9. March 2012

Alter vor Glamour

Russland setzt beim Song Contest auf eine Rentner-Combo

MOSKAU - An einem Lagerfeuer spielt ein Mann den Deep-Purple-Song „Smoke on the Water“ auf der Gitarre, um die Flammen tanzen ein paar alte Damen in Trachten – Szenen aus einem Internet-Video der Folk-Gruppe „Buranowskije Babuschki“, „Großmütter von Buranowo“.

Das betagte Sextett hat auch am Mittwochabend im russischen Fernsehen überzeugt: Bei einer live übertragenen Show wurde es vom Publikum und der Jury ausgewählt, das Land beim diesjährigen Eurovision Song Contest (ESC) im Mai in Aserbaidschan zu vertreten.Mit 38,51 Punkten überrundeten die Großmütter ihre 24 Rivalen, darunter auch das Favoriten-Paar Dima Bilan und Julia Wolkowa mit seinem Lied „Back To Her Future“.

Das jugendliche Publikum raste, als die alten Damen auf der grell erleuchteten Bühne in Bastschuhen, langen Röcken und klimperndem Blechschmuck im Disco-Rhythmus zu ihrem Song „Party For Everybody“ tanzten.

Das Wichtigste in der Pop-Branche sei heutzutage eben Originalität, sagte der russische Producer Josif Prigoschin gegenüber der Nachrichtenagentur Ria Novosti. Er wolle nicht ausschließen, dass demnächst auch Lady Gaga mit den Babuschkas singt. Diese Großmütter, so Prigoschin, würden einfach „gebraucht“.

Seit 40 Jahren singen die Frauen miteinander. Sie alle stammen aus dem Dorf Buranowo in der russischen Teilrepublik Udmurtien im Ural, drei Flugstunden östlich von Moskau. Dass die singenden Großmütter mittlerweile in ganz Russland bekannt sind und schon 2010 bei dem russischen ESC-Ausscheidungs-Wettkampf den dritten Platz belegten, hat einen einfachen Grund: Das Folk-Ensemble sperrte sich nicht gegen die Vorschläge von Chorleiterin Olga Tuktarewa Lieder von den Beatles und den russischen Rock-Musikern Viktor Zoy und Boris Grebenschikow zu singen – in udmurtischer Sprache. Die Video-Cover-Versionen, die seit 2008 im Internet kursieren, brachten den Durchbruch bei der russischen Jugend.

„Wir wollen nicht, dass man uns als Clowns betrachtet,“ sagt Olja, eine der Großmütter, gegenüber dem Fernsehkanal Westi. „Wir singen nur ehrlich und offen über das was uns bewegt, und das berührt die Leute.“ Ruhm und Reichtum brauchten sie nicht, man wolle nur Geld für den Wiederaufbau der Dorfkirche sammeln, die in der Sowjetzeit zerstört wurde.

Finanziell sind die Sängerinnen einigermaßen abgesichert: Sie ernähren sich aus ihren Gärten. Das mit 76 Jahren älteste Ensemble-Mitglied, Natalja Pugatschowa, hat sogar noch eine Kuh im Stall stehen, die sie selbst melkt. Früher arbeitete sie als Melkerin und auf dem Feld.

Ob „Party For Everybody“, das ESC-Lied der Damen, gesungen in udmurtischer Sprache mit englischem Refrain, wirklich der Knaller ist, darüber lässt sich streiten. Doch offenbar gibt es beim russischen Publikum eine gewisse Übersättigung an Glitter und Glamour. Warum nicht mal die Babuschkas ranlassen, die haben immerhin wunderschöne Stimmen, mag sich mancher sagen. Zudem gelten Großmütter in Russland als ehrenvolle Personen.

Sie ziehen die Enkel groß, weil die Eltern arbeiten. Sie haben die größte Lebenserfahrung und in vielem immer noch das letzte Wort. Wenn Großmütter schon im Leben Meister sind – warum dann nicht auch auf der Bühne. (Von Ulrich Heyden) Märkische Allgemeine
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