Foto: Darja Morosowa
Beweise dafür, dass russische Soldaten und Behörden gezielt »ukrainische Kinder« von ihren Eltern trennten, gibt es nicht. Im Gegenteil: Die Menschenrechtsbeauftragte der Volksrepublik Donezk, Darja Morosowa, sorgte zum Beispiel im April 2022 dafür, dass zwei Vollwaisen, die zwölfjährige Kira Obedinskaja und der neunjährige Ilja Matwijenko, die sich in einem Krankenhaus in der Stadt Donezk aufhielten, Kontakt mit Großeltern in der Ukraine aufnehmen konnten. Die Großeltern waren bereit, die Vormundschaft für die beiden Kinder zu übernehmen. Sie holten ihre Enkel am 23. April 2022 in Donezk ab. Da der direkte Weg in die Ukraine durch die Front zu gefährlich war, fuhren die Großeltern mit ihren Enkeln via Russland zurück in die Ukraine.
Ukrainische NGOs organisieren Fahrten von Eltern, die Kinder aus Russland zurückholen. Darüber berichtete sogar Die Zeit. Doch die DLF-Mitarbeiterin Adler will von all dem nichts wissen. Im Schlusswort ihrer Radiosendung erklärte sie: »Die leiblichen ukrainischen Eltern haben kaum eine Chance, ihre Kinder wiederzufinden, weil sie neben der russischen Staatsbürgerschaft auch neue Namen haben. Menschenrechtler sprechen von einer Form des Genozids.«
Die Leiterin der Union der politischen Emigranten aus der Ukraine, Larissa Schessler, die selbst aus der Südukraine kommt, erklärte mir gegenüber, der Vorwurf westlicher Medien, Russland »deportiere« Kinder, beziehe sich faktisch »auf die Evakuierung von Kindern aus Kinderheimen, die im Kriegsgebiet liegen. Kann man diese Kinder der tödlichen Gefahr von Geschossen und Minen aussetzen? Statt politische Ziele zu verfolgen, muss man sich vor allem um die Sicherheit der Kinder kümmern.«
Die Aktivistin wies darauf hin, dass die Vereinigung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie der Gebiete Saporischschja und Cherson mit Russland dazu führte, dass »alle Menschen, die am 30. September in diesen Gebieten lebten, russische Staatsbürger sind.«
Dass der Vorwurf der »Deportation« von Kindern nicht auf Fakten basiert, zeigte auch die Evakuierung von 2.500 Schülern aus der Stadt Cherson auf die Krim, Anfang Oktober 2022. Man evakuierte die Schüler in ein gut ausgestattetes Lager in der Stadt Jewpatorija, weil Cherson unter ukrainischem Beschuss stand. Die Eltern der Schüler hatten ihr schriftliches Einverständnis für die Evakuierung gegeben.
Nach dem Abzug der russischen Truppen aus Cherson am 9. November 2022 und der Evakuierung vieler Bewohner von dort auf von Russland kontrolliertes Gebiet, hätten viele Eltern ihre Kinder von der Krim zu sich geholt, berichtet das Internetportal Ukraina.ru. Derzeit befinden sich demnach auf der Krim noch 99 evakuierte Kinder aus Cherson.
Larissa Schessler erklärte, niemand hindere Eltern, die in der Stadt Cherson leben, »über dritte Länder nach Jewpatorija auf die Krim zu fahren und dort ihre Kinder abzuholen«. Aber die Eltern seien daran nicht interessiert. Sie seien offenbar der Meinung, dass ihre Kinder »jetzt an einem sicheren und angenehmen Platz leben und nicht in Cherson, wo es zu Explosionen kommt, wo es keine Wasserversorgung gibt, wo die Stromversorgung gestört ist und die Eltern keine Arbeit haben«.
Wünschenswert wäre, dass sich deutsche Medien mehr für die Rechte der Kinder und Jugendlichen in der Ukraine interessieren. Laut einem Bericht der russischen Tageszeitung Moskowski Komsomolez würden ukrainische Soldaten in dem Teil des Donezk-Gebietes, der von Kiew kontrolliert wird, Jugendliche direkt von der Straße und aus Schulen einsammeln und evakuieren. Die Eltern würden nicht informiert. Derartige Aktionen gäbe es in den Städten Kramatorsk, Slawjansk und Bachmut. In Bachmut harren immer noch Zivilisten aus, die verhindern wollen, dass ihre Häuser geplündert werden.
Die ukrainische Vizeministerpräsidentin Irina Wereschtschuk hat die noch 6.000 in Bachmut (russisch: Artjomowsk) verbliebenen Menschen aufgefordert, sofort die Stadt zu verlassen. Kiew möchte offenbar vermeiden, dass Russland sich nach der Einnahme von Bachmut brüsten kann, es habe Menschen befreit, die auf die russischen Truppen warteten.
veröffentlicht in: Junge Welt