12. August 2019

Mit der Fliegenklatsche (der Freitag)

Ulrich Heyden
Foto: Ulrich Heyden

Russland - Gefälschte Unterlagen? 57 Bewerber sind von der Kommunalwahl in Moskau suspendiert

Wird am 8. September in Moskau ein neues Stadtparlament gewählt, treten 233 Kandidaten an, die von der Zentralen Wahlkommission für 45 Wahlkreise bestätigt sind, in denen sich jeweils ein Bewerber durchsetzen kann. Von diesem Votum ausgeschlossen sind 57 Frauen und Männer, was deren Anhänger derart empört hat, dass sie sich mehrfach zu Protestmeetings aufrafften. Zuletzt wollten die Organisatoren am 3. August nicht auf dem Sacharow-Prospekt, wie von der Stadtverwaltung vorgeschlagen, sondern in der Innenstadt demonstrieren, also eine nicht genehmigte Kundgebung abhalten. Das Resultat sind Hunderte von vorübergehenden Festnahmen, dazu zehn Verhaftete, gegen die nun wegen der „Teilnahme an Massenunruhen“ ermittelt wird, was mit mehreren Jahren Gefängnis bestraft werden kann.

Im Hungerstreik

In Moskau leben offiziell 12,7 Millionen, tatsächlich geschätzte 25 Millionen Menschen. Insofern gab es an den vergangenen Wochenenden keine „Massenunruhen“, doch sind die Gemüter erregt, da sich vorzugsweise Oppositionelle zu Unrecht von der Kommunalwahl suspendiert fühlen. Der Generalvorwurf der Wahlkommission lautet, die 57 Relegierten hätten Listen mit Unterschriften von Unterstützern eingereicht, die nicht vollständig oder gefälscht seien. Dazu muss man wissen: Je nach Größe eines Wahlkreises sind 4.500 bis 5.500 Signaturen dort lebender Wahlberechtigter fällig.

Das Verdikt, unzureichende Register abgegeben zu haben, trifft 39 Unabhängige, zwei Kommunisten, sechs Sozialliberale aus der Partei Jabloko, einen Grünen und neun Mitglieder kleiner Parteien. Unter den Abgewiesenen sind Sergej Mitrochin, bis 2015 Parteichef von Jabloko und derzeit aktiv gegen den Boom der Hochhäuser in Moskau, sowie der liberale Ex-Duma-Abgeordnete Dmitri Gudkow, der behauptet, ein Teil seiner Unterschriften sei von der Wahlkommission verfälscht worden. Zuschauen muss Alexander Podsorow von den „Kommunisten Russlands“, dem bedeutet wurde, 846 von 5.750 seiner Unterschriften würden nicht anerkannt. Abgewiesen sind Alexander Solowjow vom Wohltätigkeitsverband „Offenes Russland“, der 2001 von dem Ölmagnaten Michail Chodorkowski gegründet wurde, und der 36-jährige Ilja Jaschin, einer der bekanntesten Köpfe aus dem Kreis radikaler Liberaler. Bisher war er Sprecher der Deputierten im Moskauer Bezirk Krasnoselski. Die Wahlprüfer werfen ihm nun vor, er habe Amtsvollmachten ausgenutzt, um sich Unterstützer zu sichern. Doch dürfte Jaschin vor allem deshalb nicht wohlgelitten sein, weil er 2008 mit Boris Nemzow (2015 Opfer eines Attentats) und Schachweltmeister Kasparow die Bewegung „Solidarnost“ gründete.

Auch für einen Hungerstreik hat das gelichtete Bewerberfeld bereits gesorgt. Dazu entschlossen hat sich die 31-jährige Anwältin Ljubow Sobol, Rechtsbeistand der „Stiftung zum Kampf gegen die Korruption“ (FBK) und seit dem 3. August ebenfalls in Gewahrsam genommen. Angeblich hat man es bei der FBK mit einer Bürgerinitiative zu tun, die sich auf viele Spender beruft, doch gibt es Hinweise, dass der liberale Millionär Alexander Lebedew und die Alfa Group, eine der größten russischen Finanzgesellschaften, den FBK-Haushalt bestreiten. FBK-Geschäftsführer ist Wladimir Aschurkow (47), der seit 2014 in Großbritannien lebt und bis 2012 CEO der Investmentfirma CNF Holdings war, die wiederum von der Alfa Group kontrolliert wird. Aschurkow machte seinen Magister in Management an der Universität Pennsylvania und hofierte 2009 den Oppositionspolitiker Alexei Nawalny ausgerechnet in dem Augenblick, als der sein nationalistisches Coming-out hatte. Unter anderem zeigte Nawalny in einem Video, wie man sich missliebiger Kaukasier „entledigt“ – mit der Fliegenklatsche, notfalls auch mit der Pistole.

Da Aschurkow mit Ex-Schachweltmeister Kasparow, Pussy-Riot-Aktivistin Marija Aljochina und dem litauischen Politiker Aivaras Abromavičius zum 2016 in Vilnius gegründeten „Forum Freies Russland“ gehört, ist anzunehmen, dass diese und andere Netzwerke hinter dem einen oder anderen aussortierten Aspiranten der Moskauer Kommunalwahl stehen. Dies dürfte einer der Gründe für den Abwehrmodus sein, für den sich die Behörden bis auf Weiteres entschieden haben.

veröffentlicht in: der Freitag

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