Der Protest richtete sich gegen einen Marsch von 600 uniformierten und teilweise maskierten Männern der neuen paramilitärischen Organisation Nationalni Druschini (ND) durch die Kiewer Innenstadt und die Duldung dieser Organisation durch die Regierung.
Nationalni Druschini, das heißt so viel wie "Nationale Kommandos". Der Marsch der neuen Rechts-Organisation fand ausgerechnet am 28. Januar statt, dem Tag des internationalen Holocaust-Gedenkens. Gegen Abend - es dämmerte schon - legten die 600 Marschierer unter Fackelschein einen Eid ab, der Ukraine treu zu dienen. Der ND-Führer Igor Michailenko und Andrej Bilezki, der Leiter des rechtsradikalen Asow-Bataillons, sprachen zu den Versammelten (Marsch durch Kiew).
"Gesunde Lebensweise" und "Schutz der öffentlichen Ordnung"
In einer Erklärung der Nationalni Druschini heißt es, "die Straßen sind unsicher geworden, es gibt die Gefahr von Raidern (gewaltsame Übernahme von Firmen) und sozialem Niedergang". Die neue Organisation verspricht gegen Drogen-Dealer, illegale Kasinos und Wilderer zu kämpfen. Man will eintreten für "den Schutz der öffentlichen Ordnung, die Verteidigung der Ukraine, den Schutz der kleinen und mittleren Unternehmen" sowie eine "gesunde Lebensweise".
Tatsächlich haben viele Menschen in der Ukraine den Eindruck, dass die ukrainische Polizei ihrer Aufgabe, die einfachen Menschen zu schützen, nicht nachkommt, dass sie korrupt und nicht motiviert ist. Aber auch der neuen paramilitärischen Organisation trauen viele Menschen nicht.
Generalstaatsanwalt Juri Luzenko erklärte, die neue Organisation dürfe nur in Koordination mit der Polizei tätig werden. In der Ukraine gibt es zwar ein Gesetz aus dem Jahre 2000, welches Bürger-Organisationen zulässt, die für Sicherheit auf den Straßen sorgen. Dass die ND ihre Tätigkeit aber mit der Polizei abspricht, wird von vielen Bloggern und Journalisten bezweifelt.
Die ND werde faktisch in einem rechtsfreien Raum agieren, so die Kritiker. Niemand könne die Mitglieder dieser Organisation zur Verantwortung ziehen. Die Erfahrung zeigt auch, dass Rechtsradikale und Ultranationalisten in der Ukraine ihre Aktionen meist maskiert und überfallartig ausführen.
Dass sich die ND dem Innenministerium nicht unterordnen wird, wurde deutlich bei einer Pressekonferenz am 31. Januar, auf der ND-Leiter Igor Michailenko erklärte, für die Nationalni Druschini seien weder Präsident Petro Poroschenko noch Innenminister Awakow Autoritäten.
Dass die neue Organisation - wie von ND-Führer Michailenko behauptet - auf Waffeneinsatz verzichten will, ist nicht mehr als eine Behauptung. Auf der Website von ND sieht man zahlreiche Videos von Übungen mit Waffen.
Auf der ND-Website kann man einen Beitrittsantrag ausfüllen. Man wird gefragt, ob man eine registrierte Waffe hat und an dem Krieg in der Ost-Ukraine teilgenommen hat.
Finanzierung über Geschäftsleute
Die Sprecher der Nationalni Druschini behaupten, dass sich die neue Organisation nur aus Beiträgen der Mitglieder finanziert. Ihre neuen Anorak-Jacken im Splitter-Tarn hätten sich die ND-Mitglieder selbst gekauft. Doch Roman Tschernischow, Sprecher des Nationalen Korpus, einer von Asow-Führer Andrej Bilezki geführten Partei, erklärte gegenüber dem Hromadske Radio, dass die Nationalni Druschini sich über Spenden von Geschäftsleuten finanziert. Die Namen der Geschäftsleute wurden nicht genannt.
Zweifellos war der Marsch der neuen paramilitärischen Organisation am 28. Januar als Provokation geplant. Er sollte die Menschen in der Ukraine einschüchtern, die anderer Meinung sind wie die Nationalisten und Faschisten.
Wichtig für die Wirkung der Provokation war die mediale Aufbereitung. Das offizielle Video, professionell gemacht und in faschistischer Ästhetik, verstärkte noch einmal die Wirkung der Straßenaktion, die bei weitem nicht so bombastisch aussah wie im Werbe-Video.
Seit dem Brandanschlag und der anschließenden Stürmung des Gewerkschaftshauses von Odessa am 2. Mai 2014 ist klar geworden, dass die ukrainischen Rechtsradikalen bei den Menschen Angst und Ratlosigkeit erzeugen wollen. In Odessa ließen die rechten Angreifer bereitwillig zu, dass die brutalen Angriffe gegen die Menschen, die sich vor dem rechten Mob in das Gewerkschaftshaus geflüchtet hatten, von Video-Filmern in allen Details aufgenommen wurden (Video). Es gibt wohl weltweit keine einzige rechtsradikale Attacke, die so detailliert mit Videos dokumentiert wurde wie der Brand in Odessa.
Und es ist wohl auch keine Übertreibung wenn man sagt, dass die ukrainischen Nazis von der "Reichsprogromnacht" 1938 in Deutschland gelernt haben, nämlich, wie man mit nur wenig Gewaltbereiten Millionen Menschen in Angst und Schrecken versetzt und so zum Stillhalten zwingt.
Druckmittel gegenüber dem Westen
Angesichts der umherschwirrenden Gerüchte, wer nun hinter der Nationalni Druschini steht - etwa Innenminister Arsen Awakow? - sah sich dieser am 30. Januar veranlasst, persönlich Stellung zu nehmen. Wortgewaltig erklärte der Minister, es gäbe nur "ein Monopol der Gewalt - das ist das Staatsmonopol: Die nationale Polizei, die Nationalgarde, die Streitkräfte der Ukraine". Alle anderen paramilitärischen Vereinigungen seien "nicht gesetzlich". Auf die Frage von Journalisten, ob das Innenministerium mit der Nationali Druschini zusammenarbeiten werde, antwortete Awakow ausweichend, "das Ministerium arbeitet mit allen zusammen: Angefangen mit denen, die traurig und frierend vor der Werchowna Rada sitzen, bis hin zu denen, die in den Streitkräften dienen."
Viele wird Innenminister Awakow mit seiner Erklärung nicht überzeugt haben. Denn es ist bekannt, dass Awakow zahlreiche Rechtsradikale und ihre militärischen Einheiten in die Nationalgarde integriert hat. Wadim Trojan, ein ehemaliger Kommandeur des rechtsradikalen Asow-Bataillons, wurde stellvertretender Innenminister. Das Asow-Bataillon integrierte der Minister in die Nationalgarde. Da der Gründer und Leiter des Asow-Bataillons, Andre Bilezki, auch Gründer der Nationalni Druschini ist, scheint es naheliegend, dass der Innenminister auch hinter dem neuen Projekt Nationalni Druschini steckt.
Das regierungskritische Internet-Portal Strana.ua meinte, "entweder geht Bilezki (Gründer des ND, U.H.) schon seinen eigenen Weg, ohne den Schutz des Innenministers, oder Awakow tut nur so, als ob er an der Gründung der Straßen-Armee nicht beteiligt ist, aber in Wirklichkeit lenkt er den Prozess 'aus dem Schatten'".
Möglicherweise - so das Internet-Portal - nutze Awakow die Nationalni Druschini, um sowohl auf Präsident Poroschenko als auch auf den Westen Druck auszuüben. Die "Partei des Krieges" in der Ukraine könne so zeigen, dass in der Ukraine Niemand bereit ist zu Kompromissen mit Russland bezüglich des Minsker Abkommens.
Weiter schreibt Strana.ua, der Marsch durch Kiew habe wohl nicht zufällig zwei Tage nach einem Treffen zwischen den Ukraine-Beauftragten von Russland und den USA, Wladislaw Surkow und Kurz Volker, stattgefunden, bei denen angeblich eine Annäherung der Positionen erzielt wurde.
"Wenn die Macht ihre Legitimität verliert"
Was ist nun die strategische Aufgabe der Nationalni Druschini? Dazu äußert sich am 2. Februar in einem Interview mit dem ukrainischen Fernsehkanal ZIK, Sergej Korotkich. Der ehemalige Asow-Kommandeur ist nach eigenen Angaben kein Mitglied der ND, gilt aber als "grauer Kardinal" der neuen Organisation.
Viele ukrainische Männer seien von der Front in der Ost-Ukraine zurückgekehrt und hätten gesehen, dass es im Land jetzt "schlechter aussieht, als vor 2014", so Korotkich. Die Front-Rückkehrer würden sich jetzt in der ND organisieren. "Sie wollen selbst die Macht werden, um endlich Ordnung im Land zu schaffen." Weiter erklärte der Asow-E-Kommandeur: "Wenn die Macht die Legitimität verliert, verliert sie ihre Vollmachten." Für diesen Fall - so soll der Fernsehzuschauer offenbar schlussfolgern - stehe die Nationalni Druschini bereit, die Ordnung im Land aufrecht zu erhalten.
Das Faustfand, was die ND angeblich zusammenhält, sei nicht Geld von Sponsoren, so Korotkich. Die ND sei "einfach eine Vereinigung von Leuten, die eine Weltanschauung haben, die eine Überzeugung haben, die ziemlich diszipliniert und selbstorganisiert sind, um etwas Gutes zu machen".
Wenn Korotkich von Weltanschauung spricht, meint er nichts geringeres als ein "Zivilisationsprojekt, dass weiter gefasst ist als die Ukraine". Die Epoche des Liberalismus habe zur "Degradierung der europäischen Gesellschaft geführt". Korotkich geht es um ein "national-sozialistisches Projekt für die Ukraine und andere Länder".
Ein Rechtsradikaler aus Russland als Ideologe
Vielen National-Liberalen in der Ukraine ist Sergej Korotkich nicht geheuer. Der aus Russland stammende Rechtsextremist hat sich zwar als Mitglied des Asow-Bataillons mit Kampferfolgen in der Ostukraine beim ukrainischen Establishment Ansehen erworben. Am 5. Dezember 2014 wurde ihm vom ukrainischen Präsidenten persönlich ein ukrainischer Pass überreicht (Foto). Doch man stößt in der Biographie von Korotkich auf einige Fakten, die bei ukrainischen Rechts-Intellektuellen ein ungutes Gefühl hinterlassen.
Der Weißrusse Sergej Korotkich (Tarnname "Maljuta") erhält von Poroschenko einen ukrainischen Pass. Bild: Fonsk.ru
Korotkich wurde im russischen Samara geboren, siedelte dann aber mit seinen Eltern nach Weißrussland über. Nach dem Militärdienst war er zwei Jahre an einer KGB-Schule, wurde dort aber gefeuert, weil er Kontakte zu Rechtsextremisten hatte.
Korotkich war Mitglied der rechtsradikalen Organisation Russische Nationale Einheit (RNE). In den 2000er Jahren war er in Russland Mitglied der Nationalsozialistischen Gemeinschaft (NSO). In Russland lief ein Ermittlungsverfahren gegen den Rechtsradikalen, wegen einem Anschlag auf dem Moskauer Manege-Platz.
2014 schloss sich Korotkich dem ukrainischen Freiwilligen-Bataillon Asow an, wo er die Abteilung "Aufklärung" leitete. Dann wechselte Korotkich in den ukrainischen Staatsdienst. Er wurde Mitglied der Nationalen Polizei und Leiter einer Abteilung zum Schutz strategischer Objekte im Gebiet Odessa. Seinen Posten bei der Nationalen Polizei habe er verlassen, erzählt er im Interview. Er sei enttäuscht gewesen, da die "Sicherheitskräfte im Land degradieren".
Korotkich behauptet, die Nationalni Druschini bekomme kein Geld vom Staat. Die ukrainischen Oligarchen, die selbst Privatarmeen haben, seien aber jetzt "besorgt", weil sie mit der Nationalni Druschini Konkurrenz bekommen hätten. Doch die ND als wirksame Waffe gegen die Herrschaft der ukrainischen Oligarchen darzustellen, scheint mehr eine geschickte PR-Strategie zu sein, mit der die ND sich als sozial und ausschließlich an den Interessen der Ukrainer orientierte Kraft darzustellen versucht.
Polizei schaut zu, wie die Nationalni Druschini einen Stadtrat besetzt
Seit dem Marsch der 600 in Kiew wird im ukrainischen Internet intensiv über die Bedeutung der Nationalni Druschini diskutiert. Eine Schlüsselfrage ist, ob die neue Organisation mit der Polizei zusammenarbeiten wird oder nicht.
Für die These, dass die ND mit der Polizei nicht zusammenarbeitet, schien ein Vorfall im Dezember 2017 zu sprechen. Damals kam es zu einem Konflikt zwischen ND-Mitgliedern und der Polizei, als ND-Mitglieder das Restaurant "Metropol" in der südukrainischen Stadt Krementschuk blockierten, weil es angeblich ohne Genehmigung gebaut wurde. Als die Polizei versuchte, einige Blockierer festzunehmen und dabei auch Tränengas einsetzte, kam es zu einem heftigen Gerangel.
Für die Gegenthese, dass die Nationalni Druschini mit der Polizei zusammenarbeitet, spricht ein Vorfall vom 29. Januar 2018, als im südukrainischen Tscherkassk ND-Mitglieder in eine Sitzung des örtlichen Stadtrates eindrangen, sich zwischen die Tischreihen drängten und die Abgeordneten zwangen (Video), unverzüglich den Haushalt der Stadt zu verabschieden. Der Verabschiedung des Haushaltes hatte sich durch einen Streit zwischen zwei Flügeln in der örtlichen Elite über Wochen verzögert, so dass es schon zu Störungen bei den kommunalen Versorgungseinrichtungen kam.
Die Besetzer von der Nationalni Druschini erreichten mit ihrer Aktion - bei der vier Personen verletzt worden sein sollen - , dass die Abgeordneten den Haushalt verabschiedeten und anschließend den Stadtrat auflösten.
Abgeordnete, die versuchten, die Stadtratssitzung zu verlassen, wurden von den Besetzern mit Gewalt daran gehindert. Die Polizei schritt nicht ein. Das ND brüstete sich später mit einer erfolgreichen Aktion. Doch im ukrainischen Internet äußerten sich viele Bürger besorgt darüber, dass der Staat immer mehr seine Autorität verliere.
Journalist Kotsaba: "Der Staat hat seine Macht mit den paramilitärischen Gruppen geteilt"
Das plötzlich massive Auftreten der Nationalni Druschini hat zweifellos etwas mit der zunehmenden Zerrüttung der sozialen und politischen Verhältnisse in der Ukraine zu tun. Für den Westen, der die Ukraine seit 2014 massiv unterstützt hat, gibt es das Problem, dass der amtierende Präsident Petro Poroschenko nur noch eine sehr geringe Popularität hat und ein möglicher neuer Kandidat mit guten Chancen für die Präsidentschaftswahlen 2019 nicht in Sicht ist.
Das Image von Präsident Poroschenko ist stark beschädigt durch seine Offshore-Geschäfte, die durch die Panama-Papers aufgedeckt wurden, sowie seinen geheim gehaltenen Luxus-Urlaub auf den Malediven in der ersten Januar-Woche. Die Pacht einer kompletten Insel für die Familie Poroschenko kostete schlappe 400.000 Euro. Da die Menschen in der Ukraine immer ärmer werden, lassen sich solche Eskapaden nicht mehr vermitteln. Auch die Popularitätsrate von Julia Timoschenko kommt nicht über 20 Prozent hinaus. Michail Saakaschwili kann nicht bei der Präsidentschaftswahl kandidieren, da Poroschenko ihm die Staatsbürgerschaft entzogen hat. Um zu verhindern, dass nicht-nationalistische Oppositionelle von der Machtkrise profitieren, könnte nun die Nationalni Druschini als Schlägertruppe gegen Andersdenkende zum Einsatz kommen, so die Vermutung des Autors.
Das Ziel einer "Machtteilung" zwischen dem Staat und den "paramilitärischen Nazi-Verbänden" sei es, mit noch mehr Repression "gegen Andersdenkende und Journalisten vorzugehen, die kritisch zur Macht stehen," meint in einem Kommentar für den Politnavigator der regierungskritische ukrainische Fernsehjournalist Ruslan Kotsaba, gegen den ein Strafverfahren wegen Landesverrat läuft.
Für die Demokraten und die Oppositionellen in der Ukraine ist die kritische Aufmerksamkeit des Auslands jetzt besonders wichtig.
Ulrich Heyden
veröffentlicht in:Telepolis