1. September 2009

Versöhnliche Töne von Putin

Er könne die Gefühle der Polen am 1. September 1939 und zum Fall Katyn verstehen, hat Russlands Premier Putin in einem Text für die Zeitung „Gazeta Wyborcza“ erklärt

Ulrich Heyden, Moskau

An den heutigen Gedenkfeiern in Danzig, mit denen an den deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 erinnert wird, nimmt auch Russlands Regierungschef teil. Kurz zuvor hatte Wladimir Putin gegenüber Warschau einen versöhnlichen Ton angeschlagen. Einen Kniefall vor den polnischen Opfern des Stalinschen Terrors gab es zwar nicht, doch erklärte der Premier in einem für die Zeitung Gazeta Wyborcza verfassten Artikel, er könne die Gefühle der Polen, besonders zum Fall Katyn, „sehr gut verstehen“.

Im Frühjahr 1940 waren in einem Birkenwald nicht weit von dem Ort Katyn 20.000 polnische Offiziere von sowjetischen Soldaten erschossen worden. Schon Präsident Gorbatschow hatte 1990 – auf dem Höhepunkt der Perestroika – die sowjetische Alleinschuld für den Tod dieser Polen anerkannt. Den deutsch-russischen Nichtangriffspakt vom August 1939, dem die Besetzung von Ost-Polen durch sowjetische Truppen folgte, hatte der Kongress der Volksdeputierten ebenfalls 1990 als Alleingang Stalins verurteilt. Weitere Entschuldigungen seien nicht nötig, hieß es bis heute aus Moskau. Doch der Fall „Katyn“ vergiftete weiter die Beziehungen zwischen Polen und Russland, was auch daran lag, dass die Moskauer Militärstaatsanwaltschaft die Untersuchungen 2005 mit der Erklärung einstellte, ein Massenmord an Polen könne nicht festgestellt werden. Bis heute hält der Kreml einen Teil der Akten zu diesem Fall unter Verschluss. Dass Putin nun erklärt, er könne die Gefühle der Polen „verstehen“, gibt zu der Hoffnung Anlass, dass an die Stelle gegenseitiger Vorwürfe zur Schuld am Kriegsbeginn nun die gemeinsame Arbeit von Historikern tritt, die dann möglicherweise zu einer Versachlichung der Debatte um die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg führt.

Zweierlei Maß

In seinem Beitrag für Gazeta Wyborcza schlägt der russische Regierungschef auch harte Töne an. Im Westen werde zur Zeit an Geschichtsmythen gearbeitet und der Nichtangriffspakt mit Deutschland von 1939 aus dem Zusammenhang gerissen. Es sei nicht zulässig, wenn behauptet werde, dieser Vertrag sei das „Start-Signal“ zum Zweiten Weltkrieg gewesen. Es gäbe in der öffentlichen Debatte über den Zweiten Weltkrieg Ereignisse, die heute wenig Aufmerksamkeit fänden, aber der Beweis dafür seien, dass der Westen mit zweierlei Maß messe.

Diejenigen, die von Russland ein Schuldeingeständnis zum Kriegsbeginn fordern, würden sich – so der russische Premier - nicht die „elementare Frage“ stellen, welche „Mine mit Langzeitwirkung“ der nach dem Ersten Weltkrieg geschlossene Friedensvertrag von Versailles gewesen sei, der Deutschland zu einem großen Gebietsverzicht und einem massiven Abbau des Rüstungspotentials verpflichtete. In Versailles sei 1919 nicht nur die Niederlage, sondern die „Erniedrigung Deutschlands“ festgeschrieben worden. Außerdem hätten sich Ende der dreißiger Jahre nicht nur Deutschland, sondern auch Ungarn und Polen an der territorialen Neuaufteilung Europas beteiligt. Nach dem Münchner Abkommen vom September 1938 habe Polen Prag ein Ultimatum gestellt und das Gebiet von Teschen in der Tschechoslowakei militärisch besetzt.

Drohender Zwei-Fronten-Krieg

„Heute verstehen wir“ - so Putin - „dass jede Form eines Abkommens mit dem nazistischen Regime unzulässig war und vom moralischen Standpunkt aus keine Perspektive hatte“. Allerdings habe die Sowjetunion damals „allein gegen Deutschland gestanden“, weil die Westmächte nicht bereit gewesen seien, ein gemeinsames System der kollektiven Sicherheit für Europa aufzubauen. Zudem verschärften sich die Spannungen zwischen Japan und der Sowjetunion, womit der Sowjetunion ein Zwei-Fronten-Krieg drohte. Vor diesem Hintergrund habe es die sowjetische Diplomatie „nicht für klug“ gehalten, das Angebot Deutschlands zu einem Nichtangriffsvertrag abzulehnen. Die Lehre aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen sei, dass es nicht möglich sei, auf dem Kontinent „ein effektives System der kollektiven Sicherheit ohne Teilnahme aller Länder, inklusive Russland“ zu schaffen.

Der versöhnliche Ton den Putin trotz einzelner Spitzen anschlägt, hängt möglicherweise damit zusammen, dass die USA von ihren Raketenabwehrplänen in Polen und Tschechien Abstand nehmen will, dies zumindest berichtete die Gazeta Wyborzca. Das US-Außenministerium dementierte allerdings deren Bericht.

veröffentlich in: "Der Freitag"

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