2. February 2018

Ukraine: Journalisten fliehen ins Ausland

Regierungskritisches Internetportal Strana.ua: "Man will uns vernichten". Chefredakteur Guschwa beantragt Asyl in Österreich. Gegen Ruslan Kotsaba läuft Verfahren wegen Landesverrat

Ein Land in Europa aus dem bekannte Journalisten fliehen, aus Angst vor langen Gefängnisstrafen und der Gewalt ultranationalistischer Mord-Kommandos. Nein, die Rede ist nicht von der Türkei, sondern von der Ukraine. Am 31. Januar wurde bekannt, dass sich der Chefredakteur des populärsten regierungskritischen Internet-Portals strana.ua, Igor Guschwa, nach Wien abgesetzt hat, um dort politisches Asyl zu beantragen. Guschwa verließ die Ukraine auf legalem Weg, wie er selbst mitteilte, unmittelbar nach dem Auslaufen einer Strafe, nach der er die Ukraine nicht verlassen durfte.

 

In der EU befindet sich bereits seit der bekannte ukrainische Journalist Anatoli Shari, der seit dem Regierungssturz in der Ukraine den regierungskritischen Video-Kanal SuperSharij mit 1,3 Millionen Abonnenten aufgebaut hat.

Die Redaktion von Gaseta.ua erklärte in einem Offenen Brief an den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, Chefredakteur Igor Guschwa werde das Internet-Portal vom Ausland aus weiter leiten. Strana.ua sei seit seiner Gründung vor zwei Jahren einem "außerordentlichen Druck" ausgesetzt. Gegen den Chefredakteur habe man "fünf fabrizierte Strafverfahren" eingeleitet. Die Journalisten von Strana.ua seien auf ihrer Arbeitsstelle und zuhause "ungesetzlichen Durchsuchungen" ausgesetzt.

Von Gruppen, welche die Regierung kontrolliere, bekomme man "ständig Gewaltdrohungen". Das Ziel sei es, "uns zu ängstigen" und wenn das nicht gelinge, "uns zu vernichten". Offenbar bereite sich der Präsident auf die Wahlen in einem Jahr vor. "Und auch wir bereiten uns vor", schreiben die Journalisten.

 

Tätlicher Angriff auf "Strana.ua"-Chefredakteur von "C 14"-Rechtsextremisten

 

 

Chefredakteur Guschwa selbst erklärte gegenüber dem ukrainischen Fernsehkanal 112, er sei von Jewgeni Karas, einem Mitglied der rechtsextremen Organisation C 14, Ende Dezember im Zentrum von Kiew tätlich angegriffen worden (Video). Die Polizei habe auf eine Anzeige nicht reagiert. Österreich habe er sich als Gastland ausgesucht, da dieser Staat keinem militärischen Block angehöre, was wichtig sei für die Fortführung seiner Arbeit als Chefredakteur.

In einer persönlichen Stellungnahme erklärte Guschwa, leider hätten sich die Hoffnungen, die Meinungsfreiheit in der Ukraine über Gerichte zu schützen, Anfang dieses Jahres zerschlagen. Die Gerichte seien neu besetzt worden und ständen nun unter vollständiger Kontrolle der Präsidialadministration. Nach seiner Ankunft in Österreich habe er die Information erhalten, dass gegen ihn ein Verfahren wegen Erpressung in Vorbereitung ist. Darauf stehe eine Gefängnisstrafe von sieben Jahren.

Guschwa befand sich im Juni 2017 bereits mehrere Tage in Haft (Warum Journalisten und Andersdenkende in der Ukraine Angst haben), nachdem die Redaktion von Strana.ua von Geheimdienstbeamten durchsucht worden war. Ukrainische Medien publizierten nach der Durchsuchung ein Foto, auf dem angebliches Beweismaterial zu sehen war, ein Tisch voller 100-Dollar-Scheinen. Dabei handelte es sich nach Meinung der staatlichen Ermittler angeblich um Bestechungsgeld, welches Chefredakteur Igor Guschwa von Abgeordneten der Radikalen Partei bekommen haben soll. Im Gegenzug soll das Internetportal auf negative Berichte über Oleh Ljaschko und andere Abgeordnete der Radikalen Partei verzichtet haben.

Chefredakteur von Fernsehkanal "NewsOne" flüchtet nach Brüssel

Igor Guschwa ist nicht der einzige ukrainische Chefredakteur, der Schutz in Westeuropa sucht. Im Dezember 2017 hielt sich der Chefredakteur des kritischen Fernsehkanals NewsOne, Jewgeni Murajew, mehrere Wochen in Brüssel auf, während seine Fernsehkanal von Ultranationalisten blockiert und mit Stacheldraht eingezäunt wurde.

Nach der Blockade leitete der ukrainische Staatsrat für Radio und Fernsehen ein Untersuchungsverfahren gegen NewsOne ein. Beanstandet wurde, dass Chefredakteur Murajew den Maidan in einer Sendung als Staatsstreich bezeichnet hatte. "Moderatoren und Gäste" des Kanals hätten "die militärische Aggression" des "Aggressor-Staates" (gemeint ist Russland, U.H.) und die "Annexion der Krim gerechtfertigt". Damit solle "die öffentliche Meinung mit unwahren und nicht vollständigen Informationen manipuliert werden", schrieb das Mitglied des Staatsrats, Sergej Kostinski via Facebook. Außerdem seien die Luftstreitkräfte Russlands in einem Beitrag über Syrien positiv dargestellt worden.

Tätlicher Angriff von "Rechtem Sektor"-Mitglied auf Fernsehjournalist Kotsaba
Ruslan Kotsaba, der nach seiner Haftstrafe wegen "Schädigung der ukrainischen Armee" bei dem Kiewer Fernsehkanal NewsOne arbeitet, wurde schon insgesamt vier Mal von Rechtsradikalen überfallen, zuletzt am 12.Dezember 2017 während Dreharbeiten im Zentrum von Kiew, als er von einem Mitglied des Rechten Sektors geschlagen wurde (Video) . Über eine Reaktion der Polizei auf diese Vorfälle ist nichts bekannt.

Mutige Richter unterlaufen Kotsaba-Verfahren wegen Landesverrat
Am Donnerstag konnte sich Kotsaba jedoch freuen. Es ging um die Anklage wegen Landesverrat, welche die Staatsanwaltschaft gegen den Journalisten eingereicht hat. Am Mittwoch war in einem Bezirksgericht des westukrainischen Gebietes Iwano-Frankiwsk eine Gerichtsverhandlung angesetzt, zu der Kotsaba erschien. Der Journalist befürchtete, man könnte ihn auf dieser Gerichtsverhandlung verhaften. Doch das war nicht der Fall. Stattdessen kam es zu einer erfreulichen Wende. Schon das zweite Mal erklärte sich ein Richter eines Gerichts im westukrainischen Iwano-Frankiwsk für befangen, weshalb das Gericht gestern kein Urteil fällen konnte und der Fall an ein Schiedsgericht überwiesen wird.

Schon das dritte Gericht sieht sich damit außerstande, gegen Kotsaba wegen der Klage auf Landesverrat ein Urteil zu fällen. Kotsaba und seine Anwältin Tetjana Montian meinen, dass das Hin- und Herschieben zwischen den Gerichten noch Jahre weitergehen könne.

Mit Rechtssicherheit hat dieses Hin- und Herschieben nichts zu tun. Es zeigt aber, dass es unter den Richtern durchaus anständige Menschen gibt, die mit ihrem Verhalten sogar Strafaktionen des Rechten Sektors riskieren. Weichheit gegenüber angeblichen "Feinden des Vaterlandes" wird vom Rechten Sektor immer wieder mit Gewaltaktionen auch gegen Richter bestraft.

Die strafrechtliche Verfolgung von Ruslan Kotsaba begann im Februar 2015. Mitte Januar 2015 hatte der Journalist über ein YouTube-Video zur Kriegsdienstverweigerung in der Ost-Ukraine aufgerufen. Am 7. Februar wurde der jetzt 51-Jährige verhaftet und ein Jahr später wegen "Schädigung der Armee" zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Kotsaba saß 524 Tage im Gefängnis, bis im Juli 2016 ein Berufungsgericht in Iwano-Frankiwsk entschied, dass Ruslan Kotsaba unschuldig ist und seine Freilassung anordnete (Ein Bier nach dem Freispruch für Kriegsdienstverweigerer). Grund der Freilassung war vermutlich eine internationale Protest-Kampagne, die in Deutschland von der Deutschen Friedensgesellschaft/VK und dem Verein Connection getragen wurde.

Die ukrainische Staatsanwaltschaft reichte 2017 eine neue Klage wegen Landesverrat gegen den Journalisten ein. Ein Gericht im Gebiet Iwano-Frankiwsk sollte über die Klage entscheiden, erklärte sich aber für befangen und überwies den Fall an ein Gericht in Kiew. Doch das Kiewer Gericht überwies den Fall zurück nach Iwano-Frankiwsk. Am Mittwoch platzte eine Gerichtsverhandlung in Iwano-Frankiwsk erneut aufgrund des Befangenheitsantrags eines Richters.

Kotsaba-Anwältin Montian: "Das ist die Folge der Revolution der Würde!"
Die Anwältin von Kotsaba, Tetiana Montian, die bekannt ist für ihre schonungslosen Kommentare, erklärte via Facebook: "Nach meiner Prognose wird sich kein Gericht im Gebiet Iwano-Frankiwsk finden, welches die direkte Anordnung des Berufungsgerichts im Kiewer Gebiet ausführt und den Schuldspruch in die gemeinen Fressen der Staatsanwälte wirft. Doch dafür können die Nazis das Gericht anstecken und die Richter umbringen. Das ist keine Kleinigkeit. Das ist die Folge der Revolution der Würde! Wir warten auf die neue Zuteilung und eine neue Zusammensetzung des Gerichts. Diese Musik wird ewig sein!"

Bei einer Veranstaltung in Mainz erklärte Ruslan Kotsaba, ins Exil zu gehen, komme für ihn nicht infrage. Er sei sich sicher, dass er im Westen kein politisches Asyl erhalte.

veröffentlicht in Telepolis

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