24. December 2004

„Orangene“ sind hier unerwünscht

 
Machtkampf. In der russland-freundlichen Ostukraine hat die Opposition um Juschtschenko einen schweren Stand.

Ruhig schaukelt der Lada von Sergej über die Ausfallstraße von Donezk, Richtung Norden. Die Fahrt führt durch eine Steppenlandschaft mit ärmlichen Hütten. Ab und zu taucht ein Förderturm auf, dahinter ein gelb-roter Berg aus Geröll. So ein „Terekon“ ist bis zu 150 Meter hoch. Der junge Taxifahrer ist Tatare. Im Zuge der Industrialisierung hat sich im Donezk-Gebiet ein buntes Völkergemisch angesiedelt. Russen, Ukrainer, Weißrussen, Griechen, Tataren und viele andere. 4,7 Millionen Menschen, zehn Prozent der ukrainischen Bevölkerung, leben in dem Industriegebiet, das fünf Jahre lang von Gouverneur Viktor Janukowitsch geleitet wurde. Am Sonntag hofft er auf die Stimmenmehrheit bei der erneuten Stichwahl zum Präsidentenamt der Ukraine.

Tatare ist auch der größte Geschäftsmann der Region, Rinat Achmetow. Der 37-Jährige hat nicht nur die Moschee in Donezk gestiftet. Als Präsident des Fußballclubs „Schachtjor“ hat er auch den deutschen Trainer Bernd Schuster eingekauft. Zum Neujahrsfest macht der Oligarch großzügige Geschenke. Für die 77 Kindergärten im Gebiet gibt es jeweils 10 000 Dollar.

Dicke Jeeps in den Straßen

Im Schacht „Krasnolimansk“ kommen das eigentlich fest zugesagte Gespräch mit dem Direktor und die Besichtigung nicht zustande. Die für Arbeitssicherheit zuständige Behörde in Kiew fordert wegen der vielen Unfälle im der Grube seinen Rücktritt. Da mag sich der Mann nicht öffentlich äußern.

Auskunftsfreudiger zeigt sich Gouverneur Anatoli Blisnjuk. Im elften Stock des Hochhauses der Gebietsverwaltung an der Artjomowa-Straße empfängt er Journalisten zu seinem regulären Lagebericht. Auf die Frage der „Liberation“-Korrespondentin, was mit den Autonomie-Plänen der Ostukraine sei, reagiert der kleine Mann mit dem runden Gesicht gereizt. Ganze Armeen von ausländischen Journalisten würden auftauchen und immer nur fragen, wann sich Donezk Russland anschließt, schimpft der Gouverneur. Er wolle nichts weiter als die Umwandlung der Ukraine in eine föderale Republik. Es könne nicht angehen, dass der Osten des Landes die industriearme Westukraine finanziere. Geschäftsleute aus dem Ausland sind Blisnjuk dagegen hochwillkommen. Nur mit ihrer Hilfe, so weiß der Gouverneur, können die veralteten Fabriken der Region modernisiert werden. Doch noch haben sich nicht viele Interessenten in das Donezk-Gebiet gewagt. Von 3,9 Milliarden Dollar Investitionen im Donezk-Gebiet kommt nur eine Milliarde von Ausländern, so Blisnjuk. Ein großer Teil der Bergwerke arbeite nicht rentabel, gesteht der Gouverneur freimütig ein. Aber einfach entlassen könne man die 150 000 Bergarbeiter nicht. Was soll aus ihnen und ihren Familien werden? Viktor Juschtschenko, der Gegenspieler von Janukowitsch, habe bisher kein Konzept für die Umstrukturierung vorgelegt.

Der soziale Frieden sei in Gefahr.

Wer durch die Stadt mit ihren 1,2 Millionen Einwohnern fährt, bekommt jedoch einen anderen Eindruck. Überall sieht man dicke amerikanische Jeeps, moderne Geschäfte, Boutiquen, Bankomaten und Restaurants. Die Metallurgie und der Maschinenbau arbeiten hochprofitabel und versorgen Europa, die USA und den asiatischen Markt mit ihren Produkten. Donezk ist die Stadt mit dem nach Kiew zweithöchsten Durchschnittseinkommen in der Ukraine. Ein großer Teil der Geschäfte wird jedoch in der Schattenwirtschaft abgewickelt, meinen Eingeweihte. Als Viktor Juschtschenko 1999 Ministerpräsident war, verbot er die berüchtigten Barter-Geschäfte, bei denen Ware gegen Ware getauscht wurde und dem Staat Steuereinnahmen verloren gingen. Die Industrie-Barone sorgten dafür, dass Juschtschenko seinen Posten schon bald wieder räumen musste.Vor dem „Palast der Jugend“ stehen fünfhundert Jugendliche. Sie wollen dem Autokonvoi der Juschtschenko-Anhänger, der sich nach Donezk auf den Weg gemacht hat, einen heißen Empfang bereiten. Von einer Open-Air-Bühne dröhnt russische Pop-Musik. Trotz des Schneeregens ist die Stimmung ausgelassen. Die Jugendliche haben sich weiß-blaue Janukowitsch-Fahnen um die Schultern geschlungen. Am Abend dann die Nachricht, dass die Autokolonne der „Orangenen“ vor der Stadt von Autos der Janukowitsch-Anhänger aufgehalten wurde. Die Polizei sagt, sie könne nichts tun. „Machtkampf der Eliten“Der neunzehnjährige Student Roman ist für Janukowitsch, weil „der nicht aus Amerika kommt“. Was jetzt in der Ukraine passiere, sei in den USA ausgeheckt worden. Amerika wolle die Ukraine mittels einer „samtenen Revolution“ unter seine Kontrolle bekommen. „Ich will nicht, dass es bei uns so wird wie in Jugoslawien“, meint Roman mit vollem Ernst. Schon jetzt teile Juschtschenko die Ukrainer in Gute und Schlechte auf. Die Orangenen betrieben Gesinnungsterror. Auf dem Kreschtschatik, dem Prachtboulevard in Kiew, könne man ohne orangenes Band schon nicht mehr spazieren gehen.

Er würde sich nicht wundern, wenn Janukowitsch-Anhänger sich nach einem Juschtschenko-Sieg nach Kiew auf den Weg machen, wie vor ihnen die „Orangenen“, meint Sergej Kirejew, der 29jährige Wahlkampfmanager des Janukowitsch-Stabes in Donezk. Auch die Journalistin Olga meint, mit der Wahl sei die Auseinandersetzung noch nicht zu Ende. In der Ukraine sei ein Machtkampf der Eliten im Gange. Dem Janukowitsch-Förderer Rinat Achmetow ginge es um nichts anderes, als seinen Einfluss im Land auszuweiten, meint die Journalistin. Und doch glaubt Olga, dass die Ukrainer das Neue Jahr in Frieden feiern werden. „Wahrscheinlich setzen sich die da oben zusammen und handeln einen Kompromiss aus.“
 

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