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Am Mittwochabend um 21: 30 begann die Aktion "Schalte das Licht ein" (Video der Aktion). Hunderte hielten ihr Handy mit eingeschaltetem Licht hoch. Durch den Park schallten die Rufe "Nieder mit der Mauer", "Der Platz wird sein", "Das ist unsere Stadt", "Wir brauchen keine Kirche", "Ein anderer Platz für die Kirche", "Wir gehen hier nicht weg", "Keine Provokationen".
Nach Angaben des örtlichen Internetportals znak.com nahmen am Mittwoch zwischen 3000 und 5000 Personen an der Protestaktion (Fotos) gegen den Kirchenbau teil. Es seien mehr Teilnehmer gewesen als an den Vortagen, schreibt das Portal.
Zu späterer Stunde begannen am Zaun Auseinandersetzungen mit der Spezialeinheit OMON. Anlass waren Flaschenwürfe auf den Zaun. Das Internetportal znak.com berichtete, unter den Protestierenden hätten sich "Provokateure" befunden. Bis nachts um 1:30 hätten OMON-Polizisten den Platz vollständig von Aktivisten "gesäubert". Am Donnerstag wurde der Zaun um das Baugelände weiter verstärkt (Fotos).
Die Kirche der Heiligen Jekaterina wurde 1723 gebaut. Nach der Oktoberrevolution wurde sie geschlossen und einer Atheisten-Vereinigung zur Nutzung übergeben. Im Jahre 1930 wurde die Kirche gesprengt. Auf dem freigewordenen Platz wurde ein Springbrunnen gebaut und ein Park angelegt. Das Gelände bekam den Namen "Platz der Arbeit."
1990 entstand die Idee für den Wiederaufbau der Kirche. Doch man beließ es mit dem Bau einer Kapelle und der Aufstellung eines Kreuzes. 2010 entschied der Gouverneur von Jekaterinburg, die Kirche zum 300. Stadtgeburtstag im Jahr 2023 an ihrem ursprünglichen Platz so wiederaufzubauen, wie sie unter den russischen Zaren aussah. Doch der Plan wurde nicht umgesetzt, weil es Proteste in der Bevölkerung gab. Die Menschen wollten ihren Park behalten.
Einen erneuten Versuch, die Kirche zu bauen, gab es im Jahr 2016. Für die Finanzierung des neuen Kirchenprojekts standen schon damals die beiden Großunternehmen "Russische Kupfergesellschaft" und "Ural Bergbau und Metallurgische Gesellschaft" bereit. Die Kirche sollte nach einem neuen Plan auf einer künstlichen Insel in einem See im Stadtzentrum errichtet werden. Doch auch dieses Projekt stieß auf Widerstand in der Bevölkerung.
Proteste wie in Jekaterinburg gibt es in Russland seit Mitte der 2000er Jahre (Opposition gegen das System Putin, Ulrich Heyden/Ute Weinmann, Rotpunktverlag Zürich, 2009, S. 161-196). Immer wieder gehen Anwohner auf die Straße, weil Baufirmen hochgeschossige Wohn- oder Bürohäuser mitten in dichtbebaute Wohngebiete setzen. Oft müssen Parks und Spielplätze für Kinder weichen. Im letzten Jahr kam es zu Protesten gegen einen Kirchenbau im Moskauer Park Torfjanka.
2017 gab es in St. Petersburg heftige Proteste und eine große Kundgebung, nachdem bekannt worden war, dass die Stadt die berühmte Isaak-Kathedrale, die von der Stadt als Museum verwaltet wird, an die russisch-orthodoxe Kirche übergeben sollte. Die Auseinandersetzung endete mit einem "Kompromiss". Die Kirche bleibt in städtischer Hand, kann aber von der Kirche kostenlos genutzt werden.
Scharfe Kritik an dem Kirchenneubau in Jekaterinburg gab es auch von dem Moskauer Politologen Boris Kagarlitsky. Die russisch-orthodoxe Kirche verhalte sich in dem Konflikt um den Park wie eine "übliche Mafia-Bande aus dem Immobilienbereich", erklärte, der Politologe, der Direktor des Instituts zu Globalisierung und sozialen Bewegungen ist. Am Montag hätten die Firmen, die den Bau finanzieren wollen, Schläger gegen die Protestierenden eingesetzt.
Bei dem Bau der neuen Kirche gehe es "nicht um Gott, sondern um Immobilien und Geld". Die Kirche brauche "große Bauprojekte, in denen viel Geld eingesetzt wird". Während in Jekaterinburg mit viel Geld eine neue große Kirche gebaut werden soll, würden "in ganz Russland alte russisch-orthodoxe Kirchen" und andere historisch wertvolle Architektur "zerfallen", erklärte der Politologe.
Den Protest in Jekaterinburg bezeichnete Kagarlitsky als "Aufstand gegen Geiz, Dummheit, Frechheit und Aggressivität der herrschenden Kreise." (Ulrich Heyden)
veröffentlicht in: Telepolis