12. December 2011

In Russland wächst der Zorn auf Putin

Moskau – Aus allen Richtungen strömen die Menschen, ältere Bürger, welche die Sowjetunion noch erlebt haben, und junge Leute, die mit dem Internet aufgewachsen sind. Am Vortag hatten die Bürger, die gegen die offensichtlichen Wahlfälschungen demonstrieren wollten, noch Angst vor den Übergriffen der Polizei. Doch gestern strömten dann Jung und Alt durch die kleinen Gassen im Moskauer Altbauviertel Samoskworetschje, als sei es die normalste Sache der Welt, in Moskau auf eine Demo zu gehen. Die Nachrichten über offensichtliche Wahlfälschungen haben die Menschen auf die Straße getrieben. Man werde sich seine Stimme nicht von der „Partei der Betrüger und Diebe“ stehlen lassen. Das ist der Schlachtrufe der neuen Bewegung, die sich gegen die Kreml-Partei Einiges Russland und Wladimir Putin richtet. Viele tragen zum Zeichen ihrer friedlichen Absichten, eine weiße Schleife an der Jacke oder weiße Rosen und Chrysanthemen. „Wenn so viele Leute auf die Straße gehen, vergeht die Angst“, meint eine Demonstrantin. An diesem grauen, aber fröhlichen Dezember-Tag geht es überraschend friedlich zu. Die Polizei hält sich im Hintergrund. Es gibt keine Verhaftungen. Die Menge schiebt sich über die kleine Fußgänger-Brücke, welche sich über den Moskwa-Fluss spannt. Das Fahnenmeer der Demonstration ist zu sehen, die orangenen Flaggen der liberalen Solidarnost-Bewegung, die roten Fahnen der Kommunisten und die schwarz-gelb-weißen der Rechtsradikalen, die sich ebenfalls an den Protesten beteiligen. Oben auf der Brücke gibt es ein großes „Ah“ und „Oh“, als die Menschen die kleine, von Bloggern gesteuerte Drohne sichten, die über der Menge kreist, um Fotos zu machen. Die Fotos tauchten später im Internet auf, und dokumentierten, welche Massen tatsächlich auf der Straße waren. Die Polizei spricht von 25 000 Teilnehmern, doch die Veranstalter sagen, es seien 100 000 gekommen. In Moskau ist es in den letzten Tagen plötzlich „in“ geworden, zu demonstrieren. So wurden auf der Kundgebung sogar Vertreter der Moskauer Schickeria gesichtet, wie die beiden Fernseh-Moderatorinnen Ksenia Sobtschak und Tina Kandelaki. Letztere hatte vor einer Woche noch in ihrem Blog erklärt, sie habe bei der Duma-Wahl für die Kreml-Partei „Einiges Russland“ gestimmt. Eine Gruppe von jungen Studentinnen hat sich wegen der Kälte eingehakt. Warum sie zur Kundgebung gekommen sind? Die 20-jährige Xenia meint: „So kann es nicht weiter gehen. Die Gesetze in Russland müssen besser eingehalten werden.“ Wegen der Wahlfälschungen müssten nun alle zusammenstehen. Deshalb haben die Mädchen auch nichts dagegen, dass Kommunisten und Nationalisten dabei sind. Immer wieder fordern die Kundgebungsteilnehmer in Sprechchören den Rücktritt von Putin und Neuwahlen. In einer Resolution werden auch die Untersuchung der Wahlfälschungen und die Zulassung oppositioneller Parteien gefordert. Falls der Kreml nicht reagiert, will man am 24. Dezember, der in Russland kein Feiertag ist, erneut eine Protestkundgebung durchführen. Am Abend kommt dann die große Überraschung. Alle staatlichen Fernsehkanäle berichten relativ ausführlich über die landesweiten Proteste. Insbesondere der Fernsehkanal NTW berichtet ausführlich und fair. Wladimir Putin, der im März bei den Präsidentschaftswahlen antritt, hat sich bisher persönlich zu den Demonstrationen nicht geäußert. Sein Sprecher, Dmitri Peskow, erklärte lediglich, jeder habe das Recht seine Meinung kundzutun, solange er sich friedlich verhalte. veröffentlicht in: SüdkurierFotos von der Protestkundgebung
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