"Qualitätsoffensive" bei "Telepolis" - Was ist davon zu halten? (Kommentar)

Als ehemaliger Autor von Telepolis - ich schrieb von 2010 bis 2022 Artikel für das Internet-Portal - bin ich geschockt über die Dreistigkeit des neuen Chefredakteurs, Harald Neuber. Dieser versucht Telepolis zielstrebig abzuschmirgeln zu einem Medienprodukt an dem auch die Redaktionen der FAZ und der ARD keinen Anstoß mehr nehmen können. Neuber geht hinterhältig vor. Er schrieb selbst jahrelang für Telepolis und hatte nie etwas auszusetzen. Nun aber schwant ihm, Telepolis habe in früheren Zeiten journalistische Standards verletzt. Neuber ordnete eine Prüfung aller Artikel an. Um auch ja bei Niemandem anzuecken, ließ er zehntausende Artikel aus dem Netz nehmen. Nun sind die Artikel wieder online. Aber Neuber kündigt schon die nächste Säuberung des Telepolis-Archivs an.
In einer Stellungnahme unter der vollmundigen Überschrift "Qualitätsoffensive: Telepolis macht historisches Archiv wieder zugänglich" schreibt der Chefredakteur: "Noch nicht entschieden haben wir, ob wir die unserer Meinung nach problematischen Inhalte – dies kann sich etwa auf das publizistische Umfeld einzelner Autoren, die Inhalte, die Quellen, die Auswahl der Informationen oder urheberrechtliche Fragen beziehen – nach der Umstellung von Telepolis auf ein neues Contentmanagementsystem in diesem Jahr weiter zur Verfügung stellen."
Neuber behauptet von sich, er sei absolut neutral. Ich finde das gruselig. Wie kann sich heute - einer Zeit mit sich extrem zuspitzenden Widersprüchen, in einer Zeit, wo Kritik an der Kriegsertüchtigung und der Corona-Politik von den großen Medien konsequent weggedrückt wird - ein Journalist als neutral bezeichnen? Ist es nicht gerade heute wichtig als Journalist Stellung zu beziehen? Stellung beziehen heißt ja nicht, dass man zu einem Problem nur eine Meinung wiedergibt. Mehrere Meinungen zu einem Thema – etwa zum Ukraine-Krieg - wiederzugeben, wird meiner Meinung nach heute immer seltener und deshalb immer wichtiger für alle, die sich an die Knechtung der freien Meinung nicht gefallen lassen wollen.
Die Darstellung verschiedener Positionen und Sichtweisen, ist das nicht das, was uns die öffentlich-rechtlichen Medien und die großen Zeitungen vorenthalten? Müsste nicht Telepolis genau in diese Lücke springen? Nein, das will Harald Neuber gerade nicht. Er übt sich lieber in der Diffamierung von Telepolis, wie es vor seiner Zeit als Chefredakteur war, wenn er schreibt: "Telepolis als Gesamtprojekt hat damit zeitweise nicht mehr nach journalistischen Prinzipien funktioniert, sondern wurde zu einem Portal, das Autoren mit unterschiedlichen Interessen eine Plattform geboten hat. Doch wer interessengeleitet berichtet, will die öffentliche Meinung beeinflussen. Das widerspricht grundsätzlich dem Prinzip der journalistischen Neutralität und Distanz."
Neuber erdreistet sich tatsächlich sein Durchkämmen des Telepolis-Archivs nach "problematischen Inhalten" als "Rückkehr zu den Wurzeln von Telepolis" anzupreisen. Er schreibt: "Heute machen wir deutlich: Telepolis ist zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Der Name Telepolis steht wieder für ein professionell arbeitendes, verantwortungsbewusstes und gleichwohl kritisches Magazin, das sich ganz bewusst zwischen den medialen und politischen Lagern positioniert; also auch zwischen Mainstream und Alternativmedien. Wir sind keines von beiden. Wir sind Journalisten."
Ich selbst geriet mit Neuber 2022 wegen einem Bericht über den Ukraine-Krieg aneinander. Mein Artikel wurde nicht veröffentlicht. Zuvor - unter dem Chefredakteur Florian Rötzer - veröffentlichte ich auf Telepolis Hunderte von Artikeln - ohne Probleme - unter anderem zum Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa, zur Unterdrückung der Opposition in der Ukraine und zum Krieg im Donbass.
Ich vermute bei Telepolis werden es in Zukunft alle Journalisten schwer haben, die den Kriegskurs der EU gegen Russland mit Enthüllungen "stören" könnten. Auch erwarte ich auf Telepolis keine Artikel mehr über die aktuellen Machenschaften von westlichen Geheimdiensten und die Lenkung der großen deutschen Medien durch die Bundesregierung.
Zum Glück gibt es zahlreiche neue alternative Medien, die gerade diese Themen in den Mittelpunkt ihrer Berichterstattung stellen. Und ich hoffe, dass sie lange leben und gedeihen werden.
Hier die Stellungnahme von Harald Neuber: https://www.telepolis.de/features/Qualitaetsoffensive-Telepolis-macht-historisches-Archiv-wieder-zugaenglich-10475929.html
Und hier die aktuellen Stellungnahmen früherer Telepolis-Autoren: https://multipolar-magazin.de/meldungen/0290