In seinem Beitrag für Gazeta Wyborcza schlägt der russische Regierungschef auch harte Töne an. Im Westen werde zur Zeit an Geschichtsmythen gearbeitet und der Nichtangriffspakt mit Deutschland von 1939 aus dem Zusammenhang gerissen. Es sei nicht zulässig, wenn behauptet werde, dieser Vertrag sei das „Start-Signal“ zum Zweiten Weltkrieg gewesen. Es gäbe in der öffentlichen Debatte über den Zweiten Weltkrieg Ereignisse, die heute wenig Aufmerksamkeit fänden, aber der Beweis dafür seien, dass der Westen mit zweierlei Maß messe.
Diejenigen, die von Russland ein Schuldeingeständnis zum Kriegsbeginn fordern, würden sich – so der russische Premier - nicht die „elementare Frage“ stellen, welche „Mine mit Langzeitwirkung“ der nach dem Ersten Weltkrieg geschlossene Friedensvertrag von Versailles gewesen sei, der Deutschland zu einem großen Gebietsverzicht und einem massiven Abbau des Rüstungspotentials verpflichtete. In Versailles sei 1919 nicht nur die Niederlage, sondern die „Erniedrigung Deutschlands“ festgeschrieben worden. Außerdem hätten sich Ende der dreißiger Jahre nicht nur Deutschland, sondern auch Ungarn und Polen an der territorialen Neuaufteilung Europas beteiligt. Nach dem Münchner Abkommen vom September 1938 habe Polen Prag ein Ultimatum gestellt und das Gebiet von Teschen in der Tschechoslowakei militärisch besetzt.
Drohender Zwei-Fronten-Krieg
„Heute verstehen wir“ - so Putin - „dass jede Form eines Abkommens mit dem nazistischen Regime unzulässig war und vom moralischen Standpunkt aus keine Perspektive hatte“. Allerdings habe die Sowjetunion damals „allein gegen Deutschland gestanden“, weil die Westmächte nicht bereit gewesen seien, ein gemeinsames System der kollektiven Sicherheit für Europa aufzubauen. Zudem verschärften sich die Spannungen zwischen Japan und der Sowjetunion, womit der Sowjetunion ein Zwei-Fronten-Krieg drohte. Vor diesem Hintergrund habe es die sowjetische Diplomatie „nicht für klug“ gehalten, das Angebot Deutschlands zu einem Nichtangriffsvertrag abzulehnen. Die Lehre aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen sei, dass es nicht möglich sei, auf dem Kontinent „ein effektives System der kollektiven Sicherheit ohne Teilnahme aller Länder, inklusive Russland“ zu schaffen.
Der versöhnliche Ton den Putin trotz einzelner Spitzen anschlägt, hängt möglicherweise damit zusammen, dass die USA von ihren Raketenabwehrplänen in Polen und Tschechien Abstand nehmen will, dies zumindest berichtete die Gazeta Wyborzca. Das US-Außenministerium dementierte allerdings deren Bericht.