5. March 2019

AfD-Aussteigerin spricht vor Russlands Gesellschaftskammer

 

Vor dem staatsnahen Gremium konnte die Dresdnerin Franziska Schreiber über das Anwachsen des extrem rechten Flügels in der AfD referieren

Es ist ein Novum, dass eine Deutsche in der russischen Gesellschaftskammer auftritt. Eine noch größere Überraschung aber ist, dass diese Deutsche vor der Gesellschaftskammer die Zusammenarbeit russischer Politiker mit der AfD kritisierte.

Franziska Schreiber. Bild: Ptolusque / CC-BY-SA-4.0

In der russischen Gesellschaftskammer sitzen Vertreter des öffentlichen Lebens, Journalisten, Politologen, Vertreter von Berufs- und Unternehmerverbänden, Gewerkschaften und kulturellen Einrichtungen. Die Bürgerkammer hat die Aufgabe den Kontakt zwischen der Bevölkerung und der Macht zu verbessern. Die Mitglieder werden in Absprache mit dem russischen Präsidenten ausgewählt.

Am 30. Januar 2019 tagte (hier der offizielle Bericht) die Gesellschaftskammer zum Thema "Russland und Deutschland: Historische Konkurrenten oder natürliche Partner?" Jeder Redner hatte fünf Minuten Redezeit. Doch die per Skype aus Deutschland zugeschaltete AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber durfte 15 Minuten sprechen.

Die 29 Jahre alte Dresdnerin, die im September 2017, kurz vor der Bundestageswahl, aus der AfD ausgetreten war und zur Wahl der FDP aufgerufen hatte, hielt ihre Rede in einem moderaten Ton. "Zuerst erlauben Sie mir bitte, Ihnen meinen herzlichsten Dank auszusprechen für die Gelegenheit, vor Ihnen sprechen zu dürfen. Das ist für mich keine Selbstverständlichkeit, denn ich weiß, dass die AfD bei vielen von Ihnen ein Hoffnungsträger für Veränderungen im Sinne Russlands hier in Deutschland ist."

"Anhänger des historischen Nationalsozialismus"

Schreiber hält das Ziel, für welche die AfD ursprünglich angeblich eingetreten sei, "Deutschland als souveränen Nationalstaat zu erhalten und zu verhindern, dass das Land in einem europäischen Staatenbund nach dem Vorbild der USA aufgeht", nach wie vor für richtig. Doch seitdem in der AfD ein Flügel aus "Anhängern des historischen Nationalsozialismus, Nostalgikern, die vom deutschen Kaiserreich schwärmen, und anderen übersteigerten Nationalisten" fast die Hälfte der Partei hinter sich brachte, sei die Partei auf einem sehr gefährlichen Weg.

Der rechte Flügel der AfD bestehe nicht aus "Patrioten im positiven Sinne, wie sie auch in Russland geschätzt werden, sondern aus Fanatikern, die eine vollkommen übersteigerte, wahnhafte Fantasie von der 'Reinheit' des deutschen Volkes und der Bedeutung Deutschlands als dominierende Weltmacht haben". Die Tatsache, dass Deutschland Russland den Krieg erklärt hat und in diesem Krieg insgesamt 27 Millionen Russen getötet hat, werde "vollkommen ausgeblendet". Im rechten Flügel der AfD gäbe es zudem Leute, welche "die alten Ostgebiete, also Ostpreußen, insbesondere Gdansk und Kaliningrad", durch die Ansiedlung von Deutschen wieder zurückgewinnen wollen.

Dass die AfD sich Russland freundlich präsentiere, habe nur damit zu tun, dass die Partei "an russisches Geld" ran wolle. Der zweite Grund sei, dass in den deutschen Medien "Russland und insbesondere der russische Präsident, Vladimir Putin, oft sehr oberflächlich als moslemfeindlich dargestellt" wird. Das mache Russland und Putin für die Mitglieder der AfD interessant. Die Rednerin schloss ihren Vortrag mit den Worten: "Ich bin der festen Überzeugung, dass die AfD eine Enttäuschung für Russland wäre."

Die Rede von Franziska Schreiber wurde simultan ins Russische übersetzt und später vom angesehenen russischen Wirtschaftsmagazin "Ekspert" gedruckt und online gestellt.

In dem Wirtschaftsmagazin hatte im Juli 2018 schon die Leiterin der außenpolitischen Abteilung der Regierungspartei Einiges Russland eine kritische Analyse (deutsche Übersetzung) der Rechtspopulisten in Europa veröffentlicht. Es war die erste kritische Stellungnahme einer bekannten russischen Politikerin zu den Rechtspopulisten in Europa.

Bisher gibt es bei den Russen wenig oder oberflächliches Wissen über die AfD. Rechtspopulismus in Europa wird in den russischen Medien als nachvollziehbare Abwehr des Hegemonialstrebens der USA beschrieben.

Russische Politologin: "AfD-Parolen gefährlich für Russland"

Veronika Krascheninnikowa (Neuorientierung in Moskau) erklärte im Gespräch mit dem Autor dieser Zeilen, die europäischen Rechtspopulisten würden Russland nur für die Aufbesserung ihres Image nutzen. Russland nützten diese Kontakte nichts. Im Gegenteil. Sie würden dem Image von Russland als Befreier vom Faschismus schaden.

Und nicht nur das: Die anti-islamischen Parolen der europäischen Rechtspopulisten seien für Russland mit seinen 20 Millionen Moslems äußerst gefährlich. "Eine nationalistische Politik in Russland ist ein Instrument zur schnellsten und schmerzlichsten Vernichtung unseres Landes." Schon beim Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens habe sich die blutige und zerstörerische Rolle von Nationalismus gezeigt.

Ob es denn heute in Russland Leute gäbe, welche die islamische Karte ausspielen wollen, fragte der Autor dieser Zeilen die Politologin. "Ohne Frage finden sich außerhalb und innerhalb Russlands Leute, welche die Karte der Islamophobie, des russischen Nationalismus, ausspielen wollen, um den modernen russischen Staat zu zerstören", lautete ihre Antwort.

Die 47 Jahre alte Krascheninnikowa ist keine Einzelkämpferin. Sie ist Mitglied der russischen Gesellschaftskammer. 2012 initiierte die Politologin ein Gesetz zur Verschärfung der Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen, die aus dem Ausland finanziert werden. Schon damals - so erklärte die Politologin - sei sie als Sprecherin derjenigen aufgetreten, welche erkannt hatten, dass die USA versuchten, über NGOs politischen Einfluss in Russland auszuüben. Heute sei sie die Sprecherin derjenigen, die einen Abbruch der Beziehungen zu den Rechtspopulisten wollen.

"Innerhalb von 48 Stunden Gesprächsberichte abgeben …."

Dass Krascheninnikowa sich so für die verstärkte Kontrolle der NGOs in Russland einsetzte, hing mit ihrer Biographie zusammen. Die Politologin war von 2001 bis 2006 Präsidentin des "Rats für wirtschaftliche Zusammenarbeit" zwischen den USA und der "Gemeinschaft unabhängiger Staaten", einer Nachfolgeorganisation der Sowjetunion mit Sitz in New York, gewesen. Als Präsidentin dieses Rates hatte sie Erfahrungen mit dem amerikanischen Foreign Agents Registration Act (FARA) gemacht. Der "Rat für wirtschaftliche Zusammenarbeit", den sie in den USA vertrat, musste sich nach dem FARA-Gesetz als "ausländischer Agent" registrieren lassen.

"Jedes Mal, wenn ich einen Brief an den Bürgermeister von New York schrieb oder mit der amerikanischen Presse sprach, musste ich innerhalb von 48 Stunden in zwei Exemplaren über diese Kommunikation berichten", berichtete die Politologin 2013 in einem Interview mit dem russischen Internet-Portal Lenta.ru

Russische Rechtsextremisten kämpfen in der Ukraine

Und wie sieht die Situation heute in Russland aus? Dass die ausländerfeindlichen Morde und Demonstrationen, die es in Russland vor allem zwischen 2008 bis 2012 gab, fast auf Null zurückgegangen sind, hänge damit zusammen, dass die russischen Sicherheitsorgane aktiv gegen die Führer dieser rechtsradikalen Gruppen vorgegangen sind, so die Politologin. Die Mehrheit der Anführer dieser Gruppen sitze heute im Gefängnis.

Ein zweiter Grund für das Abflauen der rechtsradikalen Bewegungen in Russland sei, dass viele extreme Rechte in die Ukraine gefahren seien, um dort militärische Operationen durchzuführen. "Dadurch sind sie noch gefährlicher geworden, weil sie praktische militärische Erfahrungen gesammelt haben."

Dass die Kritiker einer Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten in Russland jetzt endlich Gehör finden, deutete darauf hin, dass es in der russischen Elite zwei Flügel gibt. Diejenigen, die sich jetzt mit Kritik zu Wort melden, haben bisher geschwiegen. Doch Schweigen ist nicht länger möglich angesichts eines Alexander Gauland, der den deutschen Faschismus als "Vogelschiss" abhakt und von einer historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber Russland nichts wissen will. (Ulrich Heyden)

veröffentlich in Telepolis

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