Moskau kann auch anders
Bei ihrem Meeting in Sotschi bleiben NATO und Russische Föderation erneut einen Konsens über die Kooperation bei der geplanten Raketenabwehr schuldig
Der Schwarzmeer-Kurort Sotschi mit seinem phantastischen Sommerwetter war durchaus geeignet, verhärtete Positionen aufzuweichen. Doch die Session des NATO-Russland-Rates, bei dem es um die europäische Raketenabwehr und den Libyen-Konflikt ging, bleibt ohne greifbares Resultat.
Kein Wunder, denn die Gespräche über eine Zusammenarbeit bei einem möglichen Abwehrschild, wie sie auf dem NATO-Gipfel von Lissabon im November 2010 beschlossen wurde, waren zuletzt ins Stocken geraten. Russlands NATO-Botschafter Dmitri Rogosin meinte dazu gegenüber dem Moskauer Kommersant, die Gespräche würden „künstlich gebremst“. Was das für Konsequenzen haben kann, darüber ließ das Blatt unter Bezug auf Quellen in der russischen Führung keinen Zweifel: Wenn es innerhalb eines Jahres zu keiner Einigung kommt, wird Russland handeln und ein eigenes System der luft- und weltraumgestützten Abwehr aufbauen, Raketen an seiner Westgrenze dislozieren und den erst kürzlich geschlossen START-III-Vertrag aufkündigen. Dies zu tun, wäre juristisch möglich. In das START-Abkommen wurde eine Klausel aufgenommen, die einen Zusammenhang zwischen strategischen Angriffswaffen und der vorgesehenen Raketenabwehr herstellt. Die richtet sich zwar, wie die NATO beteuert, gegen Raketen des Iran, wird aber in Moskau auch als Bedrohung des eigenen strategischen Arsenals gesehen.
Tempo-Stopp
Die russische Regierung hat deshalb vorgeschlagen, die Raketenabwehr in Europa sektoral zu organisieren. Danach wären Russland und die NATO jeweils für die Raketenabwehr in ihrem eigenen Sektor verantwortlich. Außerdem will Moskau durchsetzen, dass die Abwehrraketen in Europa eine bestimmte Höchstgeschwindigkeit nicht überschreiten dürfen. Mit anderen Worten, es werden Vorkehrungen getroffen, dass derartige Potenziale russischen Raketen nicht gefährlich werden können. NATO-Generalsekretär Rasmussen erklärte auf dem Gipfel in Sotschi, er hoffe, „dass wir uns in weniger als einem Jahr auf dem NATO-Gipfel in Chicago treffen und uns über eine Entscheidung bei der Raketenabwehr einigen, die dazu angetan ist, die Sicherheit der NATO-Staaten und der Russischen Föderation zu garantieren.“ Präsident Medwedjew gab seinerseits in Sotschi zu verstehen, Russland sei für ein strategisches Verhältnis zur NATO, „auf der Grundlage einer ungeteilten Sicherheit, von Transparenz und Zuverlässigkeit.“
Kooperations-Bremse
Nach den Worten des NATO-Generalsekretärs stehen Russland und die NATO vor nur kollektiv zu bewältigenden Herausforderungen. Eine strategische Partnerschaft müsse sich über die militärische Kooperation im Afghanistan-Krieg wie die gemeinsame Abwehr von Piraten auf hoher See entwickeln. Noch gäbe es keine solche Qualität der Beziehungen, „aber beide Seiten machen Fortschritte“, so Rasmussen. Vermutlich ist damit auch die russische Erlaubnis gemeint, militärische Nachschubgüter für Afghanistan über russisches Territorium zu transportieren. Mag es hierzu Einvernehmen geben, so kann davon beim Thema Libyen keine Rede sein. Moskau fordert, die einschlägigen UN-Resolutionen müssten eingehalten werden. Geschehe das wie seit über 100 Tagen durch eine Intervention der NATO-Staaten, sei das durch die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates nicht gedeckt. In Sotschi traf sich Präsident Dmitri Medwedjew deshalb auch mit seinem südafrikanischen Amtskollegen Jacob Zuma, um ihn zu bitten, sich für eine friedliche Regelung des Konflikts in Libyen einzusetzen.
veröffentlicht in: der Freitag