15. March 2010

Moloch mit sympathischen Ecken

Zu Hause in Moskau: Simone Hillman aus Leipzig lebt seit vier Jahren mit ihrem Mann in der russischen Hauptstadt. Bleiben wollen sie bis zur Rente.
 
Draußen pfeift ein eisiger Wind. Drinnen, in der Vier-Zimmer-Wohnung mit riesigem Flur und Parkett-Fußboden, ist es warm und gemütlich. Hier wohnt Simone Hillmann mit ihrem Mann. Von der Küche haben sie den Blick über einen ruhigen Hinterhof mit Bäumen und Kinderspielplatz, und vom Wohnzimmer aus schauen sie auf eine ruhige Straße mit gutbürgerlichen Wohnhäusern, wie sie zur Stalin-Zeit gebaut wurden. Doch nur 50 Meter weiter braust der Verkehr über den achtspurigen „Gartenring“. Typisch Moskau. Die Stadt der krassen Gegensätze.

Mit alter Sehnsucht gen Osten

Vor vier Jahren hat Simone Hillmann mit ihrem Mann den Sprung in die russische Hauptstadt gewagt. Sie arbeitet hier als Spiel- und Lerntherapeutin, er als Bauingenieur. Eine alte Sehnsucht hatte die 49-Jährige aus Leipzig gen Osten getrieben. Seit ihrer Kindheit schwärmt sie von der Sowjetunion und Russland. Anfang der 80er-Jahre studierte sie russische Sprache und Literatur in die südrussischen Stadt Krasnodar. Auch ihr Mann hat in Russland studiert. „Mein Mann hat die Herausforderung hier gesehen. So viel wie in Moskau wird in Deutschland lange nicht gebaut. Er war schon an Großprojekten beteiligt, so an der Erweiterung des Scheremetjewo-Flughafens.“

Moskau im Winter. Die Wege sind glatt, auf den frisch verschneiten Straßen staut sich der Verkehr. Es ist dunkel und kalt. Ist das überhaupt auszuhalten? „Jein“, meint Simone Hillmann und lacht. „Wenn es ein richtiger Winter ist wie dieses Jahr, ist es okay.“ Sie läuft im Gorki-Park Schlittschuh, und mit ihrem Mann geht sie in die riesigen Moskauer Parks oder vor die Stadt zum Ski-Langlauf. „Das macht den Winter angenehm.“

Sehr reizvoll findet Simone Hillmann auch das Moskauer Kulturleben. Leipzig sei zwar „keine Kulturwüste“, aber „die Bandbreite in Moskau ist größer, angefangen von Konzerten, Theater, Ausstellungen und Messen. Das nutzen wir rege.“

Dass sie sich in Moskau abends allein auf der Straße sicherer fühlt als in Leipzig, hat Simone Hillmann anfangs richtig erstaunt. „Es sind hier mehr Leute auf der Straße, außerdem ist die Präsenz von Sicherheitsleuten sehr viel höher als in Deutschland.“ Überall in Geschäften und Restaurants stehen Leute von privaten Sicherheitsfirmen. Obwohl, gesteht Simone Hillman, die vielen Security-Leute und Video-Kameras nerven schon. „Du fühlst dich überwacht und kontrolliert.“

Die Leipzigerin fährt am liebsten Metro und lässt das Auto stehen. „Autofahren ist hier sehr grauslig. An Verkehrsregeln hält sich eigentlich niemand. Man bleibt vielleicht gerade noch an der roten Ampel stehen, aber ansonsten wird rechts und links überholt und gedrängelt.“ Fußgänger müssen sich in Acht nehmen. Selten halte jemand an einem Zebrastreifen.

Kinder sieht man auf Moskauer Straßen eher selten. „Wie soll denn eine Mutter mit einem Kinderwagen die Rolltreppen runter in die Metro kommen?“ Eine ihrer russischen Freundinnen, erzählt Simone Hillmann, habe ein drei Monate altes Baby. „Die fährt mit dem Kind nur im Taxi. Ansonsten zieht sie ihre Kreise in ihrem Wohnbezirk.“

Simone Hillman liebt Russland, und trotzdem meint sie ohne Zögern, die Menschen in Paris, New York und Istanbul seien „netter und viel offener“. Doch Russland mit einem Pauschalurteil belegen will die Leipzigerin auch nicht. „Wenn man mit einzelnen Russen zu tun hat, sind sie nett, gastfreundlich und hilfsbereit. Das haben sie sich schon noch bewahrt.“

Weil das Paar aus Leipzig seinen Lebensmittelpunkt in Moskau gefunden hat, wird die Wohnung der Familie in Leipzig jetzt aufgelöst. „Meine Kinder sind erwachsen, studieren und arbeiten. Die brauchen uns nicht mehr so.“ Doch ewig soll der Moskau-Aufenthalt auch nicht dauern. „Mein Rentnerdasein möchte ich hier nicht verbringen“.

Am schönsten findet die Leipzigerin es, über die Moskauer Freiluftmärkte zu schlendern. „Da kaufen wir Fisch, Fleisch, Käse, Honig und Trockenfrüchte.“ Mit ihrem Mann geht sie gerne in Restaurants mit usbekischer oder ukrainischer Küche. Davon gibt es ganze Restaurant-Ketten mit so urigen Namen wie „Kischmisch“ oder „Taras Bulba“. Unermüdlich erforscht die Leipzigerin die interessanten und kaum bekannten Ecken in der Metropole und berichtet darüber für die Leser der deutschen „Hauspostille“. So erfuhren die Leser des Botschaftsblättchen auch etwas über einen riesigen Honigmarkt, zu dem Händler aus ganz Russland mit Bottichen voller Buchweizen-, Berg- und Scheibenhonig anreisen.

Moskau – ein Moloch mit sympathischen Ecken. Simone Hillmann merkt das besonders, wenn sie nach Deutschland reist. „Für uns ist immer überraschend, wie beschaulich, klein, sauber und leise es in Deutschland ist. Das ist für uns wie Urlaub. Moskau schlaucht. Die Stadt kostet viel Energie und Kraft. Man muss sich hier seine Oasen suchen.“

"Sächsische Zeitung"

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