7. December 2009

Als das „Lahme Pferd“ Feuer fing

Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau

Beim Brand einer Diskothek in Perm sterben 112 Menschen. Nun fordert Russlands Präsident härtere Strafen für Verstöße gegen den Brandschutz.

Vor den Club „Lahmes Pferd“ in der russischen Stadt Perm stehen Hunderte Menschen. Auf dem Boden im Schnee liegen rote Nelken. Kleine Teelichter beleuchten Fotos und Ikonen. Eine Stadt trauert und mit ihr das ganze Land. Der russische Präsident Dmitri Medwedjew hat für heute landesweite Trauer angeordnet nach dem verheerenden Feuer, bei dem mindestens 112 Menschen starben.

Etwa 250 Gäste haben in der Nacht zum Sonnabend das achtjährige Bestehen des „Lahmen Pferdes“ gefeiert, als sich der Raum binnen weniger Minuten in einen Feuerball verwandelt. „Brennendes Plastik tropfte von der Decke auf meine Haut, ich bin nur noch gelaufen“, sagt Denis Michailow. Er sei mit einem Freund gekommen. „Ich kann ihn nicht finden, er muss unter den Toten sein.“ Am Unglücksort spielen sich grauenhafte Szenen ab. Während die Feuerwehr gegen die Flammen kämpft, tragen Rettungskräfte immer mehr Leichen ins Freie. Im Licht der Löschfahrzeuge liegen bald Dutzende Tote im Schneematsch. „Es kommen immer mehr Menschen, die ihre Bekannten suchen“, sagt ein Feuerwehrmann mit Tränen in den Augen. „So viele junge Leute.“

Es war ein Verbrechen


Was in Perm passiert sei, sei „ein Verbrechen“, erklärt der russische Präsident Dmitri Medwedjew. Der Besitzer des Clubs habe „weder Hirn noch Gewissen“. Der Kremlchef fordert, die Verantwortlichen „nach vollem Programm“ zu bestrafen. Die Strafen für die Verletzung des Feuerschutzes müssten verschärft werden, fordert Medwedjew. Zur Zeit kostet ein Verstoß nicht mehr als 1000 Euro.

Vier Personen, darunter der Clubbesitzer Anatoli Sak, eine Geschäftsführerin sowie der für das vermutlich brandauslösendes Bühnenfeuerwerk Verantwortliche sind inzwischen festgenommen und sollen vor Gericht gestellt werden. Einem Bericht der Zeitung Permski Obrasowatel zufolge hatte Clubbesitzer Sak fluchtartig die Stadt verlassen und wurde im Umland von Perm geschnappt. Während der Vernehmung hat Sak erklärt, ihn träfe keine Schuld, da er den Club vermietet habe. Sak wurde im letzten Jahr in die Liste der 100 reichsten Männer der Millionenstadt Perm aufgenommen. Dem Geschäftsmann gehört neben dem Club „Lahmes Pferd“ auch eine Kette von Lebensmittelläden.

Ein Besucher der Feier hat den Beginn der Tragödie mit seinem Handy aufgenommen. Auf dem Video erklärt der Moderator zum Ende einer Tanzshow launisch: „Meine Damen und Herren, wir brennen. Verlassen Sie den Saal.“ In Panik drängen die Gäste zum einzigen Ausgang des Kellerclubs. Viele Überlebende verätzen sich die Atemwege. Andere erleiden in dem Gedrängel Knochenbrüche.

Die Stadt Perm hat nur begrenzte Kapazitäten für die Behandlung von Brandopfern. 90 Verletzte müssen mit Sonderflugzeugen des russischen Katastrophen-Ministeriums nach Moskau, St. Petersburg und Tscheljabinsk ausgeflogen werden.

Noch ist nicht geklärt, was den Brand genau ausgelöst hat. Während Notstandsminister Sergej Schojgu sagt, es sei ein für geschlossene Räume verbotenes Feuerwerk eingesetzt worden, besteht ein Moskauer Händler für Tischfeuerwerke darauf, dass die „kalten“ Funken kein Feuer auslösen können. Nach einem Bericht der Internetzeitung „gazeta.ru“ habe es möglicherweise einen Kurzschluss in der Decke des Raumes gegeben, die mit Reisig dekoriert war. In dem Video des Augenzeugen ist zu sehen, wie sich das Feuer in dem Reisiggeflecht an der Decke blitzartig ausbreitet. Es wird aber auch nicht ausgeschlossen, dass einer der starken Scheinwerfer explodiert ist. Nur einen Terroranschlag schließt der Geheimdienst aus.

Heute wäre Brandkontrolle


Die 500 Quadratmeter große Diskothek ist fast vollständig ausgebrannt. Die Feuerschutzbehörde hatte den Club schon mehrmals beanstandet. Bis zum heutigen Montag sollten die Verantwortlichen eine Reihe von Mängeln beheben. Ihre Beseitigung sollte heute während einer Begehung überprüft werden. Dass die Betreiber dennoch ihre pompöse Jubiläumsfeier durchführen konnten, hat offenbar damit zu tun, dass man die Aufsicht der Feuerschutzbehörde nicht allzu sehr fürchtet. Es wird auch nicht ausgeschlossen, dass vor der Feier ein Schmiergeld geflossen ist. Das ist in solchen Fällen in Russland nicht unüblich.

Der Fernsehkanal NTW kommentierte: In Russland herrschten in Bezug auf Diskotheken-Brände schon „Zustände wie in der Dritten Welt“. Grund sei, dass viele Gebäude nie modernisiert wurden. Die elektrischen Leitungen in Russland sind nur zweiadrig und haben keinen Schutzkontakt. Soziale Einrichtungen, wie Dorfschulen, Behinderten- und Altenheime befinden sich oft in erbarmungswürdigem Zustand.

Seit 1999 ereigneten sich in derartigen Gebäuden neun Brände mit 295 Toten. Insgesamt sterben in Russland jährlich 17500 Menschen bei Bränden. In Deutschland sind es nur einige Hundert. (mit dpa)

"Sächsische Zeitung"

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