Statistik über die Toten.

Für eine Karte der Sowjetunion übersät mit den schwarzen GULAG-Punkten wählte man das sparsame A4-Format. Die berühmte schwarze Limousine der Gorki-Automobilwerke, mit welcher der Geheimdienst nachts Verdächtige abholte, steht im Miniaturformat in einem Glaskasten. Das Auto wirkt fast niedlich, zumindest nicht bedrohlich.

Im Gästebuch findet man die unterschiedlichsten Meinungen. Da dankt ein Mann aus Jerewan. Man müsse die Erinnerung an den Mann der 20 Millionen Menschen auf dem Gewissen habe, wach halten. Ein anderer beschwert sich über die "Kleckse" welche die Menschenrechtler in der Ausstellung hinterlassen haben, ein dritter meint, die Ausstellung helfe zu erinnern, dass das Volk unter der Führung eines "starken Führers" eine "große Kraft entwickelt".

Die 18jährige Journalistik-Studentin Jefgenija Subtschenko, ein schmales Mädchen mit schwarzgefärbtem Haar, fand die Ausstellung gut. Große Erwartungen hatte sie nicht. Es sei halt eine Anhäufung von Geschenken und Plakaten. "Die Wahrheit wird bei uns sowieso nicht gezeigt, selbst wenn man in den Archiven irgendetwas Unikales findet."

veröffentlicht in: Sächsische Zeitung

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