14. June 2010

Todesschwadronen wüten

Kirgistan. Zwischen Usbeken und Kirgisen ist im Süden des Landes ein Bürgerkrieg aufgeflammt. Zehntausende sind auf der Flucht.

Ulrich Heyden Bischkek (SN, n-ost). Trotz der Mobilmachung der kirgisischen Armee und Truppenverlegungen in den Süden gingen die in der Nacht auf Freitag ausgebrochen Unruhen in den Städten Osch und Dschalal-Abad weiter. Laut Augenzeugen herrschen kriegsähnliche Zustände. Es dürfte weit mehr als 100 Opfer geben.

Kriminelle Gangs von Kirgisen und Usbeken zünden Wohnhäuser und Geschäfte an. Angehörige der usbekischen Minderheit verbarrikadieren sich oder flüchten Richtung Usbekistan. Lebensmittelläden und Apotheken wurden geplündert.
In Dschalal-Abad, der Heimatstadt des im April gestürzten Präsidenten Kurmanbek Bakijew, kam es zu Schießereien zwischen Maskierten. Am Nachmittag zog eine dreitausendköpfige Menge durch die Stadt und steckte Häuser in Brand. Aber es gab auch Kirgisen und Usbeken, die sich in ihren Wohnbezirken zusammenschlossen, um sich vor Angriffen zu schützen. Bisher ist unklar, was der Auslöser für die Auseinandersetzungen zwischen den Straßengangs war. Die Regierung in Bischkek machte den im April gestürzten Präsidenten Kurmanbek Bakijew für die Unruhen verantwortlich. Der im weißrussischen Exil sitzende Bakijew dementierte. Allerdings erhärten sich Indizien, dass das Feuer von außen geschürt wird. „Es fahren Autos ohne Nummernschilder mit unbekannten Maskierten durch die Stadt, die Menschen erschießen, Kirgisen und Usbeken“, zitierte die Internetzeitung newsru.com einen Bewohner.
In Osch leben etwa 240.000 Menschen. Davon sind etwa 66 Prozent Kirgisen und 24 Prozent Usbeken. Der Rest sind Russen und Tadschiken. Im Internet tauchten erschütternde YouTube-Videos auf. Verkohlte Menschen lagen in einer Straße von Osch aufgereiht. Angehörige lagen sich weinend in den Armen.
Die Chefin der provisorischen Regierung von Kirgistan, Rosa Otunbajewa, hat Moskau aufgefordert, Truppen zu schicken, um die Lage im Süden zu stabilisieren. Präsident Dmitrij Medwedew erklärte, es handele sich um einen inneren Konflikt. Er entsandte aber Truppen zum Schutz der eigenen Einrichtungen.
In Kirgistan geht es nicht nur um die Macht. Es herrscht auch eine soziale Krise, die sich über viele Jahre entwickelt hat.
Die Wirtschaft in dem kleinen Land am Pamir-Gebirge mit seinen fünf Millionen Einwohnern ist seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht wieder auf die Beine gekommen. Hunderttausende Kirgisen müssen ihre Familien als Gastarbeiter in Russland ernähren. Die Korruption hat enorme Ausmaße erreicht und das Vertrauen der Menschen in den Staat zerstört.
Schon zwei Präsidenten wurden wegen Korruption und Amtsmissbrauch gestürzt. Im April 2005 fegte die Tulpenrevolution Askar Akajew hinweg. Doch auch sein Nachfolger Kurmanbek Bakijew verspielte das Vertrauen der Bevölkerung rasch.
Nun regiert in Bischkek eine provisorische Regierung. Unter den neuen Machthabenden sind viele frühere Oppositionspolitiker. Doch ihr Handeln wirkt hilflos und unentschlossen.
Kirgistan ist ein sehr armes Land. Die Staatskasse wurde von der Familie Bakijew geplündert, der nun aus dem Exil die Lage anheizt. Das Land kann nun nur noch mithilfe finanzieller Zuwendungen von großen Staaten überleben. Doch die großen Staaten konkurrieren um Einfluss in der strategisch wichtigen Region nicht weit von Afghanistan. Russland und die USA haben in Kirgistan Militärbasen. Auch China hat Interessen in dem kleinen Staat am Pamir-Gebirge.

"Salzburger Nachrichten"

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