19. May 2007

Schlagabtausch an der Wolga

Auf dem EU-Russland-Gipfel ging es diesmal nicht gemütlich zu

Im südrussischen Kurort "Wolga-Klippen" flogen am Freitag die Fetzen. Wladimir Putin hatte zum EU-Russland-Gipfel geladen. Trotz aufwendiger Bau-Arbeiten an den Unterkünften für die Staatsgäste, einem herrlichen Blick auf den Wolga-Stausee, russischer Volks-Musik und einem Abendessen im romantischen Blockhaus, pflegte man diesmal nur den Dialog. Vereinbarungen wurden nicht unterschrieben. Es gab nur einige "Verabredungen".

So sollen ein Gremium für Investitionen geschaffen und die Grenzkontrollen vereinfacht werden. Angela Merkel meinte, manchmal sei es besser "miteinander als übereinander zu reden." Meinungen wurden zwar geäußert, aber man bewegte sich nicht aufeinander zu. Der Kreml-Chef wies alle Kritik wegen der Verletzung der Demokratie in Russland brüsk zurück. Ein ausgesprochen selbstsicherer Putin versuchte den Europäern ein paar Lektionen zu erteilen. In Estland sei bei den Protesten gegen den Abbau des sowjetischen Soldaten-Denkmals unter den Augen der Polizei ein Demonstrant gestorben. Man habe keine Hilfe geleistet. Die russische Minderheit in den baltischen Staaten werde diskriminiert. Es sei nicht gerechtfertigt, auf Russland Druck auszuüben. Die EU würde ja ihre strategischen Beziehungen zu den USA auch nicht in Frage stellen, weil dort die Todesstrafe vollstreckt werde und weil es Guantanamo gebe. Auf die Frage, ob er ein "lupenreiner Demokrat" sei, meinte Putin, echte Demokratie gäbe es nirgendwo auf der Welt.

In Anspielung auf den "Marsch der Nicht-Einverstandenen", der am Freitag Nachmittag in Samara stattfinden sollte, erklärte Putin, "vor marginalen Gruppen" habe er "keine Angst". Warum die Polizei aber am Freitag auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo 27 Personen, die zu der Demonstration in Samara wollten, die Pässe abnahm, wollte der Kreml-Chef nicht erklären. Derartige Vorsorgemaßnahmen seien auch in anderen Ländern üblich. Auch in Hamburg habe es Razzien gegen G 8-Gegner gegeben. Betroffen von den Maßnahmen auf dem Moskauer Flughafen waren der ehemalige Schachtweltmeister und Oppositionsführer Garri Kasparow, der Führer der Nationalbolschewisten Eduard Limonow, der Menschenrechtler Lew Ponomarjow sowie mehrere Journalisten westlicher Medien. Der "Marsch der Nicht-Einverstandenen" war vom Bürgermeister Samaras genehmigt worden.

Angela Merkel wollte die Behinderung von Kasparow nicht unkommentiert lassen. Ohne den Namen des Oppositionsführers zu nennen erklärte sie, "ich sage ganz offen, dass ich mir wünsche, dass heute Nachmittag die, die in Samara demonstrieren wollen, das auch tun können, und ich bin etwas besorgt, das manch einer Schwierigkeiten hatte beim Anreisen."

Die Verhandlungen über ein neues Rahmenabkommen mit der EU hätten "noch nicht begonnen", stellte der Kreml-Chef nüchtern fest. Man "dramatisiere die Situation aber nicht". Russland "verstehe", dass Europa erst mal "seine inneren Probleme" klären muss. "Wir achten das", erklärte Putin in gespieltem Großmut. Meinungsverschiedenheiten gäbe es nur in den Fragen, die "im Bereich des ökonomischen Egoismus einzelner europäischer Länder liegen", so der Präsident. Putin spielte dabei auf Polen, Estland und Litauen an. Polen blockiert die Verhandlungen über eine Rahmenvereinbarung zwischen Russland und der EU wegen des russischen Importverbots für Fleisch aus Polen. Estland erklärt, offizielle russische Strukturen seien in einen Krieg gegen Websites der estnischen Regierung verwickelt, Litauen fordert die Wiederaufnahme russischer Öllieferungen. EU-Kommissar Barroso erklärte dazu, Probleme einzelner EU-Mitglieder seien Probleme der gesamten EU. Doch auf diesem Ohr war Putin taub, er zeigte sich optimistisch. Russland wickele 50 Prozent seines Handels mit der EU ab, viele Länder Europas seien von russischen Energielieferungen abhängig. Zu einer ernsten Krise zwischen Russland und Europa könne es daher nicht kommen.

Märkische Allgemeine

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