"Wir sind Kinder furchtbarer Jahre"
70 Prozent der Schlüsselpositionen in Russland sind heute von Geheimdienstlern besetzt. Doch Wladimir Putin hat nicht die volle Kontrolle.
Seit Putin in Russland die Macht übernommen hat, ist der Anteil der Geheimdienstler in führenden staatlichen Positionen auf 70 Prozent gestiegen, meint die Forscherin Olga Kryschtanowskaja. Doch in dem riesigen Apparat mit seinen vielen Unterabteilungen krachte es in den letzten Wochen heftig. Das provoziert die Frage, inwieweit Putin seine Dienste unter Kontrolle hat.
Zwischen zwei Diensten schwelt seit Wochen ein heftiger Konflikt. Bisheriger Höhepunkt war die Verhaftung des Vize-Chefs der Drogen-Kontrolle, General Aleksandr Bulbow, durch eine bewaffnete Einheit des Inlandgeheimdienstes FSB auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo. Der Verhaftete erklärte, die Festnahme sei ein Akt der "Rache und Angst" hoher FSB-Beamter. Bei der Verhaftung wäre es fast zu einer Schießerei zwischen den Männern der beiden Dienste gekommen. In Zukunft drohen bewaffnete Konflikte zwischen verschiedenen Abteilungen des Geheimdienstes, erklärten drei ehemalige russische Agenten, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben wollten, gegenüber der Zeitung "Moscow Times". Die Auseinandersetzungen entzünden sich offenbar an illegalen Nebengeschäften der Geheimdienstler, etwa dem Schutz von Schmuggelgeschäften.
Bulbow wird vorgeworfen, er habe unerlaubt Telefone in der Affäre um die Möbel-Firma "Tri Kita" abgehört. Darin sind hohe FSB-Beamte verwickelt. Wie die drei anonymen Informanten berichteten, ringen die Clans im Geheimdienst um das Vertrauen von Putin. Dieser könne nur unabhängig bleiben, wenn er die Gruppen in einer Machtbalance halte. Sprecher des Kreml und des FSB bestritten, dass es einen Konflikt der Dienste gibt.
Die Schmuggel-Affäre um "Tri Kita" bekam in den letzten Tagen neue Nahrung durch Äußerungen von Mit-arbeitern des staatlichen Ermittlungskomitees gegenüber "Kommersant". Das von Putin neugegründete Komitee hatte den Fall des 2003 an einer mysteriösen Vergiftung verstorbenen Star-Journalisten der "Nowaja Gaseta", Juri Schekotschichin, neu aufgerollt. Dabei hatte man festgestellt, dass dessen Krankengeschichte der von Aleksandr Litwinenko, dem im London an einer Plutonium-Verstrahlung verstorbenen einstigen FSB-Offizier, gleicht. Bei Schekotschichin gab es die gleichen Krankheitssymptome, die Haare fielen aus und die Haut löste sich ab. Doch im Juli 2003 diagnostizierten Moskauer Ärzte eine Vergiftung, wie zunächst auch ihre Londoner Kollegen im November, die im Fall Litwinenko zunächst eine Vergiftung mit Tallium diagnostizierten.
Der Skandal um "Tri Kita" sorgt in Moskau immer wieder für Schlagzeilen. Erst vor einem Jahr waren mehrere hohe Geheimdienstler wegen des Skandals entlassen worden, ohne dass die Öffentlichkeit etwas über die Hintergründe erfuhr. Nach der Verhaftung Bulbows ging der Chef der Drogen-Kontrolle Viktor Tscherkassow an die Öffentlichkeit. In einem "Kommersant"-Artikel verteidigte er seine Behörde. Putin reagierte sauer. Öffentliche Stellungnahmen von Geheimdienstbeamten seien "nicht in Ordnung". Wenn jemand "vom Krieg der Geheimdienste" spreche, müsse er erst mal zeigen dass er selbst "tadellos" ist.
Trotz des Tadels machte der Kreml-Chef den Artikel-Schreiber kurz darauf zum Chef eines neuen Anti-Drogen-Komitees. Doch Eingeweihte meinten, der Ernennung könne bald eine Abberufung folgen. Der Streit unter den Diensten beunruhigt auch die KGB-Veteranen. Der Ex-Vorsitzende des KGB, Wladimir Krjutschkow, rief seine Kollegen auf, die Konfrontation einzustellen. Solche Auseinandersetzungen dienten nur "destruktiven Kräften". Erstaunlich ist, dass der Konflikt zwischen den Geheimdienstabteilungen ein Streit zwischen Vertrauten Putins ist. Der Chef der Drogen-Kontrolle, Viktor Tscherkassow, und FSB-Chef Nikolai Patruschew kommen beide aus St. Petersburg. Putin hatte sie 1998 nach Moskau geholt.
Der Chef der Drogen-Kontrolle deutete im "Kommersant"-Artikel an, welchen Gewissensqualen Geheimdienstler ausgesetzt sind. "Der, der feststellt, das seine wahre Berufung im Business liegt, soll sich eine andere Umgebung suchen." Mit diesem Appell war der Chef der Drogen-Polizei wohl auch um das eigene Image bemüht. "Wir sind Kinder furchtbarer Jahre in Russland", zitiert er einen russischen Dichter und deutet damit an, vor welchen Herausforderungen so manch ehrlicher Tschekist in den 90er-Jahren stand, als nur unregelmäßig Gehälter gezahlt wurden und überall neue Firmen entstanden. Nicht alle Mitarbeiter hätten es da geschafft, sauber zu bleiben. Manch einer ließ sich auf Nebengeschäfte ein.
Doch das Image des FSB leidet nicht nur an den Nebengeschäften einiger Mitarbeiter, sondern dass man es nicht schaffte, große Terrorakte, wie die Geiselnahmen in Beslan und im Nord-Ost-Musical-Theater in Moskau, zu verhindern. Dass es im FSB nicht immer mit rechten Dingen zugeht, zeigt auch der Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja. Offenbar hatte das Mordkommando die Wohnadresse der Journalistin von einem Geheimdienstmann erhalten.
"Thüringer Allgemeine"