20. February 2025

Russische Sichtweisen zum 80. Jahrestag der Befreiung (Mein Vortrag auf dem Webinar von Frieden-links)

Manuskript zum Webinar vom 10.2.2025
von Ulrich Heyden

Inhalt [ausblenden]

In drei Monaten, am 9. Mai 2025 jährt sich das 80te Mal der Tag, an dem die deutschen Generäle Wilhelm Keitel, Hans-Georg von Friedeburg und Hans-Jürgen Stumpff sowie der sowjetische Marschall Georgi Schukow in Berlin-Karlshorst die Urkunde über die bedingungslose Kapitulation Deutschlands unterschrieben. Ulrich Heyden berichtete am 10. Februar auf einem Webinar von „Friedenlinks“ und „Forum 8. Mai“, darüber, wie der Jahrestag in Russland begangen wird. Wir veröffentlichen eine überarbeitete Fassung seines Vortrags.

Das Staatsoberhaupt der Volksrepublik China Xi Jinping hat zugesagt1, am 9. Mai in Moskau der Militärparade beizuwohnen. Außerdem wird die Regierung Israels einen Vertreter schicken. Die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung der Konzentrationslager und der Rettung jüdischen Lebens ist unvergessen.

Auf der Gästeliste stehen außerdem die Präsidenten von Serbien, Slowakei, Kasachstan und Brasilien. Außerdem erwartet werden die Präsidenten von Weißrussland, Kirgistan, Tadschikistan sowie der Ministerpräsident von Armenien.

Das US-amerikanische Magazin „Newsweek“ berichtete, dass zur Parade in Moskau ein „großer Gast“ anreisen werde, ein Vertreter der Präsidialadministration. 2020 hatte Trump eine Reise nach Moskau „wegen politischem Druck“ abgesagt.

Zur Teilnahme an der Militärparade auf dem Roten Platz hat Russland 19 Staaten eingeladen, zu denen Russland freundliche Beziehungen unterhält.

An der Parade werden auch Soldaten teilnehmen, die an der russischen „Spezialoperation“ in der Ukraine teilnehmen.

Russische Soldaten wiederum werden am 9. Mai an Militärparaden in Kirgistan, Tadschikistan, Abchasien und Südossetien teilnehmen.2

Militärparaden in russischen Städten

Außer in Moskau wird es Militärparaden in 19 russischen Städten geben, in denen sich Militärstäbe befinden, sowie in den acht „Heldenstädten“, also den Städten, die beim Abwehrkampf gegen die deutsche Wehrmacht und ihrer Verbündeten eine besondere Rolle spielten.

Vor dem 9. Mai sind in Russland aus Anlass des 80. Jahrestages 100 verschiedene Aktionen, Ausstellungen, wissenschaftliche Konferenzen und ein Antifaschistischer Kongress geplant.

Eine der größten Veranstaltungen, an dem sich auch Teilnehmer aus anderen Ländern beteiligen können, ist ein Geschichtswettbewerb. Am 26. April müssen die Teilnehmer in 45 Minuten 28 Fragen zum „Großen Vaterländischen Krieg“ – so heißt in Russland der Zweite Weltkrieg – beantworten.3 2024 wurde der Fragebogen in acht verschiedenen Sprachen ausgegeben, auf Englisch, Französisch, Spanisch, Polnisch, Serbisch, Mongolisch, Chinesisch und Griechisch. Einen Fragebogen auf Deutsch gab es nicht. 2023 beteiligten sich an dem Geschichtswettbewerb 1,8 Millionen Menschen.

Jede russische Institution, rückt jetzt das Thema „Großer Vaterländischer Krieg“ in den Mittelpunkt. In der Moskauer U-Bahnstation Majakowskaja fand ein Konzert statt, in Erinnerung an die Zeit als in der U-Bahnstation Zivilisten Schutz vor deutschen Luftangriffen fanden.

Die berühmte St. Petersburger Gemäldegalerie Ermitage plante eine Ausstellung darüber, wie während des Krieges die Gemälde geschützt und schließlich evakuiert wurden.

Jede Schule, jede russische Region, hat ihre ganz speziellen, eigenen Erinnerungen an den Krieg. In der sibirischen Region Jakutien findet in diesen Tagen eine Stafette statt. In Erinnerung an einen bekannten Soldaten trägt man eine Flagge von Dorf zu Dorf.

Jakuten, Kasachen und andere Völker aus Sibirien und Zentralasien wurde im Winter 1941/42 in das Gebiet Moskau geschafft. Ohne die Hilfe dieser Völker wäre Moskau vielleicht in die Hände der Wehrmacht gefallen.

Mitte Januar dieses Jahres rief der russische Präsident, Wladimir Putin, die Gouverneure in den russischen Regionen dazu auf4, sich persönlich mit den Kriegsveteranen zu treffen und zu fragen, welche Hilfe nötig ist. Es sei die Aufgabe, „dass diejenigen, die unser Land gerettet haben, würdig und versorgt leben.“ Die junge Generation müsse sich über die militärischen Leistungen der Veteranen informieren und sie ehren. Die Oberhäupter russischer Städte rief Putin dazu auf, alle Kriegsveteranen zu Ehrenbürger zu machen.

Am 27. Januar sprach der russische Präsident in St. Petersburg auf einer Veranstaltung aus Anlass der Befreiung von Leningrad. Auf der Bühne saßen sieben Überlebenden der Blockade und Kriegs-Veteranen, denen der russische Präsident unter großem Beifall die Medaille für das 80. Jubiläum des Sieges ans Revers heftete.

Der russische Verteidigungsminister Andrej Belousow, kündigte Mitte Januar an, dass die Kriegsveteranen in diesem Jahr zuhause von Ärzten zusätzlich medizinisch untersucht und mit Medikamenten versorgt werden. Außerdem sollen Tafeln mit den Namen der Veteranen an den Wohnhäusern angebracht werden. Verteidigungsminister Belousow kündigte die Durchführung von zwanzig wissenschaftlichen Konferenzen zum „Großen Vaterländischen Krieg“ an.

Museen zum Krieg 1941-45 in Schulen

Der 9. Mai wird in Russland nicht nur auf dem Roten Platz gefeiert. Der 9. Mai, das ist nicht nur die Rede von Wladimir Putin, die er auf dem Roten Platz hält, bevor die Militärparade beginnt.

Der 9. Mai ist ein Tag, an dem man sich in jeder Familie, in jeder Stadt erinnert an die eigenen Leute, wie sie gekämpft haben und ob sie zurückgekehrt sind oder nicht. Es werden alte Fotos herausgeholt und man stößt mit dem Glas an und sagt, „sa pobedu“ (für den Sieg).

Moskauer Schulen, die in Bezirken liegen, wo 1941 Freiwilligenbataillone gebildet wurden, haben oft ein eigenes Museum in der Schule, wo mit Fotos und Flaggen dokumentiert wird, wie sich die Freiwilligen im Juli 1941, als die Wehrmacht schon vor Moskau stand, sammelten.

Die dringend benötigten Truppen aus Sibirien waren noch nicht angerückt. Deshalb wurden in Moskau 16 Freiwilligen-Divisionen gebildet. Viele Männer, die in Berufen arbeiteten, die mit dem Militärdienst wenig zu tun hatten, meldeten sich, um ihre patriotische Pflicht zu erfüllen.

In dem nördlich des Moskauer Stadtzentrums gelegenen ehemaligen Stadtbezirk Rostokinsk, liegt die Schule Nr. 270. Die Schule hat ein Museum in dem die Bildung der Freiwilligen-Division Nr. 13 dokumentiert ist.

Im Bezirk Rostokinsk liegt auch die Moskauer Filmhochschule WGIK. Und eben von dieser Filmhochschule kamen auch Freiwillige. Andere Freiwillige waren Orchester-Musiker und Wissenschaftler. Die Freiwilligen waren schlecht ausgerüstet. Ihre Gewehre mussten sie sich oft im Kampf mit den Deutschen erst erbeuten.

Die Freiwilligen brauchten eine Zeit um sich an die militärische Situation zu gewöhnen. Man erzählte mir die Geschichte von einem Astronomen der Freiwilligen-Division Nr. 13. Der Wissenschaftler, der sein Essgeschirr in Moskau vergessen hatte, war nachts an der Front eingeschlafen. Als man ihn weckte – es stand eine vorher angekündigte Militäroperation bevor – soll der Mann, nachdem er zu den Sternen geblinzelt hatte, ganz ruhig gesagt haben: „Wir haben noch 15 Minuten“.

Nicht nur in den Schulen wird der Freiwilligen gedacht. Die Angehörigen der Freiwilligen, die Moskau 1941 verteidigt haben, fahren jedes Jahr in das Gebiet um die Stadt Wjasma, 220 Kilometer westlich von Moskau. Im Juli 2020 nahm ich an einer solchen Reise teil5. Wir stapften unter Leitung eines Militär-Experten durch eine wunderschöne Landschaft aus Wiesen und Wäldern. Die Sonne schien und am blauen Himmel ballten sich mächtige Wolken.

Nur wenn man genau hinsah, sah man die Spuren des Krieges. Lila Feld-Blumen markierten, wo einst Bauernhäuser standen. In einem Wald, wo es noch jahrelang nach verwesenden Soldaten-Leichen roch, fanden wir Überreste von Gewehren, Helmen und Patronengurten.

Einige Teilnehmer der Reisegruppe führten rote Militärfahnen mit sich, andere hatten militärische Karten von damals dabei. Die Eindrücke waren so stark, dass ich fast das Gefühl hatte, wir seien im Krieg.

Es begann zu regnen. Und da ich keine Gummistiefel mithatte, erkältete ich mich und wurde später richtig krank. Die Tour, bei der wir auch sowjetische Verteidigungsstellungen aus Beton besichtigten, hat mich mehr mitgenommen, als ich es mir hätte vorstellen können.

Der Friedenspark bei Rschew

Einer der verlustreichsten Schlachten im Zweiten Weltkrieg – sie dauerte über ein Jahr – gab es nordwestlich von Moskau im Gebiet der Stadt Rschew.

Wenn man mit dem Auto durch diese Region fährt, gibt es alle paar Kilometer ein Hinweis-Schild auf ein Massengrab mit Soldaten.

Nördlich von Rschew am Rand der Wolga liegt das Dorf Kokoschkino. In der Nähe dieses Dorfes besuchte ich im Sommer 2024 ein Zeltlager russischer Jugendlicher, die hier in der Erde nach Überresten sowjetischer Soldaten suchten. Am Rande des Lagers sah ich ein großes Plakat mit dem Porträt eines Rotarmisten. Es handelte sich um einen Jakuten, der als Scharfschütze an der Front im Gebiet Rschew 429 deutsche Soldaten tötete.

Die sibirischen und zentralasiatischen Völker brachten im Krieg ihre besonderen Kenntnisse als Nomaden und Jäger ein. Ein Jäger liegt oft stundenlang auf der Lauer, bis er ein Tier vor der Flinte hat. Aus Jägern wurden im Krieg Scharfschützen.

Am Stadtrand von Rschew besuchte ich einen Friedenspark6, bestehend aus einem deutschen und einem russischen Friedhof. Auf dem russischen Friedhof lagen die sterblichen Überreste von 20.000 sowjetischen Soldaten, auf dem deutschen Friedhof die sterblichen Überreste von 42.000 deutschen Soldaten.

Am Rande des Friedhofes gibt es auch ein großes Denkmal für die gefallen kasachischen und ein Denkmal für die gefallen kirgisischen Rotarmisten. Außerdem gibt es in dem Friedenspark ein Denkmal für den Mord an den Juden in der Region.

Die Stadt Gütersloh, welche den Friedenspark im Rahmen einer Städtepartnerschaft mit Rschew, mit betreute, hat die Partnerschaft mit Rschew 2022 aufgekündigt. Aber der „Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge“ pflegt weiterhin den deutschen Soldatenfriedhof.

Wie ich über den 9. Mai berichten sollte

Vor einigen Jahren las ich in einer deutschen Zeitung – ich glaube es war die taz – der 9. Mai, sei „das Einzige“ was Russland als historische Leistung vorweisen könne. Sonst gäbe es in Russland nichts zu feiern. Eben deshalb werde der 9. Mai in Russland jedes Jahr mit viel Pomp begangen.

Ja, der 8. und 9. Mai ist für deutsche Mainstream-Journalisten ein schwerer Tag. Anstatt den Russen die Hand zu geben, anstatt gemeinsam zu gedenken und die Befreiung zu feiern, suchen sie das Haar in der Suppe. „Nicht zu viel Mitleid mit Russland“ lautet die Parole der alten und neuen Kalten Krieger.

Als ich noch für den deutschen Mainstream-Medien aus Moskau berichtete, wurde mir anlässlich der Feierlichkeiten zum 9. Mai in Russland von der Redaktion immer aufgetragen, ich müsse über russische Kriegsveteranen berichten, die noch immer auf ihre eigene Wohnung warten.

Ich habe über die fehlenden Wohnungen wie gewünscht berichtet, hatte aber immer ein schlechtes Gefühl dabei, denn viel schlimmer als die fehlenden Wohnungen fand ich, dass über die Verbrechen der deutschen Wehrmacht auf dem Territorium der Sowjetunion in den Medien für die ich schrieb, nie oder nur ganz am Rande berichtet wurde.

Um diese Tatsachen sind die deutschen Mainstream-Medien seit 1945 herumgeschlichen, wie um einen heißen Brei. Es gab Unterbrechungen in diesem Schweigen über die Wahrheit. Aber diese Unterbrechungen waren nicht lang genug, um eine unverbrüchliche Freundschaft zwischen Deutschland und Russland aufzubauen.

Neue, große Denkmäler

Angesichts der ununterbrochenen Waffenlieferungen westlicher Staaten an Kiew wird die Erinnerung an den Sieg über Hitler-Deutschland am 9. Mai 1945 für Russland heute zu einer Vergewisserung, dass man in der Ukraine einen gerechten Kampf führt, „der siegreich enden wird“.

Alte und neu erforschte historische Fakten werden vor dem 80. Jahrestag verstärkt an die Öffentlichkeit gebracht. 70 Millionen Sowjetbürger befanden sich in dem Gebiet, dass die deutsche Wehrmacht 1941 bis 1944 okkupiert hatte. Von 70 Millionen Sowjetbürgern unter deutscher Besatzung starben 13 Millionen in Folge planmäßiger Vernichtung, schrieb Sergej Naryschkin, Vorsitzender der russischen Historischen Gesellschaft, in einem Artikel zum Jahrestag der Befreiung von Ausschwitz.

In Russland werden jetzt neue Denkmäler gebaut. Sie erinnern in ihrer Größe an die sowjetischen Riesendenkmäler „Mutter Heimat“ in Kiew und Wolgograd, dem ehemaligen Stalingrad.

Nach den siegreichen Schlachten wie Stalingrad und Kursk wird jetzt auch verstärkt an Schlachten erinnert, wo Russland enorme Verluste erlitt und lange brauchte, um zu siegen.

In Rschew, nordwestlich von Moskau, wo die Rote Armee in einer über ein Jahr dauernden Abwehrschlacht 1,3 Millionen Soldaten und die deutsche Wehrmacht 700.000 Soldaten verlor, , wurde 2018 ein 25 Meter großes Bronzestandbild eines sowjetischen Soldaten aufgestellt. Das Besondere am dem 30 Meter hohen Standbild ist, dass der Mantel des Soldaten sich in fliegende Kraniche aufzulösen scheint. Kraniche sind in Russland das Symbol für die Seelen toter Soldaten, die am Himmel entlangziehen. Der Soldat hat einen nachdenklichen Gesichtsausdruck und guckt nach unten. Ein derartiges Denkmal wäre in der Sowjetzeit nicht möglich gewesen.

In diesem Jahr will man mit dem Bau eines großen Gedenkkomplexes am Südrand von St. Petersburg auf den Pulkow-Höhen beginnen. Auf diesen Höhen verhinderten Infanteristen und Freiwillige den Vorstoß der deutschen Wehrmacht in die Stadt Leningrad.

Um einen 40 Meter hohen Obelisken sollen sich sechs „Alleen der Helden“ von sechs Fronten gruppieren, die von 1941 bis 1944 vor Leningrad gegen die Wehrmacht kämpften.

Russische Gerichte sprechen von Genozid

Während man in Russland in den letzten drei Jahrzehnten die Verbrechen der Wehrmacht nur ganz am Rande erwähnt hatte – offenbar um die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland nicht zu belasten – hat man nun eine neue Untersuchungskampagne zu diesem Thema gestartet.

In 25 russischen Regionen wurden in den letzten Jahren Gerichtsurteile gefällt7, die anhand neuer Aktenfunde einen Genozid der deutschen Besatzungsmacht gegen die einheimische Bevölkerung feststellt.

Bei den Ermittlungen wurde auch bisher geheim gehaltene Akten ausgewertet und Grabungsarbeiten an Stellen von Massenerschießungen von Zivilisten und Kriegsgefangenen durchgeführt. Ziele dieser Ermittlungen und Gerichtsurteile war es offenbar, mehr Fakten über die Verbrechen der Nazis zu sammeln, und diese Fakten vor einem Gericht prüfen zu lassen, um dann mit Gerichtsurteilen an die Öffentlichkeit gehen zu können. Es handelt sich nach den Urteilen russischer Gerichte nicht nur um Kriegsverbrechen, sondern um einen Genozid, das heißt eine geplante massenweise Vernichtung, die nicht verjährt.

Im Oktober 2022 hatte das Stadtgericht von St. Petersburg die über zwei Jahre dauernde Blockade der Stadt durch die deutsche Wehrmacht in einem Urteil als „Kriegsverbrechen und Genozid am sowjetischen Volk“ bezeichnet. Die St. Petersburger Staatsanwaltschaft dokumentierte, dass nicht weniger als 1.093.842 Einwohner der Stadt während der Blockade umkamen. Den Schaden für den Tod dieser Menschen berechnete die Staatsanwaltschaft auf umgerechnet 329 Milliarden Euro.

Im März 2024 schickte das russische Außenministerium eine diplomatische Note an das deutsche Außenministerium, in der es heißt:

„Während Deutschland seine Verbrechen aus der Kolonialzeit als Völkermord anerkennt, hat es bisher versäumt, die Belagerung von Leningrad und andere Verbrechen gegen die Völker der Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs ebenfalls anzuerkennen. Russland besteht darauf, dass Deutschland diese Gräueltaten des Dritten Reiches offiziell als Völkermord anerkennt.“

Ein russischer Staatsanwalt berichtete, dass man auf Erschießungsplätzen in Russland Kinderspielzeug fand. Das beweise, dass Zivilisten mit Kindern in die Irre geführt wurden. Man den Leuten gesagt, sie würde evakuiert, dabei wurden sie zu einem Erschießungsplatz geführt.

Vor kurzem ging ein Prozess in der südrussischen Teilrepublik Kalmykien zu Ende. Dort wurden von August bis Dezember 1942 im Laufe einer öffentlichen Bestrafung 3.000 Zivilisten getötet. Das Gericht hielt es für erwiesen, dass die Nazis auf sowjetischen Boden eine gezielte Vernichtungspolitik gegen sogenannte „minderwertige Rassen“ Russen, Juden und Zigeuner durchführten.

Im Oktober 2022 hat ein Gericht in nördlich von Moskau gelegenen Nowgorod festgestellt, dass die Ermordung von Zivilisten im Dorf Schestjanaja Gorka8 ein Genozid war. Von 1941 bis 1943 wurden in dem Dorf 2.600 Menschen – Russen, Juden und Zigeuner – umgebracht.

Im Gebiet Kaliningrad, dem früheren Königsberg gab es während des Zweiten Weltkriegs 56 von der deutschen Verwaltung eingerichtete Lager für Kriegsgefangene und zwangsweise Umgesiedelte. In diesen Lagern hielt mit 670.000 sowjetische Bürger gefangen. 114.000 von ihnen starben.

Im dem südlich von Moskau gelegenen Gebiet Kaluga im Duminitschki Rayon wurden nach Angaben der russischen Ermittler Kinder und Frauen in Minenfelder geschickt. Im Dorf Jusowka im Rayon Mosalsk wurden sowjetische Kriegsgefangene und Zivilisten bei lebendigem Leibe verbrannt.

Im Gebiet Kaluga wurden Ausgrabungsarbeiten an Stellen durchgeführt, wo es 1941-43 Massenerschießungen gab. 300.000 Einwohner wurden gefangen genommen. 300 Dörfer wurden vernichtet. 26.000 Einwohner wurden getötet. In Kaluga gab es einen öffentlichen Prozess. In zwölf Aktenordnern hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungsunterlagen gesammelt. Während der Verlesung des Urteils konnte viele Zuhörer die Tränen nicht zurückhalten, berichtete das russische Fernsehen.

In Brjansk untersuchte man den Standort des ehemaligen Durchgangslagers 142 auf dem Territorium einer Zementfabrik. In dem Lager starben innerhalb von zwei Jahren 42.000 Insassen. Das Lager wurde von ukrainischen Hilfspolizisten bewacht. An dem Ort soll ein Gedenkkomplex errichtet werden.

Im Gebiet der sowjetischen, finnisch-karelischen Republik gab es 25 Konzentrationslager, in denen zehntausend Zivilisten gefangen gehalten wurden. Die Bewacher waren vor allem finnische Soldaten. Der Premierminister von Finnland, Petteri Orpo, nannte das Urteil des russischen Gerichts zu den Konzentrationslagern ein „Propaganda-Spiel“ und als Versuch das Ansehen von Finnland zu schädigen.

Im Dezember 2024 hat Russland in der Generalversammlung der UNO eine Resolution gegen die Verherrlichung von Nazismus und die Umschreibung der Geschichte des Zweiten Weltkrieges und die Märsche von Hitler-Kollaborateuren und Unterstützern eingebracht. Für die Resolution stimmten 119 Länder. Unter den 53 Staaten die gegen die Resolution stimmten waren die USA, Canada, die Ukraine, Frankreich und Deutschland.

In den russischen Medien ist in den letzten Jahren auch vermehrt von dem Generalplan Ost die Rede, welcher vor 2022 in Russland schon fast in Vergessenheit geraten war. Der 1941 von Alfred Rosenberg entworfene Plan sah die wirtschaftliche Neugestaltung des europäischen Teils der Sowjetunion vor. Eineinhalb Millionen Deutsche sollten in den baltischen Republiken, den westlichen Teil von Weißrussland, das Gebiet Leningrad, die Zentralukraine und auf der Krim angesiedelt werden. Fünf Millionen sowjetische Einwohner dieser Gebiete sollten getötet, umgesiedelt oder dem Hunger preisgegeben werden.

Russische Zivilgesellschaft

Der Begriff Zivilgesellschaft ist heute in Russland nicht mehr üblich. Im öffentlichen Leben wird Wert daraufgelegt, dass der Präsident, die Regierung und die Bevölkerung angesichts der äußeren Bedrohung durch die Nato zusammenstehen. Wenn ich als Journalist auf der Straße versuche, mit Menschen über politische ins Gespräch zu kommen, bekomme ich meist ausweichende Antworten. Die Menschen befürchten missverstanden und falsch eingeordnet zu werden. Selbst im Freundeskreis ist man vorsichtig mit politischen Äußerungen geworden. Man hat Angst vor unnötigem Streit.

Es gibt Personen, die wegen verschiedener Vorwürfe – wie Diskreditierung der Armee – im Gefängnis sitzen. Ich habe aber keine Informationen, was man ihnen im Einzelnen vorwirft.

Die bekanntesten politischen Häftlinge aus dem linken Lager sind Boris Kagarlitsky, Chefredakteur der Website Rabkor.ru und Sergej Udalzow, Leiter der Linken Front, die mit der KPRF kooperiert. Kagarlitzky, der im Februar 2024 zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde, wurde wegen eines Posts zur Krim-Brücke „Unterstützung von Terrorismus“ vorgeworfen.

Sergej Udalzow, der seit Januar 2024 wegen „Unterstützung von Terrorismus“ in Haft ist. Ihm wird ein Post zur Last gelegt, in dem er einen „Marxistischen Zirkel“, gegen den ermittelt wird, unterstützte.

Man hat in Russland aber noch Zugriff auf oppositionelle Youtube-Kanäle, wie etwa den von Kagarlitzky gegründeten Kanal Rabkor und den Kanal des linken Journalisten Konstantin Sjomin, einem ehemaligen USA-Korrespondenten des staatlichen Fernsehkanals Rossija. Allerdings wird bei den linken, oppositionellen youtube-Kanälen eine sehr vorsichtige Sprache gepflegt und oft nur in Andeutungen gesprochen.

Was Russen über Deutschland wissen

Die russischen Medien informieren nicht darüber, welches Ausmaß die russophobe Berichterstattung der großen deutschen Medien aber auch viele kleiner deutscher Regionalzeitungen hat. Sie berichteten auch kaum darüber, dass in Deutschland Mut dazu gehört, sich zur Freundschaft mit Russland zu bekennen.

Die Russen wissen nicht, wie sehr die deutsche Kultur inzwischen mit der amerikanischen verschmolzen ist. Und sie kennen nicht die Geschichte von Westdeutschland, dass nach 1945 planmäßig amerikanisiert wurde.

Ich bin immer wieder schockiert darüber, dass viele Russen der Meinung sind, dass größte Problem in Deutschland sei die große Zahl von Migranten. Dabei wäre es doch heute an der Zeit über den Kapitalismus und Imperialismus als Ursache für Kriege zu sprechen und sich nicht auf das Ablenkgleis der Migrantenfrage zu begeben. Über die AfD wird in den russischen Medien ausschließlich positiv berichtet.

Das geschönte Deutschland-Bild der Russen könnte damit zu tun haben, dass die Russen bei Deutschland an die DDR denken, wo viele Russen als Soldaten gedient haben. Die Kenntnis über westdeutsches Denken, westdeutsche Kultur und westdeutsche Geschichte ist in Russland gering. Kaum Jemand weiß noch, dass die USA Westdeutschland mit Hilfe des Marschall-Plans den wirtschaftlichen Wiederaufstieg ermöglichten.

Deutschland hat in Russland nach wie vor das Image eines hochentwickelten Landes mit hohem Lebensstandard. Was Deutschland heute bedrohe, seien die Migranten, welche das „gute Leben“ in Unordnung bringen und die von der deutschen Regierung verschuldete Schließung von VW-Werken.

Über die deutschen Spitzenpolitiker und ihren politischen Werdegang wissen die Russen so gut wie nichts. Das Einzige was einige Russen mitbekommen haben, ist, dass der Vater von Scholz bei der SS gewesen sein soll. Ein entsprechendes Foto von einem Scholz wurde in russischen Medien publiziert.

Die Russen wissen, dass Annalena Baerbock aggressiv ist und das der Putin-Freund Gerhard Schröder im Krankenhaus ist. Aber über Oppositionsführer Friedrich Merz wissen die Russen absolut nichts.

Die Russen neigen dazu alles Negative in Deutschland auf die USA abzuwälzen. Aber nun, wo Deutschland zur Führungsmacht des „freien Westens“ werden und die Ukraine „bis zum Sieg“ verteidigen will, müssen sich die Russen wohl oder übel mit dem neuen deutschen Imperialismus beschäftigen.

Fußnoten

1 Си Цзиньпин и специальный гость из США: кто приедет на Парад Победы в Москву – 10.02.2025 Украина.ру

2 Путин подписал указ о разовой выплате ветеранам ВОВ 80 тысяч рублей // Новости НТВ

3 https://www.kp.ru/edu/shkola/diktantpobedy/?ysclid=m6ywth1kzx403993378

4 Путин призвал чиновников обеспечить достойную и обеспеченную жизнь ветеранам // Новости НТВ

5 Oktober 1941: Letzter Erfolg der Wehrmacht vor Moskau

6 Warum ist es so still um die großen deutschen Soldatenfriedhöfe in Russland? – Eine Spurensuche

7 „Без срока давности. именем человечества“ – 2025 – смотреть онлайн в поиске Яндекса по Видеоf

8 https://ru.wikipedia.org/wiki/Жестяная_Горка

 

veröffentlicht auf: Frieden-links

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