30. June 2010

Verhaftete Spione: Moskau will von Agenten nichts wissen

Bei dem in den USA aufgedeckten angeblichen Agentenring mit elf Mitgliedern handele es sich um "Betrüger", meint der ehemalige Direktor des russischen Inlandsgeheimdienstes, Nikolai Kowaljow. Dennoch, die Sensation ist perfekt - ein so großes Agentennetz wurde seit dem Kalten Krieg nicht mehr ausgehoben.

Moskau. "Für mich ist das eine totale Überraschung. In unserer Straße leben Russen, aber ich hätte niemals gedacht, dass das nicht gewöhnliche Studenten sind, sondern Spione." So wie Tatjana Day äußerten sich gleich mehrere von dem russischen Fernsehsender Pervi Kanal befragte Personen, die in Nachbarschaft zu den am Sonntag vom FBI verhafteten russischen Agenten lebten.

In gutbürgerlichen Wohngegenden hatte das FBI zeitgleich in den vier nordöstlichen Bundesstaaten New York, New Jersey, Massachusetts und Virginia zehn Personen verhaftet, die für Russland spioniert haben sollen. Sie stammen aus den USA, Kanada, Peru und Russland. Ein elfter Verdächtiger wurde auf Zypern verhaftet.

Moskau erklärt, dass es von der angeblichen Agentengruppe überhaupt nichts weiß. Hinter der Verhaftung stecken "unschöne Ziele", erklärte das russische Außenministerium. Der ehemalige Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB, Nikolai Kowaljow, wurde deutlicher. Die Verhaftungen seien "ein Schlag gegen den Neustart in den russisch-amerikanischen Beziehungen". Unklar sei, warum man die Agenten-Gruppe jahrelang beschattet habe und gerade jetzt verhafte. Bei dem ganzen Skandal handelt es sich nach Meinung von Kowaljow um einen "billigen Krimi" und "völligen Unsinn". Eine russische Reaktion - etwa einen Agenten-austausch - werde es nicht geben. Alle seien US-Bürger.

Tatsächlich wirkt die Verhaftung einer derart großen Agentengruppe nur vier Tage nach dem freundschaftlichen Treffen von Medwedew und Obama in dem Burger-Restaurant von Arlington wie ein kalter Hauch aus den 1950er Jahren.

Viele Fragen bleiben offen. So wird zum einen gemeldet, die Agenten hätten die Aufgabe gehabt, wie ganz normale Amerikaner zu leben, in gutbürgerlichen Vierteln mit einer Ehefrau und Kindern. In sicherheitssensible Bereiche sollten die Agenten offenbar nicht vordringen. Sie sollten Informationen zur amerikanischen Politik gegenüber dem Iran und Afghanistan sowie zur Entwicklung am US-Goldmarkt sammeln, Informationen also, die auch Journalisten beschaffen können. Nun wird gegenüber den Verhafteten aber auch der Vorwurf der Geldwäsche erhoben. Es fragt sich, wozu sich die gut getarnten Spione mit solchen Geschäften in Gefahr gebracht haben sollten.

"Ihre Ausbildung, Bankkonten, Auto, Haus - all dies dient einem Ziel: ihre Hauptmission zu erfüllen, das heißt Verbindungen in politische Kreise in den USA aufzutun und zu entwickeln." Diese angebliche Geheimbotschaft aus Moskau wurde vom FBI 2009 entschlüsselt. Schwer vorstellbar ist, dass die russische Auslandsaufklärung (SWR) solche Banalitäten heutzutage schriftlich übermittelt. Kurios wirkt auch, dass die angeblichen Agenten Geheimtinte benutzten und angeblich in Erdverstecken nach Geld gegraben haben.

Russlands Auslandsgeheimdienst

In einer Selbstbeschreibung im Internet bezeichnet sich der SWR als "modernen Spezialdienst mit talentierten, zielorientierten Mitarbeitern, die dem Vaterland und der militärischen Pflicht gegenüber treu sind". Hauptziel ist es demnach, "frühzeitig Gefahren für die nationale Sicherheit" aufzudecken. Im vor- läufigen Verfassungsschutzbericht 2009 sind dem SWR und den anderen russischen Geheimdiensten mehrere Seiten gewidmet. Dort heißt es, der SWR betreibe "Auslandsaufklärung in den Bereichen Politik, Wirtschaft sowie Wissenschaft und Technologie" und forsche "Ziele und Arbeitsmethoden westlicher Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden aus".
Dem Bericht zufolge hat der SWR mehr als 13 000 Mitarbeiter und ist auch in Deutschland "stark vertreten". Seine Agenten seien häufig als Diplomaten oder Journalisten getarnt. Größter Stützpunkt hierzulande sei die russische Botschaft in Berlin.

Der SWR ging, wie der Inlandsgeheimdienst FSB, mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 aus dem KGB hervor. Der wohl bekannteste Mitarbeiter war der heutige russische Regierungschef Wladimir Putin, der von 1985 bis 1990 in Dresden eingesetzt war.

"Thüringer Allgemeine"

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