Agentin 90-60-90
Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau
Seitdem Russland nicht mehr mit bedrohlichen Raketen und Kosmonauten Eindruck macht, wird es nicht still um das große Land. Man hat doch noch einiges zu bieten, um den Ruf des Landes in der Welt zu mehren. Da ist zum Beispiel die Diplomatentochter Anna Chapman, aus Wolgograd, dem ehemaligen Stalingrad. Nachdem die schöne Brünette Anfang Juli zusammen mit neun weiteren russischen Spionen aus den USA abgeschoben wurde, sorgt die 28-Jährige weiter für Aufsehen.
Gestern veröffentlichte das russische Männermagazin „Maxim“ Photos der Frau aus Wolgograd. Da posiert Anna in schwarzer Unterwäsche, in der Hand eine silberne Pistole, hinter sich ein paar Zielscheiben. Das Bein stützt Anna, kokett angewinkelt, auf einem roten Sessel. Als Anna Chapman aus den USA ausgewiesen wurde, wollte sie eigentlich nach Großbritannien zurückkehren, wo sie von 2001 bis 2006 lebte, den Londoner Geschäftsmann Alex Chapman heiratete und für eine Bank und eine Beratungsfirma arbeitete. Ihr Ex-Mann spricht heute nicht gut über Anna. Er erklärte, Annas Vater, Wasili, sei nicht nur ehemaliger Diplomat, sondern auch Mitarbeiter des KGB gewesen.
Wie dem auch sei. Nach England kann Anna sobald nicht zurück. Die britischen Behörden haben Frau Chapman nur fünf Tage nach ihrer Abschiebung aus den USA nämlich die britische Staatsbürgerschaft aberkannt. Auch ihre Geschichte als Agentin in den USA kann die Brünette nicht vermarkten. Das ist Teil einer Vereinbarung mit den amerikanischen Behörden.
Lange rätselte man in Russland über die Zukunftspläne des neuen Stars aus Wolgograd, der es der Supermacht USA gezeigt hat. Erst tröpfelten die Nachrichten nur. Wladimir Putin erzählte im Juli, er habe mit den aus den USA Abgeschobenen „patriotische Lieder“ gesungen. Doch seit drei Wochen überschlagen sich die Nachrichten. Frau Chapmann will sich offenbar mehrgleisig entwickeln.
Sie schreibt ein Buch über die Möglichkeiten von Internet-Ressourcen. Außerdem hat sie am 1.Oktober einen Berater-Posten für den Präsidenten der „Fondservisbank“ übernommen. Die Bank ist im Rüstungsgeschäft tätig. Chapmans Insiderwissen ist gefragt. Die amerikanischen Behörden werfen ihr auch Geldwäsche vor. Sie wolle dem Unternehmen helfen, „Talente zu entwickeln“, m sagte sie dazu im Interview, mit „Maxim“.
Ihre neue Tätigkeit als Bank-Beraterin führte sie am 8. Oktober auch zum Weltraumbahnhof Baikonur, wo sie dabei war, als eine neue russisch-amerikanische Besatzung zur Internationalen Raumstation startete. Ihr Aufenthalt diente „kultur-politischen Projekten“, meldeten russische Medien. Am Montag schließlich bekamen Anna Chapman und die anderen neun aus den USA abgeschobenen Spione im Kreml von Präsident Dmitri Medwedjew Orden verliehen – welche, wurde allerdings nicht bekannt.
Dass ein junge Frau aus Wolgograd es bis nach New York geschafft hatte und im Herzen der Weltmacht Informationen für das Vaterland sammelte, erfüllte die Russen mit Stolz. Aus Wolgograd kam denn auch umgehend der Vorschlag, Frau Chapman zur Ehrenbürgerin zu ernennen.
Große Staatsgeheimnisse haben Anna und die anderen in den USA kaum auskundschaften können. Doch dass westliche Medien in der jungen Dame eine besonders gefährliche Spionin ausmachten, brachte einflussreiche Personen in Russland offenbar auf die Idee, aus der Not eine Tugend zu machen.
Flugs feierten russischen Zeitungen die Frau mit dem Engelsgesicht als russische Heldin, die als „Agentin 90-60-90“ einflussreiche Männer in London und New York aus der Reserve lockte.
"Sächsische Zeitung"