22. October 2004

Schwach, aber hartnäckig

Protestaktionen gegen Präsident Lukaschenko reißen nicht ab

Nach den Verhaftungen weißrussischer Oppositioneller erschüttert nun der Mord an einer Journalistin die Demokraten des Landes. Am Mittwochabend wurde Veronika Tscherkasowa – sie arbeitete zuletzt bei der Gewerkschaftszeitung „Solidarnost“ – tot in ihrer Wohnung gefunden. Die ehemaligen Arbeitskollegen der Journalistin wollten gegenüber der Internetzeitung Gaseta.ru nicht ausschließen, dass der Mord mit der Verfolgung der Opposition in den letzten Tagen zusammenhängt. Die Polizei erklärte, die Journalistin, die sich im Bademantel befand und offenbar selbst die Wohnungstür öffnete, sei mit 20 Messerstichen getötet worden.

Mord an Journalistin heizt Stimmung auf

Der Mord an der Journalistin heizt das Klima in Weißrussland weiter auf. Nachdem sich der autoritär regierende Staatschef Aleksandr Lukaschenko am Sonntag per Referendum eine dritte Amtszeit genehmigen ließ, vergeht kein Tag ohne unangemeldete Demonstrationen der Opposition. Die Aktionen werden regelmäßig von der gefürchteten Omon-Sonderpolizei per Schlagstock und Massenverhaftungen aufgelöst. Nachdem unmittelbar nach dem Referendum noch mehrere tausend Menschen auf die Straße gegangen waren, wagten sich am Mittwoch noch 200 Menschen auf den Oktjabrskaja-Platz in Minsk, zur Lukaschenkos Residenz.Junge Leute von der Oppositionsgruppe „Subra“ riefen „Lukaschenko hat verloren“, „Lukaschenko hat Angst“. Vertreter der Vereinigten Bürgerpartei hielten Porträts ihres Vorsitzenden Anatoli Lebedko. Dieser war am Dienstag zusammen mit 48 anderen Demonstranten verhaftet worden. Geheimdienstbeamte hatten ihn in ein Restaurant geschleppt, dort mit Handschellen an ein Eisenrohr gefesselt und verprügelt. Lebedko wurde mit einer Gehirnerschütterung und inneren Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert. Der Korrespondent des russischen Fernsehkanals NTW, Konstantin Morosow, der Lebedko gefilmt hatte, wurde von den Sicherheitsbeamten auf den Boden geworfen. Polizisten traten mit den Stiefeln auf den Journalisten und seine Kamera ein. Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Nikolai Statkewitsch wurde zu zehn Tagen Haft verurteilt, der Leiter von „Junges Weißrussland“, Pawel Sewerinz, bekam eine Haftstrafe von 15 Tagen. Der Korrespondent des russischen Fernsehkanals ORT, Pawel Scheremet, durfte Weißrussland inzwischen verlassen. Auch er war von Geheimdienstmitarbeitern zusammengeschlagen worden. Die ursprünglich angedrohte Anklage wegen „Rowdytums“ ließ die Staatsanwaltschaft in Minsk fallen.
Scheremet kündigte an, er werde weiter zum Fall seines 1999 verschwundenen und wahrscheinlich ermordeten ORT-Kollegen Dmitri Sawatzkin ermitteln. Offenbar ist Sawatzkin Opfer einer Todesschwadron, die von hohen weißrussischen Staatsbeamten geleitet wird.

Provokateure unter den Demonstranten

Mit seiner Amtsverlängerung hat Lukaschenko sich in eine Sackgasse manövriert, was ihm jedoch offenbar keinerlei Sorgen macht. Noch ist die Opposition im Land schwach und das offizielle Moskau hält ihm die Treue. Russische Medien äußerten sich dagegen kritisch zur Lage im Nachbarland. Der Fernsehkanal NTW zeigte, wie sich in Minsk demonstrativ Bier trinkende Männer mit kurzem Haarschnitt und kräftigem Körperbau – einige von ihnen mit Europa-Fahnen – unter die Demonstranten mischten, offensichtlich bezahlte Provokateure, die die Demonstration in die Ecke des „Rowdytums“ stellen sollten

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