Putins Wort-Akrobatik
Der Kreml redet von Meinungsfreiheit, verschweigt aber die Beschneidung des Demonstrationsrechts.
Regensburg (ots) - Nach jahrelanger Stille hat sich auf den Straßen von Moskau und St. Petersburg eine neue Oppositionsbewegung zu Wort gemeldet. Wegen der nicht enden wollenden Proteste des buntscheckigen Adhoc-Bündnisses gibt es im Kreml besorgte Gesichter.
Es ist die gut ausgebildete städtische Mittelschicht unter Führung von Liberalen aus der Jelzin-Ära, welche sich jetzt in mit Macht zu Wort meldet. Ein Programm hat die Bewegung bisher nicht. Es geht einfach nur um faire Wahlen.
Neue Linke, Sozialdemokraten und Kommunisten spielen in dieser Bewegung bisher nur eine Randrolle. Doch den Protesten haben sich viele Jugendliche angeschlossen, die bisher politisch nicht aktiv sind.
Putin weiß, dass die neue Bewegung viele Sympathien im Land genießt. Denn dass bei den Wahlen gefälscht wurde und dass die Regierungspartei Einiges Russland korrupt ist, glauben in Russland viele. So versuchte sich Putin gestern mit Wort-Akrobatik aus der Affäre zu ziehen. "Wenn die Leute (die Demonstranten) im Rahmen der Gesetze handeln, sollen sie das Recht haben, ihre Meinung zu äußern." Andernfalls müssten die Rechtsschutzorgane das Gesetz "mit allen Mitteln" durchsetzen.
Das klingt auch für westliche Ohren erst mal einleuchtend. Doch die Sache hat einen Haken. Die Teilnehmerzahl für die Kundgebung gegen Wahlfälschungen am Sonnabend wurde von der Polizei auf 300 Personen beschränkt. Doch über Facebook haben schon 27 000 Menschen bekundet, dass sie an der Kundgebung teilnehmen werden. Wenn die Stadtverwaltung nicht in Kürze einen größeren Platz zur Verfügung stellt, wird es wohl am Sonnabend wieder Verhaftungen geben, so wie am Montag, als zu der ersten Protestkundgebung gegen Wahlfälschungen statt der genehmigten 500 Teilnehmer 7000 Menschen kamen.
Putin feuert gegen die Opposition seine üblichen Pfeile, die aber durch ständigen Gebrauch allmählich stumpf werden. "Ein Teil der Organisatoren" der Proteste sei auf das "Signal von Hillary Clinton" in Aktion getreten, wusste der Premier zu berichten. Außerdem wolle in Russland niemand eine Revolution wie in Kirgistan und der Ukraine. Die Versuche der Macht, den Protest gegen die offensichtlichen Wahlfälschungen zu unterdrücken, ist für viele Menschen im ganzen Land offensichtlich, obwohl das staatliche Fernsehen die Proteste totschweigt. Das Internet mit seinen 50 Millionen Nutzern kann so manche Informationslücke füllen.
Auch die Verurteilung der beiden Oppositionsführer Ilja Jaschin und Aleksej Nawalny zu 15 Tagen Gefängnis wegen Nichtbefolgung polizeilicher Anordnungen, wirkt eher wie eine hilflose Reaktion der Macht.
Dass die Führungsfiguren der neuen Protestbewegung fast alle aus dem Lager des ehemaligen Präsidenten Boris Jelzin kommen, schränkt die Durchschlagskraft der neuen Bewegung ein. Denn mit den 1990er Jahren unter Boris Jelzin verbinden die Menschen immer noch das monatelange Warten auf Löhne und Renten, die Grundstein für die ungerechte Reichtums-Verteilung und den ersten Tschetschenienkrieg.
Wenn sich die Protestbewegung Russland-weit durchsetzen will, bräuchte sie Führer, die auch einfache Menschen außerhalb der liberalen Mittelschicht in den Großstädten ansprechen können. Leute wie der jetzt inhaftierte Blogger Aleksej Nawalny können das nicht sein. Nawalny machte sich zwar mit seiner Internet-Kampagne gegen die Korruption landesweit einen Namen. Zum Sturz der Regierungspartei Einiges Russland ist Nawalny aber offenbar jedes Mittel recht. So sprach er am 4. November auf der Abschlusskundgebung des rechtsextremen "Russischen Marsches" in Moskau.
veröffentlich in: Mittelbayrische Zeitung