17. November 2021

Warum berichten deutsche Korrespondenten nicht aus den Flüchtlingslagern in Weißrussland? (Krass und Konkret)

Flüchtlingskinder an der belarussisch-polnischen Grenze. Bild: Veronika Vishnyakova / RBC
Foto: Flüchtlingskinder an der belarussisch-polnischen Grenze. Bild: Veronika Vishnyakova / RBC

CNN oder BBC bringen Reportagen über die Lage der Flüchtlinge an der polnisch-weißrussischen Grenze. Die Bundesregierung ist für Abwehr der Flüchtlinge und gegen den „Erpresser“ Lukaschenko. Unterstützen ARD und ZDF die Position durch Vermeidung von Bildern?

Der deutsche Außenminister Heiko Maas kämpft mit Sanktionen gegen „den Verbrecher Lukaschenko“. Was mit den Flüchtlingen in Weißrussland wird, scheint ihm egal zu sein. Aufnehmen will er sie auf keinen Fall. Sogar eine fünf Meter hohe Mauer der Polen an der Grenze zu Weißrussland findet er akzeptabel. Und damit bei den Menschen in Deutschland kein Mitgefühl entsteht, bringt die ARD keine Reportagen mit den traurigen Augen von Flüchtlingskindern, die sich in einem kalten weißrussischen Wald an Lagerfeuern wärmen.

Heiko Maas hat die Flüchtlinge in Weißrussland abgeschrieben. „Ich würde dafür plädieren, dass die Menschen, die dort sind (…) in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden“, erklärte Deutschlands Außenminister am Montag nach Beratungen mit Außenministern der EU in Brüssel. Man sehe, dass Menschen mit Flugtickets nach Belarus fliegen. „Diejenigen, die politisches Asyl bekommen, haben meistens andere Wege, die sie nehmen müssen“, sagte Maas. Eine Verpflichtung für Deutschland, die Flüchtlingen in den Wäldern von Weißrussland unbürokratisch zu helfen, sieht er nicht.

Die Haltung von Maas geht sogar der Tagesschau-Kommentatorin zu weit, die schreibt: „Zynisch muss es deshalb in ihren (der Flüchtlinge) Ohren klingen, wenn der noch amtierende deutsche Außenminister Heiko Maas ihnen vorhält, dass diejenigen, die sonst politisches Asyl erhalten, meistens auf anderen Wegen kommen. Also nicht einfach ein Flugticket lösen. Das war kein Beispiel für eine auf humanitären Werten fußende Außenpolitik, die Deutschland sonst gern hochhält.“

Wenn Heiko Maas sich in seiner kaltschnäuzigen Art den Positionen der AfD annähert, schreckt das die Anhänger einer humanen Flüchtlingspolitik. Und es finden sich in diesen Tagen beachtliche Reportagen über die Lage der Flüchtlinge an der weißrussischen-polnischen Grenze in deutschen Zeitungen, wie hier  in der Süddeutschen ein Bericht über polnische Helfer, die in der Nähe der vom polnischen Militär gesperrten „Roten Zone“ entlang der Grenze Flüchtlingen, die es über die Grenze geschafft haben, helfen, sowie hier ein Bericht in der Hamburger Morgenpost über eine Reise der Bundestagsabgeordneten und Landessprecherin der Linken in Hamburg, Zaklin Nastic, die darüber berichtet, was sie entlang der „Roten Zone“ erlebt hat.

CNN berichtet von der weißrussischen Seite

Auffällig ist jedoch, dass die deutschen Medien mit der größten Reichweite in Deutschland, wie „Tagesschau“ und ZDF, seit Tagen keine Live-Berichte und Reportagen aus den Flüchtlingslagern auf der weißrussischen Seite der polnischen Grenze bringen.

Die deutschen Medien berichten fleißig über, aber nicht aus Weißrussland. Das ist höchst merkwürdig. Denn auf der weißrussischen Seite der polnischen Grenze berichten auch ein CNN-Reporter und BBC-Reporter (auch hier)  sowie russische Korrespondenten, unter anderem von dem Wirtschaftsportal RBK und dem staatlichen Kanal Rossija.

Doch deutsche Korrespondenten scheint es in diesen Tagen auf der weißrussischen Seite der polnischen Grenze nicht zu geben. Das ZDF und die ARD problematisieren die Tatsache nicht, dass sie keine Reportagen aus den Flüchtlingslagern in  Weißrussland bringen. Aber ZDF und ARD verbreiten zahlreiche Gerüchte und Behauptungen über weißrussische Soldaten, die angeblich Flüchtlingen bei der Flucht nach Polen helfen oder Flüchtlinge angeblich mit Seitenschneidern (ZDF) oder Laserstrahlern (ARD) ausrüsten. Weißrussische Soldaten beteiligen sich nach einem ARD-Bericht angeblich auch an der Zerstörung polnischer Grenzanlangen. Diese Behauptung stellten polnische Grenzbeamte auf und die ARD gab sie ungeprüft wieder.

Die Behauptungen über weißrussische Soldaten werden von deutschen Fernsehsendern auch aufgestellt, ohne dass man Namen nennt von verantwortlichen weißrussischen Grenzschützern oder Foto- und Video-Beweise für die aufgestellten Behauptungen vorlegt.

Bloß nicht zu viel Mitleid mit den Flüchtlingen!

Das Fehlen von ARD- und ZDF-Reportagen aus dem Flüchtlingslager in Weißrussland hat meiner Meinung nach zwei Gründe. Zum einen will man den moralischen Druck auf die Bundesregierung nicht erhöhen, denn die Bilder von Frauen und Kindern, die zusammen mit ihren Männern um Lagerfeuer sitzen, um sich in einem kalten weißrussischen Wald zu wärmen, würden bei vielen Bürgern die Frage aufwerfen: Können wir da nicht unbürokratisch helfen?

Vorbildlich hat sich in dieser Hinsicht die Bürgermeisterin von München, Verena Dietl, verhalten, die den Flüchtlingen aus Weißrussland Aufnahme in der bayerischen Landeshauptstadt angeboten hat .

Nein, wir können diese Flüchtlinge nicht aufnahmen, erklärt Heiko Maas am Montagabend im „Tagesschau“-Interview. „Diese Menschen werden instrumentalisiert. Wir dürfen dem nicht nachgeben. Die EU wird sich von dem Verbrecher Lukaschenko nicht erpressen lassen. Die Menschen (Flüchtlinge) müssen zurückgehführt werden. Der Irak hat damit begonnen.“

Auf die Frage, was er davon hält, dass Polen einen fünf Meter hohe Mauer an seiner Ostgrenze errichten will, erklärt der noch-Außenminister: „Mauern sind nichts Schönes. Aber Zuwanderung muss geordnet sein. (…) Wir müssen die Aufnahmebereitschaft in Deutschland aufrechterhalten und das geht nur in geordneten Verfahren.“

Dass Mauern die EU hermetisch abriegeln, so dass Flüchtlinge gar keinen Asyl-Antrag mehr stellen können, hat der gelernte Jurist Maas kühl einkalkuliert.

Heiko Maas: Lukaschenko verhindert Hilfe für Flüchtlinge

Doch trotzdem versucht der deutsche Außenminister, sich als jemand hinzustellen, der sich um die Flüchtlinge in Weißrussland sorgt. So klagt Maas: „In Weißrussland wird Flüchtlingsorganisationen verweigert, bessere Unterkünfte für die Flüchtlinge zu bauen.“ Tatsächlich hat die weißrussische Regierung kein Interesse an der Einrichtung eines festen Lagers an seiner Westgrenze. Doch ohne die Hilfe der weißrussischen Regierung ginge es den Flüchtlingen viel schlechter. Sie werden von der der weißrussischen Regierung verpflegt, sie bekommen Schlafsäcke und medizinische Hilfe. Und was tut Deutschland für die Flüchtlinge in Weißrussland? Absolut nichts. Vor diesem Hintergrund wirken die Vorwürfe von Maas mehr als heuchlerisch.

Wer sich über die Lage in den weißrussischen Flüchtlingslagern entlang der polnischen Grenze informieren will, der kann sich auf dem Portal des russischen Wirtschaftsportals RBK Reportagen und Videos der Journalistin Veronika Wischnjakowa und von Video-Blogger pridybaylo anschauen.

ARD und ZDF haben einen öffentlichen Auftrag, die Bevölkerung über Brennpunkte in Europa zu informieren. Doch über Weißrussland berichten die beiden Sender nur von ihren Hauptstadtstudios in  Berlin.

Erinnerungen an Odessa 2014

Mich erinnert dieses Verhalten des deutschen Fernsehens an den 2. Mai 2014 in Odessa. Da brannte das Gewerkschaftshaus. 42 Regierungskritiker, die sich in das Gebäude geflüchtet hatten, starben, nachdem ein nationalistischer Mob das Gewerkschaftshaus angesteckt hatte. Die Täter und ihre Hintermänner wurden bis heute nicht ausfindig gemacht. Sie laufen frei herum. Es gab keinen Gerichtsprozess.

Damals behandelte das deutsche Fernsehen und andere große Medien das Thema Odessa gar nicht oder nur am Rande, denn es hätte ja „Putin genützt“. Genauso ist es auch heute. Man zeigt keine Reportagen aus den weißrussischen Wäldern und keine traurigen Gesichter von Flüchtlingskindern, die dort mit ihren Eltern vor der polnischen Grenze campieren, weil das dem „Drahtzieher“ Putin und dem „Erpresser“ Lukaschenko nützen könnte. Wer RT.de unaufhörlich „Propaganda“ vorwirft, sollte sich lieber an die eigene Nase fassen.

veröffentlicht in: Krass und Konkret  

 

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