Jefgeni Wasilkewitsch bei einer Femen-Aktion. Bild: colonelcassad
Nach der Festnahme, erzählt der ehemalige Femen-Aktivist, habe man ihn am 6. Juni 2015 in das örtliche Gebäude des SBU in der Spasskaja Straße Nr. 40 gebracht. Dort zog man ihm eine Plastiktüte über den Kopf, die man mit einem Plastikband um den Kopf befestigte. Er habe Panik bekommen und habe versucht, das Paket mit den Zähnen aufzubeißen.
Dann wurde er in eine Tiefgarage gebracht, wo man ihm die Tüte vom Kopf zog. Und nun begann das wirkliche Grauen. Jefgeni sah einen Mann auf den Knien. Dem Mann wurde von SBU-Mitarbeitern der Hals aufgeschnitten. Die Männer vom SBU sagten zu Jefgeni, mit ihm werde das Gleiche passieren.
Als der verletzte Mann kein Lebenszeichen mehr von sich gab, wurde Jefgeni wieder die Plastiktüte über den Kopf gezogen. Doch das Grauen ging weiter. Der SBU-Ermittler Aleksandr Melnik habe ihn mit einer Schusswaffe vergewaltigt, erzählt Jefgeni. Seine Peiniger sagten, wenn er nicht zugebe, dass er die separatistische Organisation „Volksrepublik Bessarabien“ unterstütze, werde man in fünf Sekunden schießen.
Der ehemalige Femen-Aktivist hörte Schüsse. Dann verlor das Bewusstsein. Da er nicht gehen konnte, sei er von einem SBU-Mann nach oben in ein Dienstzimmer des Geheimdienstes getragen worden. Er habe Tabletten schlucken müssen. Dann ging es wieder los. Jefgeni sollte zugeben, dass er „für Putin arbeitet“.
Es war bereits zwei Uhr nachts. Die SBU-Ermittler konnten das Verhör nicht fortsetzen, weil ein Rechtsanwalt auftauchte. Jefgeni wurde in ein Krankenhaus gebracht. Danach kam er in ein Untersuchungsgefängnis, wo er fünf Wochen zubrachte. Die Mutter des ehemaligen Femen-Aktivisten zahlte umgerechnet 2000 Euro, damit ihr Sohn auf Kaution freikam.
Im Gericht von Nikolajew zeigte der ehemalige Aktivist Verletzungen (Video), die ihm von SBU-Beamten zugefügt worden seien. Deutlich zu sehen sind Verletzungen an Schultern, Füßen und Beinen. Jefgeni schickte dem Autor gescannte Dokumenten von Krankenhäusern in Nikolajew und einer Ambulanz in den Niederlanden, welche die Verletzungen bestätigen. Außerdem liegt dem Autor dieser Zeilen eine Untersuchung der Militärstaatsanwaltschaft der Stadt Nikolajew vor, die gegen den örtlichen Geheimdienst wegen „Überschreitung der Amtsvollmachten“ ermittelte.
Nach den Martyrium in der Tiefgarage sah Jefgeni für sich nur eine Wahl. Um fabrizierten Strafverfahren zu entgehen und aus Angst vor dem Tod, verpflichtete er sich zur Agententätigkeit für den SBU. Er war damals 25 Jahre alt. Am Telefon sagt Jefgeni: „Ich wollte nicht für den Geheimdienst arbeiten, aber man hat mich gezwungen und mit einem Strafverfahren gedroht. Die arbeiten wie Faschisten.“
Aus der südukrainischen Stadt Nikolajew wurde Jefgeni nach Kiew in eine konspirative Wohnung in der Juri-Iljenko-Straße Nr. 12a gebracht. Dort verkehrten Agenten im Alter von 15 bis 60 Jahren. Viele der neu gewonnen Agenten hätten kriminelle Taten begangen, berichtet der ehemalige Aktivist. Mit diesen Vergehen habe man die neu Angeworbenen zur Agenten-Tätigkeit gepresst. Der ukrainische Geheimdienst habe bereits ein gigantisches Netz von 27.000 Agenten aufgebaut. All diese Leute seien bewaffnet.
Der ehemalige Femen-Aktivist kam beim SBU in die Abteilung für „Propaganda und Desinformation“. Und er bekam eine legale Arbeit als Pressesekretär des Nationalen Korpus, einer 2016 von Andrij Bilezki gegründeten ultranationalistischen Bürgerwehr. Seine Aufgabe als Pressesekretär sei es gewesen, „alle Verbrechen und Morde, welche die Radikalen unter der Leitung des SBU verübten, Russland und russischen Agenten anzulasten“.
Während seiner Zeit als SBU-Agent habe er Kontakt zu zahlreichen SBU-Mitarbeitern gehabt, die in kriminelle Aktivitäten verwickelt waren, berichtet Jefgeni. Da war zum Beispiel Maxim Ljulin, ein ehemaliges Mitglied des Rechten Sektors. Ljulin habe ihm erzählt, dass er vom SBU den Auftrag bekommen habe, den liberalen Journalisten Pawel Scheremet umzubringen. Warum der SBU Scheremet umbringen wollte? Jefgeni meint: „Für den SBU war es von Vorteil, wenn man den Eindruck schafft, dass die ganze Ukraine voll von russischen Spionen und Terroristen ist. Man hoffte auf diese Weise aus der EU weitere Gelder für Polizei und Geheimdienst zu bekommen.“
Jefgeni Wasilkewitsch. Foto Ulrich Heyden
Der ehemalige Femen-Aktivist berichtet, dass auch er vom SBU einen Mordauftrag bekam. Er sollte seinen guten Bekannten Dmitri Soin, einen Abgeordneten der international nicht anerkannten Republik Transnistrien (eine 1991 von Moldau abgespaltene Region) in einem Moskauer Café mit einem Tee vergiften. „Ich kannte seine Familie“, erzählte Jefgeni. „Man sagte mir, niemand sonst könne Kontakt zu Soin aufnehmen, außer mir.“
Soin, der jetzt in Russland lebt, erklärte in einem Interview mit der Tageszeitung Moskowski Komsomolez, er wundere sich nicht, dass Wasilkewitsch einen Mordauftrag bekommen habe. Die SBU-Mitarbeiter in Odessa hätten Gründe gehabt. Soin stand wegen angeblicher Tätigkeit für die separatistische „Volksrepublik Bessarabien“ unter Hausarrest. Er sollte gegen eine Gruppe ukrainischer Nationalisten, die sich in russischer Haft befanden, ausgetauscht werden. Doch Soin gelang am 30. November 2014 die Flucht nach Russland. Damit platzte der Gefangenenaustausch.
Soin erklärte, dass er noch lange nach seiner Flucht aus der Ukraine über Facebook Drohungen aus der Ukraine bekam. „Unter den ukrainischen Gefangenen, die ausgetauscht werden sollten, waren offenbar einige für den ukrainischen Geheimdienst wichtige Leute“.
Dass der SBU Jefgeni Wasilkewitsch folterte, hält Soin für möglich. Es gäbe bei diesem Geheimdienst Methoden „der direkten Anwerbung über starken moralisch-psychologischen und physischen Druck“. Der SBU habe 2015 von der ukrainischen Regierung „freie Hand“ bekommen. „Ich erinnere mich, wie in Odessa Organisationen zerschlagen wurden, welche gegen den nationalistischen Kurs auftraten. Man brach den Menschen Rippen, Hände und Beine. Es wurde Leute umgebracht. Viele Menschen sind einfach verschwunden. Ihre Körper wurden bis heute nicht gefunden.“ In der Ukraine herrsche Bürgerkrieg, „da kommt es immer zu Gräueln“.
Dass der ukrainische Geheimdienst gegen „Russland-Freunde“ und „Separatisten“ freie Hand hatte, berichteten 2016 auch die Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch und Amnesty International. Aufgrund dieser Berichte sah sich die ukrainische Regierung gezwungen, die Existenz von Geheimgefängnissen einzugestehen und einige Gefangene freizulassen.
Wasilkewitsch sagt im Gespräch, er habe den Mordauftrag nicht mit seinem Gewissen vereinbaren können. Deshalb sei er Ende 2017 in die Niederlande geflüchtet. Geholfen hätten ihm verschiedene Leute, Mitarbeiter des SBU, die sich nicht mit politischen Fällen beschäftigen, aber auch die damalige Rada-Abgeordnete Nadjeschda Sawtschenko und „Leute aus Amerika“, deren Namen der ehemalige Aktivist nicht nennen will.
Die Möglichkeit, dass Jefgeni nach der Sitzung des niederländischen Gerichts am 25. März in die Ukraine abgeschoben wird, ist relativ groß, denn die Kopie des Schlüsseldokuments über die Untersuchung der Militärstaatsanwaltschaft von Nikolajew bezeichnet die niederländische Migrationsbehörde als „nicht echt“. Der ehemalige Femen-Aktivist sagt: „Ich habe das Dokument von einem Mitarbeiter des SBU erhalten. Das Dokument ist wichtig, denn dort ist fixiert, dass es in dem Keller, in den man mich brachte, eine Leiche gab.“
So viel ist sicher: Wenn sich der Fall Jefgeni Wasilkewitsch in Moskau ereignet hätte, dann hätten die deutschen Medien schon groß berichtet.
veröffentlicht in: Buchkomplizen