21. January 2019

Russische Behörden weisen bekannte Kritikerin der ukrainischen Regierung aus

Elena Bojko. Bild von Bojkos vk.com-Seite
Foto: Elena Bojko. Bild von Bojkos vk.com-Seite

Will Moskau unzufriedenen Ukrainern das Signal geben, dass in Russland kein Platz für hunderttausende Armuts- und Politflüchtlinge ist?

Am 16. Januar wurde die regierungskritische ukrainische Journalistin Elena Wischur, die aus Angst vor politischer Verfolgung in ihrer Heimat seit 2015 in Russland lebte, nach dem Beschluss eines Moskauer Gerichts in die Ukraine abgeschoben.

Wischur, die in Russland unter dem Pseudonym Elena "Bojko" bekannt ist, wurde an die russisch-ukrainische Grenze gebracht. Dort wurde in ihren Pass ein Vermerk gestempelt, dass sie nicht mehr nach Russland einreisen darf. Dann wurde sie in die neutrale Zone zwischen Russland und der Ukraine gebracht.

Ukrainischer Geheimdienst gibt Verhaftung der Journalistin bekannt

An der Grenze wurde Bojko von Mitarbeitern des ukrainischen Geheimdienstes SBU in Empfang genommen. Sie wurde nach Charkow und danach in die westukrainische Stadt Lviv gebracht. Der ukrainische Geheimdienst SBU teilte am Freitag via Facebook aus Lviv mit, "die antiukrainische Propagandistin Elena Bojko wird für 60 Tage in Haft genommen". Im Gerichtssaal von Lviv nahm Bojko zu ihrem Fall Stellung (Video).

Die ukrainische Journalistin missachtete die Einreiseregeln in Russland

Die ukrainischen Behörden hatten Bojko am 14. Dezember 2018 zur Fahndung ausgeschrieben. Offenbar reagierten die ukrainischen Behörden damit auf eine Nachricht aus Moskau. Am 12. Dezember war bekannt geworden, dass die Journalistin Bojko in ihrer Moskauer Wohnung von russischen Sicherheitskräften festgenommen worden war.

Am 13. Januar verurteilte das Moskauer Preobraschenski-Gericht Bojko wegen der Verletzung der Einreisebestimmungen zu umgerechnet 65 Euro Strafe und zur Ausweisung aus Russland. Das Gericht machte ihr zum Vorwurf, dass sie kein gültiges Einreisedokument und keine Arbeitserlaubnis hatte.

Bojko war nicht, wie vorgeschrieben, alle 90 Tage aus Russland ausgereist. Diese Regel gilt für alle ausländischen Arbeitsmigranten in Russland. Die meisten Arbeitsmigranten reisen für ein oder mehrere Tage nach Weißrussland, Abchasien oder Kasachstan aus oder erneuern ihr Einreisepapiere an einem russischen Grenzposten, was zwar kostengünstiger, juristisch aber heikel ist.

Bojko ist in Russland sehr bekannt

Die ukrainische Journalistin trat als Ukraine-Expertin sehr häufig in russischen Talk-Shows auf. Bojko erklärte, sie habe keine Arbeitserlaubnis beantragt, da sie nur unregelmäßig arbeite.

Vor dem Moskauer Gericht gestand die Journalistin Bojko ihre Schuld wegen der Nichtbeachtung der Einreisebestimmungen ein, erklärte aber, sie können nicht in die Ukraine zurückkehren, da dort ein politisches Strafverfahren gegen sie laufe. Weiter erklärte die Journalistin, politisches Asyl in Russland - welches sie offenbar erst vor kurzem beantragt hatte - sei ihr verweigert worden.

Nach Angaben von Bojko lief gegen die Journalistin in der Ukraine schon länger ein Strafverfahren wegen Missachtung der ukrainischen Grenzen und der ukrainischen Staatsordnung.

Enttäuschung in Russland

Im russischen Internet löste die Abschiebung von Bojko ein großes Echo aus. Der durch seine Tschetschenien-Reportagen international bekannt gewordene russische Journalist Andrej Babizki, der jetzt in Donezk arbeitet, erinnerte an den patriotischen Leitspruch "Russen verraten keine Russen". Er erklärte, er habe keine persönliche Sympathie für die Abgeschobene, halte aber das bürokratische Herangehen der russischen Behörden an den Fall für falsch.

Bojko hatte in russischen Fernseh-Talk-Shows teilweise in einen äußerst scharfen Ton angeschlagen, der vielen russischen Kritikern der ukrainischen Regierung unangemessen schien.

Auch russische Politiker und Fernsehmoderatoren äußersten sich kritisch zu dem Fall der Ausgewiesenen. Am aktivsten gegen die Abschiebung der Journalistin engagierte sich der Duma-Abgeordnet Sergej Schargunow, der auch Fernseh-Moderator und Mitglied der Kommunistischen Partei Russlands ist.

Erinnerung an den Fall Kirill Wischinski

Der bekannte Fernseh-Moderator und Chef der russischen Media-Holding "Russland heute", Dmitri Kiseljow, der für seine scharfen Töne gegenüber der Ukraine und dem Westen bekannt ist, erklärte, er sei bereit, Bojko als Mitarbeiterin einzustellen. Kiseljow erklärte, im Fall Bojko, dürfe sich der russische Staat "nicht auf Formales stützen und die Humanität verletzen". Die Verhaftung des ukrainischen Journalisten Kirill Wischinski zeige, "wie hart das ukrainische Regime mit Oppositionellen abrechnet".

Wischinski war Büroleiter der russischen Nachrichtenagentur Ria Novosti in Kiew. Er sitzt seit Mai 2018 wegen "Landesverrat" in einem ukrainischem Gefängnis.

Angst und Empörung unter ukrainischen Polit-Emigranten

Besonders intensiv diskutiert wurde die Abschiebung von Bojko unter den tausenden politischen Emigranten, die wegen politischer Verfolgung in der Ukraine nach Russland oder in die EU geflüchtet sind.

In der Diskussion unter den ukrainischen Emigranten und Oppositionellen gibt es zwei Lager. Die einen sind von Russland schwer enttäuscht und wütend. Sie vermuten, hinter der Abschiebung von Bojko stünden liberale Kräfte in der russischen Elite, die nach einem politischen Auskommen mit der Regierung in Kiew suchen, um wieder mit dem Westen ins Geschäft zu kommen.

Das andere Lager unter den ukrainischen Polit-Emigranten argumentiert, dass Bojko selbst an ihrem Schicksal Schuld sei, da sie die russischen Migrationsbestimmungen fahrlässig verletzt habe. Wenn die russischen Behörden die ukrainische Journalistin abschieben, dann "hätten sie vermutlich auch einen Grund" dafür. Angeblich arbeite Bojko für den ukrainischen Geheimdienst und habe sogar einen polnischen Pass. Belege für diese Behauptungen gibt es jedoch nicht.

Das Vorgehen der russischen Behörden ist moralisch fragwürdig. Warum ist Russland, welches die Politik der ukrainischen Regierung mit schärfsten Worten kritisiert und als Bedrohung der russischen Sicherheit bezeichnet, nicht großzügiger gegenüber Polit-Emigranten aus der Ukraine?

Der Grund für diese harte Haltung ist offenbar das Kalkül, dass man Millionen Ukrainern, welche auf ein Leben in Russland hoffen, ein Signal geben will. Die regierungskritische ukrainische Rechtsanwältin Tetjana Montian formulierte die politische Botschaft der russischen Regierung an die Unzufriedenen und Verfolgten in der Ukraine in einer Video-Botschaft sinngemäß so: "Ihr könnt nach Russland kommen, müsst aber bei der Migrationsbehörde Schlange stehen, notfalls auch Schmiergeld bezahlen und alle 90 Tage ausreisen. Auf einen Status als politische Flüchtlinge und ein Aufenthaltsrecht könnt ihr nicht hoffen."

Russland nimmt generell keine politischen Flüchtlinge auf

Man muss wissen, dass Russland generell keine politischen Flüchtlinge aufnimmt, egal aus welchem Land sie kommen. Einen entsprechenden Ukas hatte der russische Präsident Boris Jelzin 1997 erlassen. Russische Beobachter meinen, der Ukas von Jelzin sei eine freundliche Geste an die autoritär regierenden Präsidenten der ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien gewesen. Von dort kamen in den 1990er Jahre viele politische Flüchtlinge nach Russland.

Sogar Edward Snowden ist in Russland kein anerkannter politischer Emigrant, sondern nur Flüchtling mit einer zeitlich begrenzten Aufenthaltsgenehmigung.

Es ist nicht das erste Mal das ukrainische Polit-Emigranten oder ukrainische "Separatisten" aus Russland abgeschoben werden. Das erklärte Larissa Schessler, Leiterin der russischen "Union der Politemigranten". Schessler stammt selbst aus der Ukraine. Doch nur im Fall Bojko schlugen die Wellen so hoch.

Die Journalistin dachte offenbar, ihre Popularität in Russland schütze sie vor der Abschiebung. Die regierungskritische ukrainische Anwältin, Tetjana Montian, meinte, Bojko habe mit der russischen Macht "Roulette gespielt". Das Image Russlands habe unter der Abschiebung gelitten. Aber auch die Regierung in Kiew könne mit der Verhaftung von Bojko keine Pluspunkte sammeln. 

Ulrich Heyden

veröffentlicht in: Telepolis

 

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