19. August 2010

Wladimir Putin - Meister im Löschen

Er kann Flugzeuge so gut steuern wie Medien und Unangenehmes vergessen machen. In der Waldbrandkatastrophe hat sich der russische Regierungschef als „guter Zar“ behauptet.

VON ULRICH HEYDEN, MOSKAU

Als Wladimir Putin Ende Juli in dem kleinen Dorf Werchnjaja Wereja im Gebiet Nischni Nowgorod mit Bürgern sprechen wollte, deren Häuser niedergebrannt waren, hatte er keinen leichten Stand. Putin, der es bei öffentlichen Auftritten gewohnt ist, dass er ehrfürchtig oder begeistert beklatscht wird, fand sich von wütenden Frauen umringt.

„Sie machen nichts, Sie brauchen nichts zu versprechen“, schrie eine von ihnen. Eine andere Obdachlose rief: „Wir baten Sie um Hilfe. Warum haben Sie nichts getan?“ Der Regierungschef kam kaum zu Wort, seine Leibwächter führten ihn schnell weiter. Ein Video dieses „Bürgergesprächs“ tauchte später im kritischen Internetjournal „Lifenews“ auf.

Der Protest der Waldbrandopfer erinnert an die zugespitzte Situation 2005, als in Russland Zehntausende Rentner gegen die Kürzungen sozialer Vergünstigungen auf die Straße gingen. Auch da schlug Putin harscher Protest entgegen. Die Popularität des damaligen Präsidenten sackte nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Fom auf 43 Prozent, der niedrigste Wert, den Putin je erreichte. Von diesem Tiefpunkt hat sich der stärkere der beiden starken Männer in Russland mit Popularitätswerten über 60 Prozent zwar schnell wieder erholt. Doch im ersten Halbjahr dieses Jahres brachen Putin und Präsident Dimitri Medwedjew abermals in der Gunst des Publikums ein – schon vor der Brandkatastrophe. Wie das staatliche Meinungsforschungsinstitut VZIOM ermittelte, sank die Zustimmung zu Putin seit Jahresbeginn von 53 auf 47 Prozent. Medwedjew sackte nach der Umfrage von 44 auf 39 Prozent ab.

Dieser Popularitätsverlust hängt offensichtlich mit den Auswirkungen der Finanzkrise zusammen, die immer noch für Lohneinbußen und Kurzarbeit sorgt. Die soziale Sicherheit und der Kampf gegen den Terrorismus, das sind die beiden wichtigsten Themen, mit denen Putin bei der Bevölkerung punkten kann. Wenn es in diesen beiden Bereichen kriselt, gerät er in Schwierigkeiten.

Lauter Versprechen

Das Treffen mit den Frauen aus dem Dorf Werchnjaja Wereja dürfte dem Ex-Spion zu denken gegeben haben. Denn seitdem hat der Ministerpräsident auffallend häufig Kontakt zu Brandopfern und Feuerwehrleuten gesucht. Putin ließ sich sogar auf die Kritik eines anonymen Bloggers ein. Der Internetnutzer mit dem Namen „top_lap“ hatte sich in einem Blog darüber beschwert, dass es in seinem Dorf weder eine Feuerglocke geschweige denn einen Löschteich oder ein Feuerwehrauto gebe. Bei den Kommunisten sei das anders gewesen.

Solche Klagen sind durchaus typisch für die russische Provinz, wo die Feuerwehr entweder noch mit sehr altem Gerät ausrückt oder ihre Stützpunkte weit verstreut liegen. Putin sagte dem Blogger eine neue Feuerglocke zu und beschwichtigte, die Brandgefahren seien heute deutlich größer als zu Zeiten der Kommunisten.

Doch das war nur eine von vielen medienwirksamen Interventionen. Den 3500 Bürgern, die während der Brände ihre Holzhäuser verloren haben, versprach Putin neue Häuser – was Fachleute als nicht einhaltbar erachten. Höchstens die Hälfte der Brandopfer könne bis zum Winter neue Wohnungen beziehen, zitiert die Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“ einen Experten.

Putins Clou war jedoch der Flug in dem modernen Löschflugzeug Be-200, wo er auf dem Pilotensitz saß und zweimal die Wasserschleuse über Brandherden öffnete. Die Szene, die im russischen Fernsehen ausgiebig gezeigt wurde, wirkte sehr entschieden und entsprach den Erwartungen der Bürger. Mit seinen Besuchen bei Opfern und Feuerwehrleuten setzte sich der Ministerpräsident zudem von anderen Politikern ab, die wie der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow erst nach dem Höhepunkt der Brände braun gebrannt aus dem Urlaub zurückkehrten.

Zu einem Thema freilich schwieg der Regierungschef bei seinen zahlreichen Medienauftritten, nicht anders der Präsident: dem zehnten Jahrestag des Kursk-Unglücks. Am 12. August 2000 war das Atom-U-Boot „Kursk“ nach der Explosion eines Torpedos mit 118 Mann Besatzung an Bord gesunken. Auf die Frage, was mit der Kursk geschehen sei, hatte der frisch gewählte Präsident Putin in einer CNN-Talkshow einst flapsig erklärt, „sie ist gesunken“.

Verheerender Kodex

Seit die Finanzkrise 2008 ausbrach, gefällt sich Putin in der Rolle des Feuerwehrmanns, der überall in Russland auftaucht, wo es Probleme gibt. Am meisten gefällt es ihm, wenn er die Probleme gleich vor Ort lösen kann. So wie im Juli 2009 in der Stadt Pikaljowo, als er den Oligarchen Oleg Deripaska vor laufenden Fernsehkameras dazu verdonnerte, stillgelegte Chemiebetriebe wieder anzufahren.

Solche gut inszenierten Auftritte sorgen vor der grauen und politisch gezähmten Landschaft Russlands immer für Aufsehen. Sie erwecken den Eindruck, dass alles unter Kontrolle ist und sich zum Guten wenden wird. Obwohl die Bürger durchaus um den Showcharakter wissen, hoffen sie doch stets auf den guten Zaren Putin, der die unfähigen und korrupten Beamten diszipliniert. Zugleich verdecken die Medienauftritte die größte Schwäche des politischen Systems, das nicht auf die Eigenverantwortlichkeit von regionalen Politikern setzt, sondern auf zentrale Kontrolle und Unterordnung. Damit werden wichtige Ressourcen einer modernen Gesellschaft verspielt.

Ist die Position von Putin durch die verheerenden Brände geschwächt? In der Tat hatte der Ministerpräsident das Inkrafttreten eines neuen Wald-Kodex unterstützt. Dieser Kodex gewährt privaten Pächtern weitgehende Nutzungsrechte und reduziert zugleich die staatliche Waldaufsicht sowie den Feuerschutz. Ökologen und liberale Kreml-Kritiker erklären so das immense Ausmaß der Waldbrände. Die Wälder seien verbuscht und böten dem Feuer viel Nahrung. Um Vorsorgemaßnahmen wie Zufahrtswege für Löschfahrzeuge kümmere sich niemand mehr.

Freilich sind diese Vorhaltungen bisher nur ein Thema in den Kreml-kritischen Zeitungen und Internetforen. Wenig deutet darauf hin, dass sich die einfachen Moskauer zu Wort melden, die fast zwei Wochen lang in Rauchschwaden lebten.

"Rheinischer Merkur"

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